„Putin muss scheitern“: Warum Scholz so vorsichtig spricht – und damit richtig handelt

Muss die Ukraine den Krieg „gewinnen“? Olaf Scholz bleibt auch am Abend der Leopard-Ankündigung vorsichtig bis vage. Mit gutem Grund, kommentiert Florian Naumann.
Olaf Scholz will nun doch liefern - Leopard-Panzer für die Ukraine. Eine dicke Lieferung gab es auch am Mittwochabend im ZDF-Interview des SPD-Kanzlers: Allerdings vor allem an Wortmaterial zur Interpretation, nicht an glasklaren „Wumms“-Ansagen.
Neuralgische Punkte dabei: Die einmal mehr weggeredete Frage, ob die Ukraine den russischen Angriffskrieg „gewinnen“ muss. Und die nach wie vor ausgebliebene Begründung für das wochenlange, fast schon quälende Zögern in der Leopard-Frage. Scholz wich mal wieder eher in Andeutungen und Floskeln aus.
Klar ist: Es wäre besser, wenn der Bundeskanzler deutlicher mit den Menschen in Deutschland spricht. Mit seinen Entscheidungen und Haltungen hat der Kanzler allerdings ganz überwiegend recht. Und an wichtigen Punkten auch mit seiner Wortwahl.
Ukraine-Krieg: Für Scholz‘ Leopard-Abwarten gibt es Gründe – auch wenn der Kanzler sie nicht nennt
Zunächst: Warum das Zaudern? Scholz blieb den Klartext erneut schuldig. Er erklärte in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Scholz?“, man solle Panzer nicht aus „innenpolitischen Motiven“ liefern – ein Seitenhieb auf seine Kritiker. Andererseits sagte er, die Menschen in Deutschland erwarteten ein Abwägen. Auch das: eine innenpolitische Begründung. Das klingt paradox. Das ist es auch. Und nur ungefähr die Hälfte der Wahrheit. Falsch ist es dennoch nicht.
Woran Olaf Scholz womöglich denkt: Russland adressiert mit Drohungen und Propaganda auch die Menschen in Deutschland. Indirekt zu erleben war das etwa in heftigen Debatten über Kriegssanktionen. Scholz darf aber den Rückhalt für seine Ukraine-Politik nicht verlieren, denn davon würde nur Russland profitieren. Bisweilen hilft demonstratives Warten und „Abwägen“ in dieser Hinsicht. Beispielsweise beim Streit um ein Gas-Embargo vor einigen Monaten, wenn auch auf anderen Wegen.
Nicht offen sagen wollte der Kanzler zugleich, dass er auf Panzer-(Mit)lieferungen aus den USA gepocht hat. Das hätte er ruhig tun
können, es liegt auf der Hand. Daran ist auch nichts verwerflich. Selbst wenn in Washington Insider angeblich mit den Augen rollen und Kritiker eine deutsche Führungsrolle vermissen: Einem geschlossenen Bild der Nato schadet es sicher nicht, wenn neben Großbritannien und Deutschland auch die USA Kampfpanzer liefern. Ebenso wenig wie dem Rückhalt für die Lieferungen in Deutschland. „Führungsrollen“-Prestige ist da sehr zweitrangig. Die Eigenständigkeit der EU wird sich nicht an Leopard-Lieferungen entscheiden. Da warten nachhaltigere Prüfungen.
„Russland muss scheitern“: Das Herz mag einen Ukraine-„Sieg“ fordern – doch Scholz‘ Worte passen
Und dann bleibt da noch das ewige „Russland darf nicht gewinnen“. Wäre nicht ein „die Ukraine muss gewinnen“ das, was die Ukrainer und viele Menschen im Westen hören wollen? Ja, mit Sicherheit. Aber die Erfahrung lehrt, dass der Kreml jedes Wort propagandistisch ausschlachtet, notfalls auch aus dem Kontext gerissen. Man sollte aber noch nicht einmal von Ferne die wirre Verschwörungstheorie ermöglichen, die Ukraine betreibe aktiv einen Krieg. Das Land hat in einem herkömmlichen Sinne nichts zu „gewinnen“. Es ringt um seine Existenz; um das Leben, das Wohl und die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Es wird keine „Gewinner“ in Putins Ukraine-Krieg geben.
Zugleich könnte der Kanzler verhindern wollen, dass es irgendwann über Umwege heißt, Deutschland habe Angriffe auf - völkerrechtlich! - russisches Territorium gutgeheißen oder gefordert. Wohl deshalb auch auf Nachfrage nur „die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren“ und „Russland muss scheitern, mit dem, was es sich vorgenommen hat“.
Das mag kleinlich erscheinen, zumal Wolodymyr Selenskyj solche Angriffe ja ausschließt. Aber solange Scholz klarstellt, dass die
Invasion keinerlei Erfolg haben darf, ist das ein kleiner Preis für eine womöglich noch einmal hilfreiche Errungenschaft: Nicht wie eine Kriegspartei aufzutreten. Und damit einerseits keine Vorwände für (noch so unrealistische) Attacken zu liefern. Und zugleich
die Tür für (derzeit leider ebenfalls unrealistische) Verhandlungen etwa im Normandie-Format zumindest einen Spalt offen zu lassen. Herzhafte Rhetorik dürfen andere üben. Abseits des Kanzleramtes.
Florian Naumann