„Debakel“ und „Demonstration der Macht“: So hart wird Erdogans Deutschland-Besuch kritisiert

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seinen Besuch in Deutschland beendet. Die Presse geht hart mit seinen Auftritten in Berlin und Köln ins Gericht.
München - Recep Tayyip Erdogan hat Deutschland wieder verlassen - am Wochenende weilte der türkische Präsident in Berlin und Köln und eröffnete unter anderem eine große Moschee in Köln. Ausgestanden ist der Konflikt mit der Türkei damit aber noch lange nicht. Auch in der Presse gibt es harte Urteile über Erdogans Visite:
"Kölner Stadt-Anzeiger": "Die gespenstische Moschee-Zeremonie ist eine vertane Chance und in ihrer Botschaft wohl einmalig: Da eröffnet das türkische Staatsoberhaupt in der Stadt eines anderen Staates eine von ihm finanzierte und gesteuerte religiöse Einrichtung. Die Stadt Köln, die das Projekt immer wohlwollend begleitet hatte, wird übergangen und brüskiert. Die aufnehmende Gesellschaft wurde einfach ausgegrenzt. Die religionspolitischen Funktionäre von Erdogans Gnaden haben aus der Moschee ein Symbol der Abschottung gemacht."
"Straubinger Tagblatt": "Der Besuch mag über weite Strecken ein diplomatisches Debakel gewesen sein, gleichwohl er war aufschlussreich. Dennoch: Gut, dass Erdogan wieder weg ist."
"Tagesspiegel": "Dass ausgerechnet Erdogan und Merkel in Berlin einen Syriengipfel mit Paris und Moskau vereinbart haben, ist ein wichtiges Zeichen der Gesprächsbereitschaft und kann einen Weg zur Lösung der festgefahrenen Krise im Osten Europas aufzeigen. Bleiben von diesem Staatsbesuch werden aber auch die Bilder der Kölner Moschee. Sie sollte ein Ort der Offenheit werden, nun steht sie für einen ausgrenzenden Ditib-Islam und jene Tausende hier lebende Türken, die Erdogan huldigten. Die bessere Integration der hier lebenden Türken und die Stärkung der Muslime, die ihre Religion in Deutschland frei und zugleich grundgesetzkonform ausüben wollen: Auch das folgt aus diesen Staatsbesuch."
„Erdogan ist jedes Mittel recht“
"Frankfurter Allgemeine": "Erdogan ist jedes Mittel recht, seine Herrschaft und seinen Einfluss auch unter den türkischstämmigen Bürgern in Deutschland zu festigen. Die Eröffnung der Kölner Moschee war ebenfalls eine Demonstration der Macht. Die Zeremonie markierte das Ende einer viel zu lange gehegten deutschen Illusion: Anders als von Politikern aller Couleur erhofft, hat sich die Kölner Ditib-Zentrale nicht schrittweise vom türkischen Staat emanzipiert. Erdogan machte am Samstag demonstrativ deutlich, dass sie ihm als Instrument dient, um in die türkische Diaspora in Deutschland hineinzuwirken. Das ist eine schwere Hypothek für jene der rund 900 Ditib-Moscheegemeinden hierzulande, die darauf drängen, endlich unabhängig und damit Teil der deutschen Gesellschaft zu werden."
„Volksstimme“: „Zwar haben sowohl Bundeskanzlerin Merkel als auch Bundespräsident Steinmeier und NRW-Ministerpräsident Laschet ihre Chance genutzt, um Erdogan bei seinem Staatsbesuch ihren Unmut über die Menschenrechtslage in der Türkei kundzutun. Vor allem auf die Einschränkung von Justiz und Presse sowie die fünf „aus politischen Gründen“ inhaftierten Deutschen haben sie hingewiesen. Allein, gebracht hat es nichts. Erdogan wischte diese Bedenken beiseite, beharrte weiterhin darauf, dass die Justiz und Presse seines Landes unabhängig seien. Für den türkischen Staatspräsidenten bleiben Menschen, die sich für einen liberalen Staat und die Aufklärung politischer Missetaten einsetzen, zu einem Großteil Terroristen. Der Staatsbesuch brachte nicht wie erhofft eine Annäherung. Erdogan ist nicht einmal einen winzigen Schritt auf seine Kritiker zugegangen. Es war eine Visite, die ungewollt nur einem diente: der Profilierung Erdogans.“
Der "Tagesanzeiger" aus Zürich: "Auch wenn Erdogan jetzt bei seinem Besuch in Deutschland eben erst einen Neustart der Beziehungen zur EU versprochen hat, wird Ankara die notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllen. Vor der Verfassungsänderung, die ihm alle Macht gab, behauptete Erdogan, 'die Nation' kenne keine inneren Konflikte, weshalb man auch keine Gewaltenteilung brauche. Das zeigt: Der Präsident lebt in seiner eigenen Wirklichkeit, und dabei dürfte es bleiben. Nun gibt es auch EU-Staaten, die Präsidenten mit einem ähnlichen Weltbild haben. Das ändert aber nichts daran, dass die Türkei, so wie sie ist, nicht in die EU passt."
AFP/dpa
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