„Ich möchte leben“: Immer mehr Russische Soldaten rufen bei ukrainischer Hotline an und wollen sich ergeben
Die ukrainische Militärführung hat eine Hotline eingerichtet, um den russischen Soldaten im Einsatz eine Kapitulation zu erleichtern. Die Nachfrage steigt immer mehr.
Kiew — Der Ukraine-Krieg wütet weiter mit extremer Grausamkeit. Auch wenn es keine verlässlichen Zahlen zu den Verlusten der beiden Kriegsparteien gibt, dürften diese zum Ende des Jahres neue Höhen erreichen. Mykhailo Podolyak, der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sprach am Freitag von bis zu 13.000 gefallenen Soldaten auf Seiten der Ukrainer. Das ukrainische Verteidigungsministerium bezifferte die Zahl der russischen Verluste ebenfalls am Freitag auf über 90.000 Menschen. Beide Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden und weichen stark von den durch Russland angegebenen Verlusten ab.
„Ich möchte leben“: Ukraine richtet Hotline für russische Deserteure ein
Um den grausamen Krieg zu überleben, greifen russische Rekruten zu verzweifelten Maßnahmen und ergeben sich kampflos den ukrainischen Truppen. Um diese Vorgänge zu vereinfachen, hat das ukrainische Militär bereits im September eine Hotline eingerichtet. Bei dieser können russische Soldaten anrufen, nachdem sie in die Ukraine versetzt wurden und dort ihre eigene Kapitulation planen.

Wie der britische Sender BBC berichtet, sollen die ukrainischen Behörden seit Auflage des Projekts mit dem Namen „I want to live“ (dt. „Ich möchte leben“) Kontakt zu 3.500 russischen Soldaten gehabt haben. Die Zahlen sollen nach dem Rückzug aus Cherson deutlich angestiegen sein.
Ukrainisches Militär will russischen Soldaten Kapitulationen erleichtern — „teils verzweifelt, teils frustriert“
„Oft sind sie teils verzweifelt, teils frustriert, weil sie nicht ganz verstehen, wie die Hotline funktioniert oder ob es sich nur um eine Falle handelt“, erzählte eine Mitarbeiterin des Projekts gegenüber der BBC. Viele Männer würden die Hotline auch schon vor dem Einsatz in der Ukraine anrufen, um ihre Kapitulation frühzeitig planen zu können. Auch deswegen ist die Hotline mittlerweile für Handys mit russischer SIM-Karte nicht mehr erreichbar.
Die Hotline zeigte BBC Passagen aus dem Austausch mit russischen Soldaten und Rekruten. Ein russischer Bürger aus Moskau schreibt demnach etwa: „Haben Sie Empfehlungen für mich, was ich machen soll? Ich werde keine Ukrainer töten. Ich möchte mein Leben retten.“ Ein weiterer fragt: „Ich weiß nicht genau, was ich tun soll, wenn die Ukrainer kommen. Auf die Knie fallen, oder was? Was muss ich machen, wie ergebe ich mich?“
„Wir wollen vor allem die Teilmobilisierten ansprechen, die nicht nur nicht kämpfen können, sondern als Kanonenfutter hineingeworfen werden“, sagte Vitalii Matviyenko, der Leiter von „I want to live“. Er betonte: „Dieses Projekt wurde geschaffen, damit ihr Leben garantiert ist, wenn sie sich freiwillig ergeben.“ Präsident Selenskyj hatte in der Vergangenheit wiederholt den Vorwurf an Russland geäußert, schlecht ausgebildete Rekruten als Kanonenfutter an die Front zu schicken.
Krieg gegen Russland: Ukrainische Website gibt Tipps zum Desertieren
Auf der Internetseite visitukraine.today können russische Soldaten weitere Informationen einsehen. Russischen Bürgern wird dort empfohlen, sich verdeckt zu halten und im Falle des Einzugs in die Armee ins Ausland zu fliehen. Sollten sie dennoch eingezogen werden, liefert das Portal auch Informationen zur Kapitulation. Dazu sollen die Soldaten eine von den zwei Hotlines von „I want to live“ anrufen, die offenbar 24 Stunden am Tag erreichbar sind. Darüber hinaus gibt es anscheinend auch Wege über die Messengerdienste Telegram und WhatsApp, sich mit der Organisation in Verbindung zu setzen.
Danach sollen die kapitulationswilligen Soldaten die Magazine ihrer Waffen herausnehmen, einen weißen Stoff hochhalten und sich mit erhobenen Händen ukrainische Stellungen offenbaren. Dabei sollen sie laut „Zdayus“ (russisch, „Ich ergebe mich“) rufen. Die ukrainische Militärführung verspricht den Deserteuren eine angemessene Behandlung als Kriegsgefangene und eine Möglichkeit, Freunde und Familie in Russland anzurufen.
Hotline für Deserteure: Ukrainisches Militär setzt auf Austausch von Gefangenen
Die Soldaten würden so lange in Kriegsgefangenschaft bleiben, bis sie im Rahmen eines Gefangenenaustausches gegen ukrainische Kriegsgefangene ausgetauscht werden können oder bis der Krieg vorbei ist. Weiter verspricht die ukrainische Führung den Soldaten auch, dass sie als „im Gefecht gefangen genommen“ dokumentiert werden, um ihre freiwillige Kapitulation vor den russischen Behörden zu verschleiern.
Bereits kurz nach der von Präsident Wladimir Putin ausgerufenen Teilmobilisierung in Russland hatten unzählige Männer im kampffähigen Alter versucht, das Land zu verlassen und so einen Kriegseinsatz zu umgehen. Gesicherte Zahlen zu der Anzahl an russischen Deserteuren gibt es jedoch nicht. (fd)