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Ex-Oligarch Chodorkowski fordert „Revolution“ - und schreibt den Bauplan für Russland „nach Putin“

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Von: Florian Naumann

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Ex-Oligarch Michail Chodorkowski (li.) skizziert in seinem Buch ein Russland nach Putin.
Ex-Oligarch Michail Chodorkowski (li.) skizziert in seinem Buch ein Russland nach Putin. © Imago/Itar-Tass/Vladimir Smirnov/Peter Udo Maurer/fn (Montage)

Der Ex-Oligarch Michail Chodorkowski ruft zur „Revolution“ gegen Putins Regime. Er fordert eine „linke“ Politik - und warnt vor alten russischen Mechanismen.

München/London - Fast ein Jahr währt Russlands Angriffskrieg in der Ukraine - und ein Ende ist nicht Sicht. Diese Aussichtslosigkeit hängt nicht zuletzt mit der Person Wladimir Putins zusammen. Der Kremlchef hat den Überfall angeordnet. Und er wird ihn wohl auch nicht ohne eine (noch so blutig errungene) Trophäe freiwillig beenden.

Dennoch ist klar: Irgendwann wird Putins Diktatur in Russland enden. Der Dauer-Präsident ist immerhin bereits 70 Jahre alt - und steht unter Erfolgsdruck. Für diesen Tag X muss sich das Land vorbereiten, meint der Ex-Oligarch Michail Chodorkowski. In seinem frisch auf Deutsch erschienenen Buch „Wie man einen Drachen tötet“ mahnt der Kreml-Kritiker Russlands Demokraten zu Vorkehrungen - von sehr praktischen Strategien für den Umsturz bis zu konkreten Plänen, um die Russen in einer zermürbenden Übergangszeit bei Stange zu halten.

Putins Russland: Chodorkowski liefert Revolutions-Leitfaden - „So nötig wie das Messer der Chirurgen“

Chodorkowski ist selbst eine schillernde Figur im Russland der Postsowjetära. In den wilden 90er-Jahren schwang er sich zu einem der reichsten Russen auf - mithilfe von Petro-Rubel und -Dollar. Beinahe ein Muster-Oligarch im teils noch liberalen Russland. Bis er sich mit Putin anlegte und im Straflager verschwand. 2013 ließ der Kremlchef seinen prominenten Gefangenen frei. Vielleicht wegen der nahenden Spiele in Sotschi, vielleicht wegen einer Bitte Angela Merkels, spekuliert Chodorkowski. Damit habe ihm Putin „das Leben gerettet“, schreibt Chordorkowski: „Ich habe mit Putin keine Rechnung mehr offen.“

Trotzdem ruft der mittlerweile 59 Jahre alte Wahl-Londoner zur „Revolution“ auf. Sie sei „unvermeidlich“, auch wenn sie eine „sehr düstere“ womöglich gewalttätige Seite habe. „Aber jetzt ist es zu spät, darüber nachzudenken: Die Revolution wird so nötig gebraucht wie das Messer des Chirurgen“, urteilt er.

Ein Bild aus scheinbar fernen Zeiten: Wladimir Putin (li.) und Michail Chodorkowski im Kreml.
Ein Bild aus scheinbar fernen Zeiten: Wladimir Putin (li.) und Michail Chodorkowski im Kreml. ©  Everett Collection/www.imago-images.de

Teile der gut 100 Seiten lesen sich wie ein Revolutionsleitfaden in fünf Schritten. Vom notfalls notwendigen Rückzug ins Ausland und der entscheidenden Bedeutung der Kommunikation zwischen den „Aufständischen“, bis zur gezielten Blockade von Gefängnissen und Polizei und zur taktischen Frage, wann zum Protest auf die Straße gerufen werden soll.

Wer das tue, müsse „den Angriff selbst leiten und dies nach allen Regeln der Revolution und Kriegsführung“ tun, mahnt Chodorkowski. Sonst gerieten „Menschen sinnlos unter die Polizeiknüppel“. Ohnehin wirke die Androhung von Gewalt immer besser als ihre offene Anwendung. Laufe der Aufstand aber erst einmal, müsse man auch Opfer in Kauf nehmen, „sonst werden es noch mehr Opfer werden, und vor allem werden sie vergebens gewesen sein“. Erstaunlicher scheinen aber die Passagen zum Aufbau eines „neuen Russland“: Der Ex-Oligarch fordert eine „linke“ Politik.

Russlands Erdgas-Einnahmen aufs Sparkonto der Bürger? Chodorkowski rügt „ungerechte Privatisierungen“

Man müsse eine chaotische Phase von bis zu zwei Jahren samt „Absturz“ von Wirtschaft und Politik einkalkulieren, schreibt Chodorkowski. Mehr zeitlichen Kredit habe eine provisorische Regierung auch gar nicht, wolle sie nicht selbst zu diktatorischen Mitteln greifen. Um die Sympathien zu erwerben, schlägt der einstige Privatisierungsgewinner vor, den Bürgern Einnahmen aus Russlands Ressourcenverkäufen auf individuelle Sparkonten zu überweisen - und „parasitäres Kapital des Putins-Clans“ zu enteignen und in Fonds zum Wohle der Allgemeinheit zu stecken. Von „ungerechten Privatisierungen“ schreibt Chodorkowski gar. Eingriffe bei Erbschaften schwerreicher Russen hält er für einen weiteren Hebel in einem Russland, das „exzessiven Konsum“ nicht „unanständig“ finde.

Es kam immer wie bei dem alten Witz über den Arbeiter, der Ersatzteile aus diverser ziviler Produktion aus seinem Betrieb nach Hause schleppte, aber wenn er sie zusam- menbaute, kam immer eine Kalaschnikow heraus. (...) Du kannst dir den Präsidenten Russlands noch so oft aus den Teilen der Verfassung bauen, das Ergebnis ist immer ein Zar.

Michail Chodorkowski fordert eine parlamentarische Demokratie für Russland

Auch mit Einschränkungen der Demokratie rechnet Chodorkowski für die Übergangsphase „nach Putin“ - die Duma müsse womöglich „demontiert“ werden, ein umbesetzter Staatsrat Entscheidungen treffen. Klare Zielvorstellungen nennt er aber ebenfalls: Eine parlamentarische Demokratie könne „angeborenen Selbstherrscherinstinkten“ Einhalt gebieten. Freie Rede müsse es jedenfalls im Endzustand für ausnahmslos alle geben. Und an die Stelle des russischen Imperiums müsse ein Nationalstaat treten. Mit „freier Wahl für die Völker Russlands als ‚Menschen, die lieber gemeinsam als getrennt leben.‘“ Wie realistisch das auch nach den Verletzungen der Ukraine-Mobilisierung ist, bleibt vorerst offen.

Der offenbar geläuterte Ex-Oligarch spricht sich zugleich für „Barmherzigkeit“ als neues Grundprinzip des russischen Staates aus. „Wer von uns heute wäre ohne Sünde und wollte den Stein werfen?“, meint er. Damit verschwinde das „wir“ und das „sie“. Eine Ausnahme zieht Chodorkowski gleichwohl ein: „Allerdings gab es auch die ‚Musterschüler‘, jene, die diese Matrix geschaffen und gepflegt, die die Nation verdorben und den Staat in einen Mafiastaat verwandelt haben. Sie sind die Hauptnutznießer. Und sie müssen anders behandelt werden.“

Problem Ukraine-Krieg: „Verbrecherisch“ - doch die Nationalradikalen drohen im Hintergrund

Chodorkowski geißelt auch den Ukraine-Krieg: Einen Sieg zu erstreben, sei „verbrecherisch und amoralisch“, mahnt er Putins mögliche Erben. Anders als der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow in dessen Buch „Putinland“ hofft Chodorkowski aber nicht auf ein gedemütigtes Russland. Die Gefahr eines Zerfalls Russlands sei ein Problem für eine provisorische Regierung - und mögliche Entschädigungsforderungen ein weiteres, müsse sie doch erst einmal „die dringendsten Probleme lösen, oder aber selbst stürzen und Nationalradikalen und sonstigen Populisten weichen“.

„In gewissem Sinne war es nicht Putin, der Russland gebrochen hat, sondern es war das traditionelle Russland, das Putin zerdrückt hat.“ 

Michail Chodorkowski

Eines macht Chodorkowski in seinem schmalen Buch sehr klar: Mit einem Abgang Putins alleine wäre Russland seiner Meinung nach nicht gerettet. „Kein Diktator ist unsterblich. Doch Putinismus, Stalinismus und Autokratie werden Russland immer wieder von Neuem heimsuchen, solange die gesellschaftspolitischen und institutionellen Voraussetzungen dafür bestehen“, betont er.

Es sei immer bequem, „das Böse zu personifizieren“. Letztlich sei es aber die russische Realität, die die Staatschefs breche. „In gewissem Sinne war es nicht Putin, der Russland gebrochen hat, sondern es war das traditionelle Russland, das Putin zerdrückt hat.“ Deshalb stellt Chodorkowski auch eine ernüchternde Prognose: Der Ausdruck „nach Putin“ sei ziemlich abstrakt. „Nicht ausgeschlossen, dass nach Putin genau so ein Putin wie er an die Macht kommt, womöglich in noch bösartigerer Ausführung.“ (fn)

„Wie man einen Drachen tötet“ ist am 15. Februar im Europa-Verlag erschienen.

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