Bau von „Wagner-Linie“ gestoppt: „Putins Koch“ gibt neue Hinweise auf Risse in Russlands Machtapparat

Der Chef der „Gruppe Wagner“ spricht offen über Spannungen in Kreml-Zirkeln und veröffentlicht eine Version der Frontverteidigung, die Putins Angaben zuwiderläuft.
Luhansk - Mitte Oktober hatte Jewgeni Prigoschin, der Chef der Gruppe Wagner, bekannt gegeben, dass seine Söldnertruppe eine abgesicherte Linie aufbauen wolle, um die besetzte Region Luhansk im Ukraine-Krieg zu „verteidigen“. Wie nun bekannt wurde, sorgte er damit offenbar für Unstimmigkeiten innerhalb des russischen Machtzirkels. Denn seine Darstellung des Verteidigungsverlaufs stimmt nicht mit der offiziellen Kreml-Version überein.
Ukraine-Krieg: Verteidigungslinie der Wagner-Gruppe stimmt nicht mit Kreml-Version überein
Der Hardliner Jewgeni Prigoschin gilt eigentlich als Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Allerdings war er zuletzt immer wieder auch mit kritischen Äußerungen zum Kriegsverlauf aufgefallen. Nun hat der als „Putins Koch“ bekannt gewordene Oligarch Details zur „Wagner-Linie“ bekannt gemacht. Die Karten zeigen, dass die von Prigoschin vorgeschlagene „Wagner-Linie“ die Grenze zwischen dem Gebiet Belgorod und den ukrainischen Gebieten Sumy, Charkiw und Luhansk verteidigen würde. Die Pläne der Verteidigungslinie offenbaren aber auch, dass der Norden des Gebiets Luhansk nicht geschützt wäre, hieß es in einer Analyse der US-Kriegsexperten des Institute for the Study of War (ISW) vom Samstag. Dies stünde im Widerspruch mit den Versprechungen des Kreml, Luhansk ganz zu verteidigen.
Im Wesentlichen verteidige die „Wagner-Linie“ demnach nur jenes Gebiet, das Russland bereits vor dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar kontrolliert hatte, so die ISW-Experten weiter. Die Verteidigungslinie umfasse einige neu besetzte Siedlungen wie Lyssytschansk, Zolote und Popasna, schließe aber Kreminna und Sewerodonezk aus. Der britische Geheimdienst unterstützt die Ansichten der US-Kriegsexperten offenbar. Laut Prigoschin könnte auch der Fluss Siwerskyj Donez in die Verteidigungszone integriert werden, hieß es vonseiten der britischen Geheimdienste vom Sonntag. Auf veröffentlichten Bildern sei ein Abschnitt mit neu errichteten Panzerabwehrsystemen und Gräben südöstlich der Stadt Kreminna in der Region Luhansk zu sehen, so die Geheimdienstler weiter. Offenbar will Putins Koch nur jene Gebiete verteidigen, von denen er glaubt, dass er sie tatsächlich halten kann - und nicht das, was der Kreml gerne hätte, resümieren die ISW-Kriegsexperten.
Spannung in russischen Machtzirkeln: Offenbar gibt es beim Thema Krieg zwei Lager
Die russische Stadt Belgorod wurde zuletzt russischen Angaben zufolge immer wieder von Geschossen getroffen. Nationalistische russische Kreise werfen dem Kreml vor, die Grenze zu Belgorod nicht ausreichend zu verteidigen. Prigoschin könnte mit seinen Äußerungen laut ISW-Experten versuchen, diese Forderungen an Putin zu verstärken. Außerdem kritisierte der Wagner-Chef offen, dass russische Regionalbeamte den Ausbau der „Wagner-Linie“ pausiert hätten.
In einer Mitteilung im Kurznachrichtendienst Telegram lieferte Prigoschin deshalb nun ganz konkrete Anhaltspunkte für Spannungen innerhalb des russischen Machtzirkels. Dieser sei in zwei Teile gespalten: „Diejenigen, die bewusst versuchen, das russische Volk vor möglichen Provokationen des Feindes zu schützen, und andere, in der Regel Mitglieder der Regierung und der Verwaltungen auf verschiedenen Ebenen, die sich direkt gegen die Interessen der Bevölkerung stellen“, wird der Oligarch dort zitiert. „Man kann sie als bürokratische Feinde bezeichnen“, so seine Ausführungen weiter. Zuletzt hatte es immer wieder Berichte über Meinungsverschiedenheiten in Putins Machtapparat gegeben.
Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums deuten die Vorbereitungen des Wagner-Projekts darauf hin, dass Russland „erhebliche Anstrengungen unternimmt, um die Verteidigung hinter der aktuellen Frontlinie gründlich vorzubereiten, was wahrscheinlich schnelle ukrainische Gegenoffensiven abschrecken wird“. Dass der Bau nun aber gestoppt oder zumindest unterbrochen worden sein soll, wirft Fragen auf.