Russland und China nun Online-Zuflucht für US-Rechtsextreme - Warum sich Moskau und Peking gerne anbieten

Bei Parler fanden Trump-Anhänger und Verschwörungstheoretiker eine Heimat. Nun springen China und Russland ein. Dafür gibt es Gründe.
- Die App Parler war ein Zufluchtsort für Trump-Anhänger und Verschwörungstheoretiker - nun wurde sie vom Netz genommen.
- Doch zunehmend wenden sich extremistische Websites Anbietern in Russland und China zu.
- Hoffnung ruht auf regulatorischen Vorgaben unter Joe Biden - auch, wenn Randgruppen sich weiterhin an autoritären Staaten orientieren dürften.
- Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 22. Januar 2021 das Magazin Foreign Policy.
Der Gründer des neonazistischen Online-Schundblatts The Daily Stormer hatte einen Tipp für die Betreiber von Parler, nachdem die App letzte Woche vom Netz genommen worden war: Bittet China oder Russland um Hilfe.
Parler – ein Zufluchtsort für die Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und Verschwörungstheoretiker, die zu extrem für Twitter und Facebook sind – war nicht mehr zugänglich, nachdem es aus den App-Stores von Google und von Apple genommen und dann von Amazons Hosting-Diensten gelöscht worden war: Die Plattform hatte es versäumt, Drohungen und Aufrufen zu Gewalt während der aufständischen Unruhen am US-Kapitol Anfang Januar Einhalt zu gebieten.
„Ich möchte Folgendes zu 100 % klarstellen“, schrieb Andrew Anglin auf dem Daily Stormer, kurz nachdem Parler gesperrt worden war. „Keine Internetfirma wird eure Meinungsfreiheit unterstützen, wenn die Medien sagen, dass ihr keine Meinungsfreiheit haben solltet – außer chinesischen oder russischen.“
Sowohl Peking als auch Moskau sind sehr geschickt darin, Informationen zu zensieren, die sie für inakzeptabel halten. Insbesondere Peking betreibt den umfangreichsten und ausgeklügeltsten Zensurapparat, den die Welt je gesehen hat. Dass beide scheinbar zu sicheren Häfen für extremistische Inhalte aus dem Westen geworden sind, ist Zeichen einer beunruhigenden, wachsenden Allianz zwischen Rechtsextremen und autoritären Regierungen.
Rechtsextreme Plattformen: Gruppen wenden sich zunehmend an Anbieter in China und Russland
Anglin muss es wissen. Seine feindselige Website wurde nach der tödlichen „Unite the Right“-Kundgebung 2017 in Charlottesville (US-Bundesstaat Virginia) vom Netz genommen. Anglin hatte die Seite genutzt, um den Tod der Gegendemonstrantin Heather Heyer zu rühmen, was eine Reihe von Organisationen, einschließlich des Websiteinfrastruktur-Anbieters Cloudflare, dazu veranlasste, ihre Dienste zu beenden, wodurch The Daily Stormer (vorübergehend) offline war.
Um eine Website online zu halten, ist die Zusammenarbeit einer langen Liste von oft unsichtbaren Diensten erforderlich, darunter Transit-Provider, Webhosting- und Content-Delivery-Netzwerke, autoritative und rekursive Domain-Name-System(DNS)-Provider, Domain-Registrare, -Registrys und Internet-Service-Provider. Die Rolle von Plattformen an der Spitze dieses „Technik-Turms“ wie Facebook und Twitter, die es versäumen, Inhalte zu moderieren, ist wohlbekannt. Doch erst in jüngster Zeit wurden auch einige jener zugrunde liegenden Dienste gezwungen anzuerkennen, dass es kein neutraler Akt ist, toxische Websites am Leben zu halten.
The Daily Stormer und andere extremistische, weiß-nationalistische Plattformen haben sich einen Weg zurück ins Internet gebahnt, gestützt auf eine schwindende Zahl von Schlupfwinkelanbietern: Meinungsfreiheits-Absolutisten im Westen, aber auch – in entscheidendem Maße – zwielichtige Opportunisten in China und Russland. Ihr ultimatives Ziel: Websites, die nicht von den Diensten der Mainstream-Webhosting- und -Websiteschutz-Firmen abhängig und dadurch schwieriger vom Netz zu nehmen sind. Das ist ein Weg, den Parler nun eingeschlagen hat, mithilfe des russischen Websiteschutz-Anbieters DDoS-Guard.
Neonazistische Plattform Daily Stormer bekundet Unterstützung für KP in China - Aufruf App WeChat nutzen
Ein zentraler Bestandteil der Strategie des Daily Stormer war es, seinen DNS-Dienst aus China zu beziehen. Ein DNS ist ein Dienst, der die Zahlenfolge, aus der eine IP-Adresse besteht, in leserfreundliche Domainnamen wie foreignpolicy.com verwandelt (quasi eine Art Telefonbuch für das Internet). Das DNS des Daily Stormer wurde, wie Ars Technica erstmals 2019 feststellte, „über eine große Anzahl einzelner IP-Adressen verteilt, die alle von China aus bedient werden“.
Eine Whois-Anfrage ergibt, dass der vom Daily Stormer verwendete Domainname über die Firma Eranet International Limited registriert wurde, ein in Guangdong ansässiges Unternehmen, das im Jahr 2000 gegründet und 2005 in Hongkong unter Todaynic.com, Inc. als Gesellschaft eingetragen wurde. Das Unternehmen ist ein akkreditierter Registrar sowohl bei der in Kalifornien ansässigen Internet Corporation for Assigned Names and Numbers als auch beim China Internet Network Information Center, Chinas oberstem Internet-Administrator.
„Neue Hosts zu finden ist keine große Sache“, meinte Anglin in seinem Ratschlag an Parler und fügte hinzu: „Für mich war es ziemlich einfach, denn ich war immer relativ pro-PRC [Volksrepublik China], oder zumindest nicht anti-PRC.“ Aber, so betonte er, alle rechten Seiten, die Peking weiterhin kritisierten, „werden deutlich weniger freundlich empfangen werden als ich“.
Ein Blick in die Archive des Daily Stormer bestätigt Anglins Behauptung. Er schreibt häufig über seine Unterstützung von Pekings Politik gegen uigurische Muslime und argumentiert, dass in China mehr Meinungsfreiheit herrsche als in den Vereinigten Staaten. Anglin hat sogar für eine chinesische Besetzung des Westens als Alternative zu einer angeblichen „Judenherrschaft“ plädiert und die Rechten dazu aufgerufen, die chinesische Messaging-App WeChat als „sicherere“ Alternative zu anderen Sofortnachrichtendiensten zu nutzen.
Rechtsextreme Gruppen: Christchurch-Attentäter bewunderte KP - Pekings Unterdrückung der Uiguren
Während rechtsextreme Gruppen oft behaupten, gegen die Kommunistische Partei Chinas zu sein, ist eine Pro-Peking-Haltung bei Daily-Stormer-Lesern wie dem Terroristen von Christchurch erkennbar, einem australischen Verfechter der Vorherrschaft der Weißen („White Supremacy“), der 2018 dreimal für die Website spendete – ein Jahr, bevor er 51 muslimische Gläubige in zwei Moscheen in Christchurch, Neuseeland, ermordete. Der Terrorist reiste zwischen 2014 und 2015 sechs Mal nach China und schrieb in seinem Manifest, China sei die Nation mit den politischen und sozialen Werten, die seinen eigenen am nächsten kämen, und dass er „nicht-diverse“ Nationen bewundere. Die ideologische Verankerung der Kommunistischen Partei Chinas im Marxismus-Leninismus ist einem selbstsicheren Ethnonationalismus gewichen, insbesondere unter Xi Jinping. Das abschreckendste Beispiel für diese Haltung ist Pekings Unterdrückung und Unterwerfung von Millionen Uiguren.
Eine weitere Option für extremistische Websites wie den Daily Stormer bieten russische Internetdienstleister.
Nachdem die Website zunächst ein in China gehostetes DNS verwendet hatte, wechselte sie zu einer .su-Adresse – mit der Top-Level-Domain für die ehemalige Sowjetunion. Noch bis Samstag bot die russische DDoS-Guard Schutz vor Distributed-Denial-of-Service-Angriffen für das Hosting-Unternehmen VanwaTech im US-Bundesstaat Washington, welches wiederum Hosting-Services für The Daily Stormer und 8kun bereitstellte – das Forum, früher als 8chan bekannt, das mit weißem Rassismus, Neonazismus, Antisemitismus, mehreren Massenschießereien und Kinderpornografie assoziiert wird. Nach einer Untersuchung durch den Guardian hat DDoS-Guard die Verbindung zu VanwaTech gekappt.
Russland: Russische Internetdienstleister als weitere Option für extremistische Websites
Laut dem Guardian wurde DDoS-Guard „am 24. November 2017 von Alexey Likhachev und Evgeniy Marchenko – zwei russischen Geschäftsleuten, die nach wie vor Eigentümer des Unternehmens sind – als „limited partnership“ eingetragen: eine Finanzstruktur in Schottland, die es Personen mit Auslandswohnsitz ermöglicht, ohne große Überprüfungen Unternehmen zu gründen“. Die Gesellschaft, unter der DDoS-Guard registriert wurde, heißt Cognitive Cloud und ist unter einer Adresse in Edinburgh, Schottland, eingetragen.
Zu der vom Cybersecurity-Experten Brian Krebs zusammengestellten Liste von DDoS-Guard-Kunden, die sich wie eine Verbrecherkartei liest, gehört z. B. HK Leaks, eine Website, die sich auf das Doxxing von Demonstranten und Journalisten in Hongkong spezialisiert hat – dieses Zusammentragen und Veröffentlichen personenbezogener Daten im Internet wird offenbar von Gruppen mit Verbindungen zur Kommunistischen Partei Chinas gefördert. Andere Kunden sind laut Vice das russische Verteidigungsministerium, der russische Geheimdienst FSB und, wie Krebs berichtete, die offizielle Website der Hamas, der palästinensischen Gruppe, die von der US-Regierung als terroristische Organisation eingestuft wird.
Bislang wurden toxische Websites nur ad hoc aus dem Internet verbannt, und in der Regel immer nur nach einem gewalttätigen Ereignis, das mit Online-Aktivitäten auf solchen Websites in Verbindung stand. Und selbst dann muss eine lange Liste von Dienstanbietern, die den „Technik-Turm“ bilden, gemeinsam beschließen, eine Website vom Netz zu nehmen. Jeder einzelne dieser Dienste „könnte Online-Inhalte regulieren“, wie Matthew Prince, der CEO von Cloudflare, in einem Blogbeitrag schrieb, in dem er die Entscheidung seines Unternehmens aus dem Jahr 2017 begründete, dem Daily Stormer keine Proxy- und DNS-Dienste mehr zur Verfügung zu stellen. „Die Frage ist: Welcher von ihnen sollte es tun?“
Biden-Regierung in den USA: Hoffnung auf regulatorische Vorgaben
In jenem sowie einem weiteren Beitrag des Cloudflare-CEO von 2019 – in dem er erklärte, warum sein Unternehmen die Dienstleistungen für 8chan beendete, nachdem eine Reihe von Massenschießereien in El Paso (Texas), Dayton (Ohio), Poway (Kalifornien) und Christchurch (Neuseeland) durch das Forum inspiriert worden waren – bettelte Prince die Regierungen förmlich an, einzugreifen und regulatorische Richtlinien aufzustellen.
Es bleibt zu hoffen, dass unter der neuen Biden-Administration in den Vereinigten Staaten solche regulatorischen Vorgaben auf den Weg gebracht werden. Aber selbst wenn es so weit kommt, werden Randgruppen und Extremisten mit ihren Websites vermutlich weiterhin Zuflucht in anderen Ländern wie Russland und China suchen, wo sie diplomatischem, politischem und juristischem Druck leichter standhalten können.
Anglin vom Daily Stormer sieht es schon kommen: „Mein einziger Rat ist Folgender“, schrieb Anglin neulich auf seiner Website. „Redet mit den Chinesen. Vielleicht schauen sie sich eure Inhalte nicht an, oder vielleicht unterstützen sie euch so oder so, auch wenn ihr anti-China seid, weil ihr euch gegen die US-Regierung stellt. Ich weiß es nicht. Aber das ist eure einzige Chance.“
von Fergus Ryan
Fergus Ryan ist Analyst am Zentrum für Internationale Cyber-Politik des Australian Strategic Policy Institute.
Dieser Artikel war zuerst am 22. Januar 2021 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern von Merkur.de zur Verfügung.
