Zahltag für Putin? 200 neue Kirchen und noch lange „nicht genug“ – Kirill geht nun in brisante Offensive

Kirche und Kreml bilden in Russlands Krieg eine (un)heilige Allianz. Doch für Wladimir Putin könnte das teuer werden – der Patriarch fordert mehr.
München – „Kirill unterstützt in seinen Predigten und Grußbotschaften die Politik der Regierung ausnahmslos, auch im Ukraine-Krieg“: Schon Ende November hat Theologin Regina Elsner im Gespräch mit Merkur.de den Moskauer Patriarchen als wichtige Stütze Wladimir Putins genannt. Im Januar folgte der nächste Akt: Kirill forderte eine Waffenruhe im Ukraine-Krieg – und bekam sie. Die Feuerpause könnte nicht zuletzt eine Propaganda-Maßnahme mit religiöser Färbung gewesen sein, mutmaßten Experten.
Doch sind an die Unterstützung keine handfesten Bedingungen geknüpft? Eine Meldung vom Sonntag (8. Januar) könnte Zweifel wecken. Kirill habe ein weiteres Kirchen-Bauprogramm in Moskau gefordert, schrieb das belarussische Medienprojekt Nexta. Und das, obwohl Wladimir Putin persönlich Kirill 2019 laut einem Times-Bericht zur Mäßigung geraten hatte. Nexta zufolge geht es um ein erstaunliches Ausmaß.
Putin und Kirill: Muss der Kreml jetzt zahlen? Kirche verlangt seit Jahren „immer mehr vom Staat“
Laut Kirill seien bereits 200 Kirchen in der russischen Hauptstadt in Bau, hieß es. Das sei nach Ansicht des Patriarchen aber „nicht genug“. Womöglich fordert die orthodoxe Kirche nun ein Entgegenkommen der Putin-Administration. Dabei steht das Land vor großen Problemen – die Energieinfrastruktur etwa ist nach Einschätzung vieler Beobachter veraltet und marode. Abseits der Großstädte sind auch Schlaglöcher in den Straßen oder widrige Wohnstandards ein bekanntes Problem.
Unstrittig ist, dass der Kirchenbau in Russland Konjunktur hat. Allein im Corona-Jahr 2020 seien in Moskau 18 Kirchen fertiggestellt und 10 bis 12 weitere Bauten begonnen worden, sagte Duma-Vizepräsident Wladimir Resin damals laut dem Portal orthochristian.com. 2010 hatte Kirill ein „200-Kirchen-Programm“ ausgerufen. Das Ziel: Eine Kirche in Laufweite für jeden Bürger Moskaus. Zum Vergleich: In Deutschland gab es von 2000 bis 2018 nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur KNA 49 Neubauten katholischer Kirchen.

Resin betonte seinerzeit, das Programm speise sich ausschließlich aus privaten Spenden. Konkrete Geber wurden aber nicht genannt. Laut einem Bericht des russischen Exil-Mediums Meduza aus dem Jahr 2016 sind die Finanzen der russisch-orthodoxen Kirche ein großes Geheimnis – der Staat trage aber Millionensummen bei. Ein 15-prozentiger Anteil der Kircheneinnahmen aus dem ganzen Land fließe zudem an das Moskauer Patriarchat. Die britische Times wollte vor einiger Zeit auch von einer millionenschweren Gabe Putins für Kirills Residenz erfahren haben.
Nicht undenkbar scheint, dass es nun zu Spannungen in der (un)heiligen Allianz zwischen Patriarch und Kremlchef kommt. Oder gar im ganzen Land. „Es gibt in Russland das starke Gefühl, dass Kirill irgendwie das Maß verloren hat“, sagte der Theologe Andrej Kuraew schon 2019 dem Portal fairplanet.org. „Die russische Kirche verlangt immer mehr vom Staat; mehr Macht, mehr Vorzüge, mehr Geld und so weiter.“ Der Menschenrechtler Juri Tabak warnte in dem Bericht, die Bevölkerung könne die Geduld verlieren, wenn Geld in Kirchen statt in Straßen oder Wohnbau fließe. Bis 2016 seien 5.000 neue Kirchen in ganz Russland unter Kirills Ägide gebaut worden, berichtete die Staatsagentur Tass.
Ukraine-Krieg: Putin und Kirill machen gemeinsame Sache – Patriarch hält martialische Ansprache
Kirill hatte auch über Weihnachten wieder Entsetzen bei westlichen Beobachtern ausgelöst. „Wir haben gar keinen Drang zum Krieg, oder irgendetwas zu tun, was irgendjemandem schadet“, sagte er in seiner Ansprache laut Übersetzung der ARD- „Tagesthemen“: „Aber wir sind so erzogen, durch unsere gesamte Geschichte, dass wir unser Vaterland lieben. Und wir werden bereit sein, es so zu verteidigen, wie nur Russen in der Lage sind, ihr Land zu verteidigen.“ Kirill nannte Russland und Ukraine in einem Interview mit dem Staatskanal Rossija-1 zudem „eine Nation“.
Neue Sanktionen der Ukraine gaben der russischen Staatsführung zuletzt neue Munition für Vorwürfe buchstäblich biblischen Ausmaßes. Außenministeriums-Sprecherin Maria Sacharowa und Tschetschenen-Anführer Ramsan Kadyrow griffen erneut zu Begriffen wie „Satanismus“. In der Ukraine feierten Gläubige unterdessen teils gezwungenermaßen im Untergrund das Weihnachtsfest.

Wladimir Putin wiederum dankte der Kirche in seiner Neujahrs-Ansprache: Sie unterstütze „die Kämpfer in der militärischen Spezialoperation“. Schon im September hatte Kirill behauptet, im Ukraine-Krieg zu sterben „wasche alle Sünden hinweg“. Der Kremlchef feierte Weihnachten diesmal alleine. Auch Putin greift schon seit Monaten in zunehmender Deutlichkeit zu biblischer Rhetorik. (fn)