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Putin nutzt „nur Gewalt“: „Verkümmert“ nun Russlands Griff um Ex-Sowjetrepubliken?

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Von: Florian Naumann

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Russland greift mit offener und subtiler Gewalt nach seinen Nachbarn. Experten beurteilen diesen Weg kritisch: Andere Einflussmittel „verkümmern“.

Tiflis/London - Eine eigene „Einflusssphäre“ - an diesen Traum scheine die russische Führung um Wladimir Putin „wirklich zu glauben“, analysierte der Thinktank Chatham House schon 2021. Tatsächlich stand hinter dem Einmarsch in der Ukraine wohl auch das Ziel, eine kremlfreundliche Marionettenregierung zu installieren - das legen zumindest in Russland publik gewordene Dokumente nahe. Und in Moldau sorgen Berichte über konkrete russische Pläne zur Destabilisierung des Landes für große Sorge.

„Einfluss“ durch rohe und verdeckte Gewalt also? Ein erschreckendes Konzept. Und möglicherweise auch ein kontraproduktives. Mehrere Experten sahen auf Anfrage des britischen Guardian gerade wegen des rabiaten Kurses Russlands sanftere Einflussmittel auf seine Nachbarn schwinden. Und teils gar die für den Kreml zugängliche „Welt“ „schrumpfen“.

Georgien, Moldau, Armenien: Russland droht und poltert - und könnte dennoch Einfluss verlieren

Anzeichen dafür gebe es etwa in Moldau, in Georgien, im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, aber auch in Kasachstan, heißt in dem Bericht. So habe sich etwa in Moldau die Stimmung teils zugunsten einer Abkehr von russischem Gas gedreht. Im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt wiederum hinterlasse Russlands Fokus auf die Ukraine ein Vakuum, das der türkische Verbündete Aserbaidschan zu seinen Gunsten nutze. Sogar Partner aus dem Militär-Bündnis OVKS stimmten bei den Vereinten Nationen nicht mit Putin.

Tür zu: Wladimir Putin bei einem OVKS-Treffen - sitzt er bald allein im Kreml?
Tür zu: Wladimir Putin bei einem OVKS-Treffen - sitzt er bald allein im Kreml? © IMAGO/Sergei Bobylev

An weiteren Beispielen an mehr oder minder offenem Widerstand mangelt es nicht: Kasachstan hatte darauf verzichtet, die russischen Annexionen in der Ukraine anzuerkennen. Und in Georgien machten - vorerst - erfolgreiche Proteste gegen ein „Agenten-Gesetz“ nach russischem Muster Schlagzeilen. Sogar bei einem Gipfel ehemaliger Sowjetstaaten vor einigen Wochen war Wladimir Putin eine eher unerwartete Kühle entgegengeschlagen. Abzulesen war das allerdings eher an symbolischen Gesten. Ist der Kreml also auf dem Holzweg?

Russlands kalter Griff um die Ex-Sowjetstaaten: „Soft power“ - „hybride Aggression“ folgt

Bob Deen, Forscher des Clingendeal Instituts, attestierte Russlands Regierung jedenfalls einen Wechsel der Instrumente, weg von „soft power“ und hin zu harten Maßnahmen. In Moldau etwa habe das Land auf Verbindungen zu zahlreichen Politiker, eine massive Medienpräsenz und große Affinität bei Teilen der Bevölkerung zählen können. „All das schwindet jetzt wegen der Aggression gegen die Ukraine sehr schnell“, urteilte er.

Experten werten dabei allerdings nicht nur Waffengewalt als den Versuch eines harten Zugriffs auf die Nachbarn. Russland habe „Energieabhängigkeit, Kirchenabhängigkeit, Medien mit hybrider Aggression“ ins Feld geführt, sage der Politikwissenschaftler Iulian Groza aus Moldaus Hauptstadt Chisinau dem Guardian.

Ähnlich äußerte sich Katrin Böttger, Direktorin des Instituts für Europäische Politik in Berlin, im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Eine neuere Form der russischen Einflussnahme in Moldau sind gezielte Desinformationskampagnen in lokalen und regionalen Medien und natürlich auch auf Social Media“, warnte sie. „Das nimmt immer mehr zu und reicht von subtilen Akzentverschiebungen in der Darstellung von Politik bis hin zu eindeutigen Fake News.“

Ukraine-Krieg: „Alle Sicherheitsrisiken aus Russland“ verschärft - Putin „nutzt nur diese brutale Gewalt“

Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs hätten sich „alle Sicherheitsrisiken aus Russland“ verschärft, urteilte Groza. Zudem bedienten mittlerweile auch Regierungsvertreter die Angst vor einem „Ukraine-Szenario“, nicht mehr nur Propagandamedien. Die imperialistischen Ambitionen des Kreml beträfen offenbar auch Moldau.

Das führt einige Beobachter zu eindeutigen Schlussfolgerungen: „Russland hat seine ‚soft power‘ verloren“, sagte die georgische Politologin Kornely Kakatschia dem Guardian. „Sie wissen nicht mehr, wie man sie gegenüber seinen Nachbarn einsetzt. Sie nutzen nur diese brutale Gewalt.“

„Soft Power“

Den Begriff geprägt hat der US-Politikwissenschaftler Joseph Nye. Mittel der „soft power“ sind Attraktivität, geteilte Werte und Normen und eine Vorbildfunktion. In scharfer Abgrenzung steht er zu „hard power“, die auf Drohung und Einsatz von Militärgewalt beruht.

Dieses Vorgehen könnte seinen Preis haben. Temur Umarow vom Carnegie Endowment for International Peace in Kirgistan, machte schwindende Sympathien gerade in der jüngeren Bevölkerung aus. Russland habe lange „relativ stabil“ gewirkt. „Jetzt wird es nicht mehr als ein Vorbild gesehen, dem man folgen will“, urteilte er im Gespräch mit Guardian. Bis auf die politische Führung der betroffenen Länder sei das allerdings nicht durchgeschlagen. Sie verhalte sich eher pragmatisch - und versuche möglichst große ökonomische Gewinne aus der Situation zu schlagen.

Das britische Forschungsinstitut RUSI allerdings sah im November Russland kurz davor, seine Einflusssphäre im post-sowjetischen Raum „verkümmern“ zu sehen. Grund sei neben der Sorge Verbündeter vor Sanktionen, russischer Schwäche in den regionalen Bündnissen auch „erodierende soft power“. Das Jahr 2023 werde zeigen, ob der Kreml wieder als Vermittler in regionalen Konflikten auftreten könne - oder ob sich Putin auf das ebenfalls weitgehend isolierte Belarus verlassen müsse.

Putin und Lukaschenko auf Diplomatie-Offensive - zumindest im verbleibenden Spielraum

Zumindest in Zentralasien und bei weiter entfernten potenziellen Partnern setzen Russland und seine Verbündeten aber durchaus weiter auf „soft power“. Das zeigen die russische Charmeoffensive gen China, aber auch „Allianz“-Bestrebungen von Putins Außenminister Sergej Lawrow oder auch eine Iran-Reise des belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko.

„Weil der Weg Richtung Westen für Russland versperrt ist, interessieren sie sich verstärkt für Zentralasien“, sagte Kassenowa. „Ihre Welt ist geschrumpft - der Raum in dem sie arbeiten können und der Spielraum für ihre Handlungen.“ In Zentralasien könne Russland aber weiter „arbeiten“. Starke „weiche Machtfaktoren“ Russlands sah das Carnegie Endowment for International Peace im Januar etwa auch noch in Serbien. Zuletzt schloss (fn)

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