Problematische Persönlichkeiten: Experte erklärt, warum „Reichsbürger“ ähnlich ticken wie Musk
Die Aufarbeitung der bundesweiten Razzia gegen „Reichsbürger“ läuft. Ein Experte erklärt, wie sie charakterlich einzuschätzen sind – und warum viel Geld in falschen Händen gefährlich ist.
Köln – Wie man „Reichsbürger“ am effektivsten bekämpft, ist umstritten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will ein schärferes Waffenrecht durchsetzen und Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, fordert: Der Verfassungsschutz soll genauer hinschauen. SPD-General Kevin Kühnert sieht das Problem vor allem in Bayern, weil dort ein Viertel aller bundesweit bekannten „Reichsbürger“ leben.
Dabei wäre es doch zunächst einmal wichtig, vorn anzufangen und zu verstehen, wie die Charaktere in dieser Szene ticken. 21.000 Menschen zählt das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem aktuellen Jahresbericht zu denjenigen, die die Autorität und Souveränität der Bundesrepublik abstreiten. Was sind das für Leute?
Das Profil der „Reichsbürger“: Sich selbst als Souverän begreifen
Für David Meiering ist klar: Ihr Weltbild erinnert an Elon Musk. An der Humboldt-Universität Berlin untersucht er, welche Narrative extremistische Gruppen zusammenhalten. Bei den „Reichsbürgern“ sei diese Mechanik sehr klar. „Es geht darum, sich selbst als Souverän zu begreifen“, sagt er der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA.

Beispiel Wolfgang P. aus dem bayerischen Georgensgmünd: 2016 hatte er einen SEK-Beamten erschossen, als die Polizei ihm seine Waffen abnehmen wollte. Wolfgang P. fiel den Behörden nur auf, weil er sich weigerte, seine Kfz-Steuer zu bezahlen. Den Zoll jagte er vom Hof mit den Worten, sie würden „fremdes Staatsterritorium betreten“. Für Meiering ist das ein Sinnbild: „Der Staat bin ich – und ich erkenne und löse meine Probleme selbst.“
Die Dinge selbst anpacken, keine Hilfe wollen und selbstbestimmt leben: Es liegt nahe, dass der Typus des Unternehmers bei den „Reichsbürgern“ häufig anzutreffen ist. Meiering erzählt von Peter Fitzek, der in Sachsen-Anhalt das Königreich Deutschland ausgerufen hat. Er betrachtet sich selbst als „König von Deutschland“. Fitzek gründete unter anderem eine vermeintlich eigene Rentenkasse. Das Ziel: Pseudo-legitimierte Parallelstrukturen aufbauen und damit die real existierenden staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen obsolet machen, sagt der sächsische Verfassungsschutz.
„Reichsbürger“: Ideologische Überschneidungen mit der amerikanischen Tech-Szene
„Fitzeks Ansatz ist bei den ‚Reichsbürgern‘ typisch“, sagt Meiering. Für dieses Charakterprofil gibt es in der Soziologie mittlerweile einen eigenen Ausdruck: „libertärer Autoritarismus“. Ein sperriger Begriff, der aber die internationale Perspektive eröffnet. „Wir haben es mit einer überdrehten Form des Liberalismus zu tun. Weiter fortgeschritten sehen wir das in den USA, besonders in der Tech-Szene. Da sind Menschen unterwegs, die sich selbst als Mittelpunkt der Welt begreifen und dem Glauben anhängen, selbstständig die Welt zu verändern. Elon Musk ist dafür das beste Beispiel“, sagt Meiering. Dabei spiele auch Narzissmus eine sehr große Rolle.
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Nun könnte man meinen: Lasst sie halt machen. Doch gerade am Fall von Musk zeigt sich: Größenwahn wird gefährlicher, wenn ein Mensch über viel Geld verfügt. Auch die „Reichsbürger“ sind gut ausgestattet. „Das gefundene Vermögen ist einmalig. Goldbarren im Wert von 6 Millionen Euro, 400.000 Euro Bargeld und die Immobilien“, sagt Meiering. „Die Häuser sind besonders wichtig, um sich konspirativ treffen zu können.“
Experte zu „Reichsbürger“: „Der Verfassungsschutz unterschätzt die Überschneidungen“
Bleibt die Frage: Wie sieht es mit dem rechten Rand aus? Der Verfassungsschutz sagt: alles nicht so dramatisch. In seinem im Juni 2022 vorgestellten Bericht werden gerade mal etwas mehr als fünf Prozent aller „Reichsbürger“ als Rechtsextremisten eingestuft. Ein Fehler? „Der Verfassungsschutz unterschätzt die Überschneidungen, da gibt es einige – zum Beispiel den Antisemitismus, der bei Rechtsextremisten und ‚Reichsbürgern‘ sehr ausgeprägt ist“, sagt Meiering.

Er verweist auf Birgit Malsack-Winkemann, festgenommene Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete. Sie wurde immer dem gemäßigten Flügel zugeordnet. „Diese Fehleinschätzung lässt tief blicken. Die Verbindungen in das Parlament müssen jetzt überprüft werden. Seit Björn Höcke 2018 sein Buch veröffentlicht hat, wissen wir, dass es eine Strategie ist, die Sicherheitsbehörden zu unterwandern. Deswegen wäre es wichtig, dort genauer hinzuschauen und auch den parlamentarischen Arm, die AfD, stärker zu kontrollieren.“
Dennoch findet Meiering es richtig, zu differenzieren. Denn es gebe große Unterschiede zwischen Rechtsextremismus und „Reichsbürgern“: „Rechtsextremismus unterteilt Menschen in höher- und minderwertige Gruppen. Bei den ‚Reichsbürgern‘ die Abschaffung der Demokratie im Vordergrund.“ Um das zu verhindern, will die Bundesregierung jetzt mehr Geld für politische Bildung ausgeben. Das Ziel: Das Vertrauen der Bürger in die Demokratie stärken. Bleibt zu hoffen, dass die „Reichsbürger“ den Vertrauensverlust in die Demokratie nicht auch noch selbst lösen wollen.