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Olaf Scholz und die kaputte Turbine – Warum Putins Druckmittel keinen Druck mehr fabriziert

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Von: Marc Beyer

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht vor der in Kanada für die Erdgas-Pipeline Nordstream 1 gewarteten Turbine. (Archivbild)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht vor der in Kanada für die Erdgas-Pipeline Nordstream 1 gewarteten Turbine. (Archivbild) © Bernd Thissen/dpa

Noch im Sommer blickte das ganze Land auf eine Gasturbine, von der angeblich die Zukunft russischer Lieferungen abhing. Obwohl sie seitdem nicht bewegt wurde, ist sie kein Aufreger mehr.

München – Für ein Objekt dieser Größe ist die Gasturbine, auf die ein paar Sommerwochen lang halb Deutschland schaute, erstaunlich unsichtbar. Aus der öffentlichen Wahrnehmung ist sie fast vollständig verschwunden, dabei ist der Aufenthaltsort alles andere als geheim. „Sie steht immer noch in Mülheim“, sagt eine Sprecherin von Siemens Energy. Auf dem Werksgelände des Konzerns im Ruhrgebiet, dort, wo Olaf Scholz dem Trumm Anfang August einen vielbeachteten Besuch abstattete.

Ukraine-News: Scholz und die Gasturbine - Debatte durch Explosion jäh beendet

Die Botschaft, die damals auf allen Kanälen transportiert wurde, lautete: Von unserer Seite spricht nichts gegen ein Wiederhochfahren der von russischer Seite reduzierten Gaslieferungen. Die Turbine, deren Wartung angeblich die vereinbarten Transporte verhinderte, müsse nur eingebaut werden.

Dazu kam es bis heute nicht. Eine Weile argumentierte der Gazprom-Konzern mit fehlenden Dokumenten, dann hakte es angeblich an weiteren Turbinen, ehe die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee die Debatte um russische Lieferungen jäh beendeten.

Russlands und das Narrativ der kaputten Gasturbine - das perfide Spiel des Kremls

Das kolossale Ersatzteil wirkt heute wie ein Relikt aus einer Zeit, als uneingeschränkte Gasimporte trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine zumindest theoretisch noch denkbar schienen. Doch das war schon damals nur eine Illusion. In Wahrheit war sie in jenen Sommerwochen bloß Requisite in einem russischen Schmierenstück, das allein dem Zweck diente, den Westen energietechnisch am langen Arm verhungern zu lassen.

Dass das Kalkül nicht aufging, ist längst offensichtlich. Deutschland erhält sein Gas nun hauptsächlich aus Norwegen oder den Niederlanden, zum Teil aus Katar, man hat eine Flüssiggas-Infrastruktur aus dem Boden gestampft und die Speicher gut gefüllt. Russland hingegen kriegt seine Ware kaum noch los und muss es schon als Erfolgsmeldung verkaufen, dass man dem heimischen Markt so viel günstige Energie zur Verfügung stellen könne. Tatsächlich hat das vor allem damit zu tun, dass die Exporte in den Westen im vierten Quartal 2022 um fast 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgingen. Der Westen hat sich von Moskau unabhängig gemacht.

Gas-Lieferungen über Nord-Stream 2 - Deutschland muss Russland nicht mehr vertrauen

Dass Russland bei diesem Thema keine Macht mehr ausspielen kann – und sich dessen bewusst ist –, wurde zuletzt Ende Dezember deutlich. Da deutete der stellvertretende Ministerpräsident Alexander Nowak an, sein Land könne Lieferungen an den Westen über die durch Polen führende Jamal-Pipeline wieder aufnehmen. Im Frühjahr hatte der Kreml diese eingestellt, als Reaktion auf die Weigerung Warschaus, künftig in Rubel zu zahlen. Unter dem Eindruck eingebrochener Exportzahlen sagt Nowak nun, der europäische Markt bleibe „relevant“.

Im Bundeswirtschaftsministerium reagiert man kühl. Eine Sprecherin verweist auf Anfrage unserer Zeitung auf die Situation im Sommer, als Moskau – Stichwort Turbine – die Lieferungen an Deutschland auf 40 und zeitweise sogar 20 Prozent der zugesicherten Menge reduzierte. „Auch hier hätte über Jamal bereits geliefert werden können, das ist nicht passiert.“ Man hat gute Gründe, den Russen nicht mehr zu vertrauen. Man muss es auch nicht mehr.

Russische Gas-Lieferungen an Deutschland: Gazprom schweigt zur Zukunft der Nord-Stream-Pipelines

Selbst die Frage, wie es mit den beiden Nord Stream-Pipelines weitergeht, ist für die deutsche Energieversorgung nicht mehr von Belang. Seit den Explosionen im September ist vieles unklar, sowohl die Verantwortlichen des Sabotageakts als auch die Zukunft der Röhren. Ende November kündigte die Nord Stream AG lediglich an, dass Pipeline 1 mindestens bis April außer Betrieb bleibe. Seitdem herrscht Ruhe.

Sowohl Nord Stream als auch Gazprom lassen Fragen zur Pipeline und einer möglichen Wiederaufnahme von Gaslieferungen unbeantwortet. Aber im Grunde ist auch das eine Aussage. Es gibt schlichtweg nichts mehr, was man von russischer Seite ankündigen könnte. (Marc Beyer)

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