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„Putin meint es ernst“: Schweden zaudert beim Nato-Beitritt - Finnland könnte historische Verbindung brechen

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Von: Florian Naumann

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Drohungen des Kreml bereiten Finnland und Schweden Sorge. Die Nato würde die „Schnellspur“ für die Skandinavier öffnen - doch es geht um eine historische Entscheidung.

Stockholm/Helsinki - Gut drei Wochen nach dem Start des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist weiter kein Verhandlungsfrieden in Aussicht. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat am Freitag auch deshalb das Ende der deutschen „Neutralität“ angekündigt.

Schwerer tun sich zwei EU-Partner mit diesem Bekenntnis - auch weil für sie die Neutralität noch wesentlich stärker politische Realität ist: Schweden und Finnland denken über einen Beitritt zur Nato nach, Ausgang offen. Das Verteidigungsbündnis selbst hat die Tür nun weit geöffnet. Doch gerade in Schweden sind die Bedenken groß. Womöglich lässt Finnland den langjährigen, engsten Partner zurück.

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„Wir wissen, dass Schweden und Finnland die Nato-Beitrittsvoraussetzungen erfüllen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag (17. März). Ein Beitritt könne „schnell“ geschehen, auf der „Schnellspur“, erklärte er - ohne allerdings konkrete Zeiträume nennen zu wollen. Voraussetzung sei allerdings, dass die Länder Aufnahmeanträge stellten, fügte er hinzu. Doch genau dieser Punkt ist noch ungeklärt. In Finnland. Und vor allem in Schweden.

Die Moderater, die größte konservative Partei im schwedischen Riksdag, griffen die deutliche Einladung Stoltenbergs zwar noch am Donnerstagabend auf. „Schweden rechnet mit der Hilfe anderer, wenn es sich verteidigen muss. Aber nur, wenn wir in der Nato sind, bekommen wir das garantiert“, hieß es in einem Tweet der Partei.

Die Regierungsgeschäfte führen gleichwohl die Sozialdemokraten - in einer von drei Parteien tolerierten Minderheitsregierung. Dieses Bündnis sieht die Sachlage aktuell überwiegend anders. In einer Abstimmung am Mittwoch votierten die Sozialdemokraten selbst, aber auch Linke und Grüne gegen einen Nato-Beitritt - als einzige der tolerierenden Parteien sprachen sich die wertkonservativ-grüne Centerparti für den Schritt aus.

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Generell ist das bürgerliche Lager Schwedens dem Bündnis weitaus zugetaner. Links der Mitte gibt es größere Bedenken. Aus historischen Gründen - aber auch aus der Sorge, ein Beitritt könne einen russischen Angriff provozieren oder zumindest die Lage im Ukraine-Konflikt weiter verschärfen, wie zuletzt die früh konflikterprobte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson betonte. Auch eine starke pazifistische Tradition im lange sozialdemokratisch geprägten Schweden spielt eine Rolle.

Am Donnerstag folgte ein Treffen zwischen den schwedischen Parlamentsparteien zur sicherheitspolitischen Lage. Natürlich betrachte man dabei auch das Thema Nato-Beitritt, sagte Verteidigungsminister Peter Hultqvist im Anschluss. Außenministerin Ann Linde beeilte sich aber auch klarzustellen: Ziel der sicherheitspolitischen Analyse sei es nicht, eine klare Marschroute in Sachen Nato auszuarbeiten. So oder so: Bis zum 31. Mai soll ein Abschlusspapier vorliegen.

Aktuelle Umfragen zeigen auch einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. Nach einer repräsentativen Erhebung des schwedischen Institutes Novus lagen das Pro- und Kontra-Nato-Lager noch am Jahresanfang fast gleichauf. In der Woche vom 10. bis 16. März sprachen sich 47 Prozent der Befragten für und 30 Prozent gegen einen Beitritt aus - wobei der Befürworter-Anteil Anfang des Monats mit 49 Prozent noch etwas höher lag.

Interessanterweise verwiesen die Demoskopen darauf, dass nur ein Teil der Umfrage nach den jüngsten Entwicklungen in Finnland durchgeführt worden war. Der Subtext: Schweden hat sein Nachbarland genau im Blick.

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In Finnland schlägt das Pendel noch klarer Richtung Nato-Beitritt aus. Erst vor einigen Wochen hatte eine Umfrage im Auftrag des öffentlich-rechtlichen Senders YLE erstmals eine Mehrheit für den Schritt ermittelt. Am Montag wies eine neue Erhebung unter 1400 Befragten sogar einen Zuspruch von 62 Prozent aus. Sollte Schweden mitgehen, wären sogar 77 Prozent der Finnen für einen Nato-Beitritt.

Nun könnte es recht schnell gehen: Laut der Webseite hbl.fi soll dem Parlament in drei Wochen ein Gutachten zur Frage vorliegen. Präsident Sauli Niinistö kündigte bereits an, die Eduskunta solle „möglichst bald“ beraten und entscheiden. In der Debatte ist auch ein Traditionsbruch - ein Beitritt ohne den engen Partner Schweden. Niinistö dachte laut YLE allerdings auch laut über eine Volksabstimmung nach.

Der Journalist Markus Ekholm kommentierte für den Sender, die Entscheidung falle schwer. Zugleich sei aber unter Experten klar, dass die Nato Russland in einem konventionellen Krieg überlegen sei. Ebenso klar sei, dass es „Putin ernst meine“.

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Warum der Gleichschritt für die Länder so wichtig ist, erklärte unterdessen der frühere schwedische Regierungschef und Außenminister Carl Bildt in einem Gastbeitrag für die Washington Post. Er verwies auf die stets engen Verbindungen zwischen beiden Ländern in Sachen Bündniswahl: In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei für Finnland an der Westgrenze der Sowjetunion eine Nato-Mitgliedschaft nie in Frage gekommen. Schweden habe ebenfalls verzichtet - aus der Sorge heraus, ein Beitritt könne Stalin zu einem Überfall auf das Nachbarland veranlassen.

Auch nach dem gemeinsamen Beitritt in die EU 1995 und zur „Nato-Partnerschaft für den Frieden“ gemeinsam mit Russland sei eine volle Nato-Mitgliedschaft kein Thema gewesen. Die Lage habe sich erst mit Wladimir Putins Übergriffen auf Nachbarländer wie Georgien und eben die Ukraine ab 2008 geändert - nun nehme die Debatte an Fahrt auf. Grund seien auch negative Zukunftsaussichten: Nach längerem Zögern habe sich Schweden zur Lieferung von Waffen an die Ukraine entschieden, erinnert
Bildt, von angeblich 17.000 dort eingetroffenen panzerbrechenden Waffen stammten 5000 aus schwedischen Armee-Beständen. Bildts Folgerung: „Das Verhältnis mit dem Regime in Moskau wird fast sicher eines tiefer Abneigung sein, solange Putin an der Macht bleibt.“

Es ist nicht verborgen geblieben, dass die Vereinigten Staaten in der Krise eine deutliche Linie zwischen den Staaten gezogen haben, für die der Nato-Artikel-5 gilt und denen, für die das nicht der Fall ist.

Schwedens Ex-Regierungschef Carl Bildt in einem Gastbeitrag für die Washington Post

Die Entscheidung über den Beitritt werde stark von „Politik“ und „politischer Führung“ bestimmt sein, mutmaßt Bildt. Trotz eines Verweises auf Für und Wider lässt der Konservative Bildt in seinem Beitrag keine Zweifel an seiner persönlichen Meinung aufkommen: Es gebe „keinen Weg zurück in eine Vergangenheit illusorischer Neutralität“, schreibt er. Es gebe nur die Wahl zwischen einem „leicht unsicheren Zwischendrin und der Anerkennung einer neuen Realität und dem Schritt in eine volle Mitgliedschaft“.

Das sei auch in Schweden klargeworden, meint der 72-Jährige: „Es ist nicht verborgen geblieben, dass die Vereinigten Staaten in der Krise eine deutliche Linie zwischen den Staaten gezogen haben, für die der Nato-Artikel-5 gilt und denen, für die das nicht der Fall ist.“ Bildt hatte schon Ende 2021 eine beunruhigende Einschätzung zu Wladimir Putins Absichten abgegeben. (fn)

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