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Russlands Offensive: Putins Armee will zum Jahrestag des Ukraine-Kriegs etwas „Großes tun“

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Von: Mark Stoffers

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Ein russischer Soldat schießt eine Giatsint-B 152 mm Haubitze in Richtung ukrianischer Stellungen ab. (Archiv)
Ein russischer Soldat schießt eine Giatsint-B 152 mm Haubitze in Richtung ukrianischer Stellungen ab. (Archiv) © IMAGO/Alexander Galperin

Zum Jahrestag der Invasion von Russland im Krieg gegen die Ukraine befürchten Experten eine große Frühjahrsoffensive. Was sind die Ziele von Putins Armee?

München – Steht dem Ukraine-Krieg Russlands große Offensive bevor? Glaubt man den Einschätzungen und Befürchtungen von Experten, könnte die Armee von Wladimir Putin den mehr oder minder statischen Winter im Russland-Ukraine-Krieg genutzt haben, um zum Jahrestag der „Spezialoperation“ eine großangelegte Militäroperation zu starten.

Im militärischen Sinn spricht man von einer Frühjahrsoffensive, wenn Armeen versuchen, nach traditionell schlechten Bedingungen für die Kriegsführung im Winter, im darauffolgenden Frühling das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen. Ziel ist es, sich durch eine oder mehrere konzentrierte Militäroperationen entscheidende Vorteile für den Kriegsverlauf zu verschaffen. Hierfür nutzen die Kriegsparteien die kalte Jahreszeit, um die Verluste an Soldaten und Mangel an Material auszugleichen oder weiter aufzurüsten.

Russlands Offensive im Krieg in der Ukraine: Putins Armee hat zum Jahrestag große Ziele

Viele Zeichen sprechen dafür, dass Russland, dessen Waffen-Produktion unter Druck steht, genau diese Strategie im Krieg in der Ukraine verfolgt. Ein mögliches Datum für die Offensive von Wladimir Putin könnte nach Einschätzung der Denkfabrik ISW der 24. Februar sein, welcher den Jahrestag der russischen Invasion der Ukraine markiert. Auch der sich noch im Amt befindende ukrainische Verteidigungsminister, Olexij Resnikow, der aufgrund der Korruptionsaffäre wohl bald vom Militärgeheimdienstchef Kyrylo Budanow an der Spitze des Ministeriums abgelöst werden soll, hält den 24. Februar für den wahrscheinlichsten Beginn einer russischen Offensive.

„Wir rechnen definitiv mit einer möglichen russischen Offensive, sie mögen Symbolik“, erklärte Resnikow und bezog sich mit dem Nachsatz wohl unmissverständlich auf den Jahrestag der russischen Invasion der Ukraine. Darüber hinaus sprach ein ukrainischer Militärberater gegenüber Financial Times davon, dass glaubwürdige Informationen sogar einen Angriff bereits Mitte Februar nahelegen würden. Das Zittern vor der Großoffensive beginnt demnach nicht nur in Kiew, sondern auch im Rest des Landes.

Russland-Ukraine-Krieg: Kiew zittert vor Putins Plan einer Offensive

Doch welche Ziele könnte Russlands umgebaute Armee überhaupt im Auge haben? Die Ukraine vermutet, dass Putins Plan großangelegte Angriffe, vor allem im Süden und Osten des Landes, vorsieht, um die Front im Russland-Ukraine-Krieg zu verschieben und bedeutende Gebietsgewinne zu verzeichnen. Falls es zur großen Offensive kommen sollte, wird Russland wohl seine besten Soldaten in die Waagschale werfen.

Im Zentrum möglicher Angriffe von russischer Seite infolge der Offensive stehen einem Bericht der BBC zufolge Schlüsselstädte wie Bachmut, Wuhledar, Charkiw, Saporischschja oder die ukrainische Hauptstadt selbst.

Putins befürchtete Offensive im Ukraine-Krieg: Vorstoß Russlands in Bachmut

Ein durchaus begehrtes Ziel für Putins Offensive im Ukraine-Krieg könnte Bachmut darstellen. In den vergangenen Wochen stand die Stadt im Osten der Ukraine im Zentrum der Kämpfe. Besonders die hohen Verluste, die Verteidiger vor allem den Söldnern der Wagner-Gruppe in dem Gebiet zufügten, sorgten für Schlagzeilen in den Medien. Für den Moment scheinen weiterhin ukrainische Streitkräfte die Kontrolle über die Stadt zu haben.

Ein zerstörtes Wohnhaus in Bachmut.
Eines der Hauptziele in der befürchteten Frühjahrsoffensive von Russland wird für Putins Armee wohl die Eroberung von Bachmut sein. © IMAGO/Adrien Vautier / Le Pictorium

Aber wie lange noch? Nach übereinstimmenden Medienberichten sieht es so aus, als hätten Streitkräfte der russischen Armee einen Großteil der Söldner von „Putins Koch“ Prigoschin ersetzt. Diese fahren damit fort, Bachmut einzukesseln. Putins Propaganda, die in anderen Fällen nach hinten losgegangen ist, würde die Einnahme der Stadt durch die Offensive ohne Zweifel als großen Sieg im Krieg gegen die Ukraine ausschlachten.

Russlands Großoffensive im Ukraine-Krieg: Erfolg in Bachmut nur von geringer militärischer Bedeutung?

Abgesehen von der psychologischen Komponenten, die eine Niederlage für die Ukraine in Bachmut haben könnte, wäre aus militärischer Sicht ein Erfolg für Putins Armee möglicherweise nur von überschaubarer Bedeutung im Ukraine-Krieg. „Die Ukraine hat nicht den Luxus, sich die Schlachten aussuchen zu können“, erklärt der US-Militärexperte, Michael Kofman, im Interview mit Spiegel Online. „Wenn sie Bachmut aufgibt, müssen sich die Streitkräfte auf die Verteidigungslinie vor Sloviansk und Kramatorsk zurückziehen. Die Schlacht wird dann einfach ein paar Kilometer weiter westlich verlagert.“

Ein anderes Szenario legt hingegen nahe, dass sich durch die Einnahme von Bachmut für Russland eine Tür für ein erklärtes Ziel im Ukraine-Krieg öffnen könnte: die Eroberung der östlichen Donezk-Region. Falls oder wenn Bachmut fällt, könnte Putins Armee ungehindert auf die genannte Verteidigungslinie vorrücken und dort „die Ukrainer weiter unter Druck setzen“, ordnet Kofman ein.

Frühjahrsoffensive von Putins Armee: Wuhledar hat für Russland wohl eher symbolischen als militärischen Wert

Genau an dieser Stelle setzt ein weiteres Ziel einer möglichen Großoffensive Russlands im Ukraine-Krieg an: Wuhledar. Hier hat möglicherweise eine Vorstufe der Frühjahrsoffensive von Putins Armee bereits begonnen. Ebenfalls im Oblast Donezk und aufgrund der aktuellen Lage an der südöstlichen Kurve der derzeitigen Frontlinien gelegen, spielt die Stadt wohl aus zwei Gründen eine Rolle für Russland. Deshalb versuche nach Aussage von Kofman, „das russische Militär, eigene Truppen zu opfern, die B-Auswahl gewissermaßen, um bessere ukrainische Einheiten zu dezimieren.“

Zum einen liegt Wuhledar in der Nähe der einzigen Eisenbahnlinie, die die Krim mit den von Russland kontrollierten Territorien im Osten verbindet. Immer wieder gibt es von dort Berichte über ukrainischen Beschuss auf russische Versorgungszüge. Zum anderen besitzt Wuhledar einen symbolischen Charakter für die Führung im Kreml. Denn militärische Meilensteine werden von Moskau propagandistisch genutzt, um im eigenen Land die „Spezialoperation“ vor der Bevölkerung zu rechtfertigen und den kritischen Stimmen zu legitimieren.

Russlands Großoffensive im Frühjahr: Putin kommt mit der Einnahme von Wuhledar den Zielen im Ukraine-Krieg näher

Und dennoch kommt der Stadt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung nach militärischen Gesichtspunkten. Mit der Einnahme von Wuhledar würde Putins Armee den beiden ausgegebenen Hauptzielen im Ukraine-Krieg ein beträchtliches Stück näherkommen. Denn abseits der Eroberung des gesamten Donbass inklusive der Luhansk und den Donezk-Regionen gehen diverse Militärexperten davon aus, dass Putin den eroberten Korridor zwischen der Krim und dem russischen Staatsgebiet ausweiten will.

Ein russischer Soldat geht in einem Schützengraben außerhalb von Wuhledar.
Neben Bachmut könnte auch Wuhledar in der Region Donezk eine besondere Bedeutung bei einer möglichen Großoffensive Russlands zukommen. © IMAGO/Sergey Averin

Diese Gebietsgewinne könnten Russlands Präsidenten auch einen politischen Ausweg für ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs bieten, in dem ein bekannter Politologe „Putins Niederlage höchstens für eine Frage der Zeit“ hält.

Russlands große Frühjahrsoffensive im Ukraine-Krieg: Soldaten und Wagner-Söldner strömen nach Saporischschja

Die Anzeichen verdichten sich auch für eine Großoffensive Russlands im Oblast Saporischschja. Unter anderem strömen wohl russische Soldaten und Söldner der Wagner-Gruppe in Massen nach Melitopol. Dies sagte Iwan Fjodorow, früherer ukrainischer Bürgermeister der Stadt, gegenüber der Nachrichtenagentur Ukrinform.

Blick auf zwei Autos, die nach ukrainischen Angaben bei einem russischen Raketenangriff zerstört wurden.
Saporischschja hat für Russlands Nachschublinien auf die Krim einen ganz besonderen Stellenwert. © dpa/Ukrinform

„Unglücklicherweise haben sie unsere Stadt, unsere Oblast, als logistisches und administratives Zentrum des besetzten Südens unseres Landes ausgewählt, weshalb sie sich dort massenhaft aufhalten“, sagte Fjodorow. Die Söldner und die russischen Soldaten würden „in Massen“ kommen und „sich in Häusern und sozialen Einrichtungen“ niederlassen.

Großoffensive von Russland: Moskau und Kiew sind sich strategischer Bedeutung von Saporischschja bewusst

Hintergrund ist, dass Moskau sich ebenso wie Kiew der strategischen Bedeutung der Städte Melitopol und Saporischschja im Ukraine-Krieg bewusst ist. Die Einnahme würde es der Ukraine ermöglichen, wichtige Nachschublinien auf die von Russland besetzte Krim abzuschneiden, die ein Ex-US-General als „Schlüssel“ für das Ende des Ukraine-Kriegs bezeichnet.

Selbst wenn die Ukraine „genug Wut“ im Bauch hat, scheint eine Rückeroberung der Krim in der aktuellen Lage im Ukraine-Krieg aussichtslos. Der oberste ukrainische Befehlshaber, Waleri Saluschni, gab unlängst zu, dass seine Truppen weder über die entsprechende Stärke noch das nötige Equipment verfüge, um so einen Angriff in die Tat umzusetzen.

Charkiw mögliches Ziel von Putins Armee in Russlands Großoffensive im Ukraine-Krieg

Als Objekt der Begierde für Russland im Ukraine-Krieg lässt sich wohl auch Charkiw einstufen. Trotz der unmittelbaren Nähe zur Grenze ist es Putins Armee im Verlauf der Kampfhandlungen nicht gelungen, die zweitgrößte Stadt im Nordosten der Ukraine unter ihre Kontrolle zu bringen.

Ein zerstörter Lieferwagen und ein durch russischen Beschuss zerstörtes Gebäude stehen in der Region Charkiw im Nordosten der Ukraine.
Mit der Eroberung von Charkiw könnte Russland der Ukraine einen möglichweise kriegsentscheidenden Schlag verpassen. © dpa / Ukrinform

Nichtsdestoweniger sah sich Charkiws Bevölkerung im Verlauf des Ukraine-Kriegs einem beinahe konstanten Raketenbeschuss ausgesetzt. In den vergangenen Wochen verzeichneten Beobachter einen Anstieg des Artilleriebeschusses auf zivile Areale in der Stadt. Ein mögliches Vorspiel für die Russlands Großoffensive?

Russlands Frühjahrsoffensive im Ukraine-Krieg: Strategische Vorteile für Putins Armee bei Eroberung von Charkiw

Die neuste Einschätzung des Institute for the Study of War (ISW) vom 8. Februar könnte das nahelegen. Der Analyse nach könnte die Russlands Frühjahrsoffensive hier bereits begonnen haben, da die russischen Operationen an der Grenze zur Region, besonders an der Frontlinie zwischen Swatowe und Kreminna im Oblast Luhansk zugenommen hätten. Russische Quellen berichten derweil von weiteren Angriffen auf die ukrainische Verteidigungslinie und marginale Gebietsgewinne für Putins Streitkräfte.

Nach Aussagen einiger Offiziere des hiesigen Militärs gegenüber der BBC wären sie „nicht überrascht“, wenn Putins Armee infolge des gefrorenen Bodens einen weiteren Vorstoß auf die Stadt wagen würde. Schließlich sind die strategischen Vorteile, die eine Eroberung von Charkiw mit sich bringen würde, auch dem russischen Militär nicht verborgen geblieben. So könnte die Einnahme nicht nur dazu führen, dass die Stadt von Kiew abgeschnitten werde, sondern gleichzeitig dafür sorgen, dass den stationierten ukrainischen Truppen südlich der Stadt der Rückzug nach Kiew verwehrt bliebe.

Russlands Großoffensive im Frühjahr: Kiew als ultimativer Preis im Ukraine-Krieg

Mehr als nur Sehnsüchte dürfte wohl auch Kiew selbst in Moskau wecken. Die Eroberung der ukrainischen Hauptstadt wäre nach Putins Maßstäben einer erfolgreichen Großoffensive im Frühjahr wahrscheinlich der ultimative Preis im Ukraine-Krieg. Doch auch wenn Befürchtungen offenkundig werden, dass sich die Geschichte wiederholen könnte, muss sich die militärische Führung in Russland wohl eingestehen, dass es nicht mehr 2022 ist. Damals verwandelte sich eine gemeinsame Militärübung der russischen Armee mit Belarus in einen beinahe widerstandslosen Vormarsch auf Kiew.

Von der Urkaine im Krieg erbeutete russische Waffen in Kiew.
Im Zuge der für möglich gehaltenen russischen Frühjahrsoffensive wäre Kiew wohl der ultimative Preis für Putins Armee. © Ulf Mauder / dpa

Nach Einschätzung der aktuellen Lage, scheinen sich die Ukraine und der Westen jedoch darüber einig zu sein, dass Kiew nicht annähernd der Gefahr einer Einnahme durch russische Truppen ausgesetzt ist wie noch im vergangenen Jahr.

„Wir sehen keine Verbände, die in der Lage wären, Kiew zu erreichen“, sagte beispielsweise der noch amtierende Verteidigungsminister Resnikow und verwarf die Möglichkeit eines Falls der ukrainischen Hauptstadt. „Abgesehen davon, ist es grundsätzlich unmöglich, Kiew einzunehmen. Es ist eine große Stadt mit vier Millionen Einwohnern, die bereit sind sich zu verteidigen.“

Russlands Frühjahrsoffensive am 24. Februar: Putins Armee hat das „Verlangen, etwas Großes zu tun“

Kiew wird wohl ein unrealistisches Ziel zu Beginn der befürchteten Frühjahrsoffensive von Putins Armee bleiben. Dennoch werde Russland nach Aussage des Leiters des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates versuchen, rund um den ersten Jahrestag des Kriegs am 24. Februar Vorzeigeergebnisse parat zu haben. „Sie müssen etwas zum Vorzeigen haben für ihre Leute“, sagte Olexij Danilow in einem am Dienstag in Kiew geführten Interview mit Reuters. „Sie haben das große Verlangen, bis zu diesem Datum etwas aus ihrer Sicht Großes zu tun.“

Ein anonymer ukrainischer Militärbeamter hat gegenüber der US-Zeitschrift Foreign Policy ebenfalls auf die bevorstehende Gefahr einer Frühjahrsoffensive hingewiesen. „In den nächsten 10 Tagen erwarten wir eine neue, riesige Invasion“, sagte der Beamte. Zudem drückte der Generalsekretär des estländischen Außenministeriums, Jonatan Wsewiow, laut der Zeitschrift seine Sorge: „Etwas kocht im Osten.“

Ob, wo oder wann und vor allem in welcher Intensität und mit welchem Erfolg eine mögliche Großoffensive Russlands im Ukraine-Krieg vonstattengehen wird, lässt sich zu dem gegebenen Zeitpunkt schwer sagen. Vieles wird dabei auch von den Vorbereitungen und der Widerstandskraft der Ukraine abhängen, die Putins Plänen bereits zu Beginn der russischen „Spezialoperation“ einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. (mst)

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