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Experte hält historischen Putin-Fehler für möglich - „Ließe Zusammenbruch der Sowjetunion unwichtig aussehen“

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Von: Florian Naumann

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Wladimir Putin am Montag in St. Petersburg - hier bei einem Telefonat für eine Wohltätigkeitsaktion.
Wladimir Putin am Montag in St. Petersburg - hier bei einem Telefonat für eine Wohltätigkeitsaktion. © Alexei Nikolsky/www.imago-images.de

Die Nato blickt mit Sorge gen ukrainische Grenze. Ein früherer Regierungschef und Top-Diplomat hält einen folgenschweren russischen Schritt für möglich - und warnt Putin.

Moskau/Stockholm - Vor gut 30 Jahren hatte der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ ausgerufen. Dass es so weit noch lange nicht ist, zeigt sich dieser Tage einmal mehr auf beunruhigende Weise: In Form plötzlich wackelig erscheinenden Grenzziehungen mitten in Europa. Die Ukraine ist in Sorge über eine mögliche russische Invasion.

Die Existenz des Konflikts könne auch mit Präsident Wladimir Putins Willen zu einer für ihn vorteilhaften Geschichtsschreibung zu tun haben, deutete zuletzt der erfahrene schwedische Außenpolitiker und Diplomat Carl Bildt an. Er hielt eine russische Invasion nicht für ausgeschlossen - ebenso wie einen kapitalen Trugschluss oder gar eine „Tragödie“ Putins: Am Ende könne der Zusammenbruch der Sowjetunion verglichen mit den Folgen von Putins Fehlern unbedeutend aussehen, schrieb Bildt kurz vor Weihnachten in einem Beitrag für die Webseite Project Syndicate.

Putin-Scheitern: Experte Bildt attestiert grobe Fehler - „Zusammenbruch der Sowjetunion dagegen unwichtig“

Über die Feiertage hatte es an der ukrainischen Grenze gewisse Signale der Entspannung gegeben: Russland erklärte sein umstrittenes Militärmanöver für beendet. Doch die Sorgen sind damit nicht beendet. Putin strebe die „Zerstörung“ der Ukraine und die Wiederherstellung der Sowjetunion an, sagte der ukrainische Sicherheitsberater Danilow noch am Freitag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Deutschland müsse die Besorgnis seiner östlichen Nachbarn ernst nehmen, appellierte am Montag auch Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU).

Bildt schien in seinem wenige Tagen alten - und vom scheidenden Münchner Siko-Chef Wolfgang Ischinger als Pflichtlektüre empfohlenen - Artikel ebenfalls nicht mit einem fundamentalen Kurswechsel Moskaus zu rechnen: Putin folge einem „acht Jahre alten Skript“, urteilte er - im Herbst 2013 sei es darum gegangen, die Ukraine, aber auch Moldau und Armenien von der Unterzeichnung von Freihandelsabkommen abzuhalten, schrieb der frühere schwedische Regierungschef und Außenminister. Er attestierte Putin aber ein fundamentales Scheitern. „Nicht nur scheiterte Putin daran, das EU-Ukraine-Freihandelsabkommen aus der Bahn zu werfen, er hat es auch geschafft, die Ukraine von einem freundlich gesinnten Nachbarn in ein Land zu verwandeln, das Russland als gefährlich und feindselig wahrnimmt“.

Bildts trockener Kommentar: „In fremde Länder einzumarschieren ist ein historisch erprobtes Mittel, sich dauerhaft Feinde zu schaffen“. Nun stehe Putin vor der peinlichen Aussicht, als jener russischer Anführer in die Geschichte einzugehen, „der die Ukraine verloren hat“, fügte er hinzu, wohl mit Blick auf „weiche“ russische Einflusssphären. „Sogar der Zusammenbruch der Sowjetunion könnte letztlich weniger wichtig aussehen als Putins Schnitzer“, meinte Bildt. Ein satter Seitenhieb auf das von Putin wiederholt beklagte Ende dieser Ära einer russisch geprägten Großmacht.

Russland mit neuen Machtansprüchen: Putin nimmt „regionale Sicherheit“ in den Blick - per Fake-News?

Auch einen Ausblick wagte Bildt. Putin habe seine Corona-Quarantäne im Sommer offenbar genutzt, um die Geschichte zu studieren - und mit Machtansprüchen des Kremls auf die Ukraine und Weißrussland klargemacht, dass er seine Fehler ausbügeln wolle. Plausibel scheine, dass der russische Präsident die Situation der USA nach dem missglückten Afghanistan-Rückzug ausnutzen wolle: Ziel sei es, Joe Bidens Regierung zu Zugeständnissen zu bewegen, allen voran zu einer Absage an eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, schrieb Bildt weiter.

Der Hintergrund: Nach dem Flop beim Versuch, die wirtschaftliche Bindung der Ukraine an die EU zu verhindern, stünden nun „regionale Sicherheitsthemen“ im Fokus. Dazu nutze Russland auch Behauptungen über geplante Raketenstationierungen in der Ukraine oder Genoziden an der russischsprachigen Bevölkerung. Daran gebe es gleichwohl „nicht die leiseste Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit“.

Putin: „Wunsch nach einem Groß-Russland“? - Carl Bildt sieht Kreml auf „gefährlichem Pfad“

Der Pfad für eine diplomatische Lösung sei schmal und die Zeit knapp, erklärte Bildt, der einst auch als Hoher UN-Repräsentant für Bosnien und Herzegowina tätig war - zumal die Nato nicht tolerieren könne, dass Ländern die Möglichkeit genommen werde, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Das gelte etwa auch für Finnland, betonte der Schwede. Auch Sorgen über mögliche Folgeforderungen Russland erschwerten die Lage.

Zwar gebe es den Vorschlag, die Zahl konventioneller Truppen in Europa offenzulegen und zu limitieren. Allerdings habe Russland solche Angebote wiederholt zurückgewiesen - und sie seien auch keine Lösung für Putins „Wunsch, ein Groß-Russland zu schaffen“. Eine russische Invasion in der Ukraine sei zwar ein „extremes“ Szenario, aber trotz aller Gefahren für die russische Wirtschaft nicht auszuschließen: Der Kreml habe sich auf „einen gefährlichen Pfad“ begeben. (fn)

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