Die Bundesregierung will weiter an Gas aus Russland festhalten, um negative Folgen auf die Wirtschaft zu vermeiden. Kanzler Olaf Scholz hat mehrfach deutlich gemacht, dass bei einem Lieferstopp ganze Industriezweige in Deutschland bedroht seien und eine Rezession drohe.
Auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft warnt: „Ein Lieferstopp von russischem Erdgas würde die bayerische Wirtschaft auf das Härteste treffen.“ 22 Prozent der Unternehmen im Freistaat würden mit einem sofortigen Produktionsstopp rechnen, sagt Brossardt auf Anfrage. Betriebe, die auf Erdgas direkt angewiesen seien, würden einen Umsatzrückgang von 40 Prozent befürchten. 220.000 Beschäftigte in Bayern wären von den Folgen direkt betroffen.
„Noch viel stärker wären indirekte Effekte: Gas ist ein unersetzlicher Rohstoff zur Herstellung von Vorprodukten, etwa in der Chemieindustrie zur Herstellung von Grundstoffen aller Art oder in der Metall- und Elektroindustrie. Wenn hier die Produktion heruntergefahren werden müsste, hätte das gewaltige soziale und ökonomische Konsequenzen.“ Federico von Energy Brainpool sagt: „Wir brauchen das russische Gas, um die Speicher aufzufüllen.“
Wie viel Geld für Energielieferungen täglich aus Deutschland nach Russland fließt, lässt sich nicht klar beziffern. Eine ungefähre Größenordnung liefert der Blick ins Jahr 2021. Die Bundesregierung gibt an, dass in dem Jahr täglich für Öl, Kohle und Gas durchschnittlich rund 61 Millionen Euro nach Russland flossen. Diese Summe kann von der aktuellen Summe abweichen, etwa weil die Menge der Importe bereits verringert wurde oder sich die Preise verändert haben. Nach Schätzungen des Ökonomen Simone Tagliapietra vom Wirtschaftsinstitut Bruegel gab die EU Anfang April täglich 15 Millionen Euro für Kohle aus Russland aus, etwa 400 Millionen Euro für russisches Gas sowie 450 Millionen Euro für Öl aus dem Land.
Trotz des Ukraine-Krieges verdient auch Kiew weiter am Gas. Russland bezahlt 2,66 Dollar pro 1000 Kubikmeter durchgeleitetes Gas an die Ukraine. Dazu kommt eine Art Entfernungspauschale, so dass Kiew jährlich knapp eine Milliarde Dollar für die Durchleitung bekommt. Es geht dabei um die Pipelines Sojus („Einheit“), Bratstvo („Bruderschaft“) und die jetzt vom Gas-Stopp für Polen und Bulgarien betroffene Leitung Jamal.
Experten zufolge fließt seit Ausbruch des Krieges eher mehr als weniger russisches Gas durch die Ukraine. Würde die Ukraine die Gasleitung unterbrechen, würde sie sowohl gegenüber dem Westen wie auch gegenüber der staatlichen russischen Gazprom vertragsbrüchig – weswegen bei der Regierung Selenskyj das Thema öffentlich bislang nicht auf die Tagesordnung kam.