„An Realität vorbei“: Begleitet von Applaus liefert sich FDP-Urgestein Gefecht mit Wagenknecht über Putin

Ist ein Frieden mit Russland weiterhin denkbar? Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht äußert bei Maischberger ihre Meinung dazu.
Berlin - „Ihre Analyse geht an der Realität vorbei“, begleitet von Szenenapplaus liefert sich das FDP-Urgestein Gerhart Baum eine Redeschlacht mit Sahra Wagenknecht von den Linken. Sandra Maischberger hat für ihren Polit-Talk im Ersten die beiden Politiker erneut zum Thema Ukraine zusammengebracht. Bereits vor einem Jahr - kurz vor dem Einmarsch der russischen Truppen - diskutierten die zwei über Russlands Rolle.
Neu, aber auch überraschend, mutet die emotionale Intensität der Gesprächspartner an. Baum, der Ende der 1970er Jahre unter Bundeskanzler Helmut Schmidt deutscher Innenminister war, wiederholt, was er bereits mehrfach verkündete: Ein Frieden in der Ukraine sei nicht möglich, solange Wladimir Putin an der Macht sei. Wagenknecht räumt dagegen den westlichen Verbündeten mehr Schlagkraft ein: Der Westen sei in der Pflicht, den Ukraine-Krieg zu beenden, befindet die Linke.
„Maischberger“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Gerhart Baum (FDP) - Bundesinnenminister a.D.
- Sahra Wagenknecht (Die Linke) - Bundestagsabgeordnete
- Helge Schneider - Musiker und Kabarettist
Als Experten:
- Cherno Jobatey - Editor-at-Large bei Focus Online
- Dagmar Rosenfeld – Chefredakteurin der Welt am Sonntag
- Markus Feldenkirchen - Schriftsteller, Kommentator der phoenix-Sendung „Rosenfeld/Feldenkirchen“
Die Argumente beider Seiten dürften den meisten Zuschauern bereits bekannt sein, das macht die Diskussion teilweise langatmig. Wagenknecht fordert einen Stopp der deutschen Waffenlieferungen. Baum hält die Vorstellung seiner Sitznachbarin für „naiv“. Auch Maischberger scheint die Urteilsfähigkeit der Linken eher skeptisch zu beurteilen, konfrontiert Wagenknecht mit deren fataler Fehleinschätzung: „Sie hatten damals gesagt: ‚Russland will nicht in den Donbass einmarschieren‘. Wie kann es sein, dass Sie sich so geirrt haben?“
FDP-Politiker Gerhart Baum befindet: „Putin ist nicht friedensfähig“
Wagenknecht antwortet ausweichend. Sie habe sehr wohl auf die Gefährlichkeit der Lage hingewiesen und thematisiert, dass Russland eine Ausweitung der Nato auch mit militärischen Mitteln verteidigen würde, rechtfertigt sich Wagenknecht und lässt keinen Zweifel daran, wen sie für den wahren Aggressor hält: „Ich bin auch nach wie vor überzeugt: Dieser Krieg wäre vermeidbar gewesen.“ Die Linken-Politikerin sieht trotz der blutigen Kämpfe und Verluste auf beiden Seiten, aber auch eine Möglichkeit zum Frieden durch eine „diplomatische Initiative“.
Keine Seite könne diesen Krieg militärisch gewinnen, so Wagenknecht weiter, der Krieg müsse am Ende am „Verhandlungstisch beendet werden“. Daher frage sie sich: „Warum nicht heute? Sondern übermorgen oder in drei Jahren…“ Hinsichtlich der vielen Opfer und der Eskalationsgefahr, die auch Deutschland betreffe, sei diese Haltung unverantwortlich – dafür bekommt sie Applaus aus dem Publikum.
Baum sieht Putin als nicht verhandlungsfähig: Er hat nichts anderes als Krieg
Das Ziel müsse „Frieden und Freiheit“ sein, befindet auch Gerhart Baum. Der erfahrene Politiker sieht in der russischen Regierung unter Putin jedoch eine Anknüpfung an den Stalinismus. „Putin ist nicht friedensjährig“, so Baum. Das Motiv des sich bereits seit 20 Jahren an der Macht befindenden russischen Staatsoberhauptes sei die „Aggression“: „Putin hat nichts anderes als den Krieg.“ Und er erinnert: Putins erklärtes Ziel sei die Vernichtung der Ukraine.
Als Maischberger Ausschnitte aus der aktuellen Rede anlässlich der sich jährenden Zweite-Weltkrieg-Schlacht in Stalingrad einblendet, in der Putin Parallelen zur heutigen kriegerischen Auseinandersetzung zieht und die deutschen Waffenlieferungen kritisiert, bricht es aus Baum heraus. „Unmöglich“. Baum weiter: Putin habe „die ganze Welt in Brand gesetzt“, sagt der vom Kalten Krieg geprägte Politiker. Wichtig sei es, zu verdeutlichen: „Wir sind als Demokratien nicht wehrlos.“
Maischberger will von Wagenknecht wissen: Wollen Sie eine eigene Partei gründen?
Wagenknecht sieht dennoch Möglichkeiten: Der Westen müsse ein Angebot machen, das „Neutralität und ein Einfrieren der Frontlinien“ vorsehe, um im Anschluss über den Donbass und die Krim zu verhandeln. Auch eine international beaufsichtigte Abstimmung in den besetzten Gebieten hält sie für denkbar.
Ob sie wegen der innenparteilichen Auseinandersetzungen eine neue Partei gründen wolle, hakt Maischberger dann noch bei Wagenknecht nach. Die weicht der Frage aus, doch Maischberger lässt nicht locker. Als sie keine Antwort bekommt, wendet sie sich an Gerhart Baum: „Würden Sie Frau Wagenknecht dazu raten?“ Der antwortet, ohne zu zögern: „Nein“. Wagenknecht lächelt gequält.
Helge Schneider hält sich aus der Diskussion um Waffenlieferungen raus: Verstehe davon nichts
Sehr viel entspannter verhält sich Musiker Helge Schneider, der zur Sendung mit Stock erscheint, zum Thema Waffenlieferungen: „Wovon ich keine Ahnung habe, darüber spreche ich gar nicht“, sagt der 67-Jährige. Er könne keine Panzer oder Waffen bauen, nicht einmal zielen oder schießen, habe dreimal den Wehrdienst verweigert. Die Debatte seiner Vorredner habe er sich jetzt „mal angehört“, setzt Schneider an. Doch als Maischberger wissen will, wie er sie fand, antwortet Schneider lediglich mit: „Naja …“ - damit hat er die Lacher des Publikums auf seiner Seite. Wer von den beiden ihm denn besser gefalle, will Maischberger wissen. Und Schneider landet auch mit seiner nächsten Antwort eine Pointe: „Wagenknecht“, sagt er, „die hatte das schönere Kleid“.
Emotional wurde dann aber auch Schneider als es um die Kritik der „kulturellen Aneignung“ ging, die sich weiße Jazzmusiker, wie Schneider einer ist, ebenfalls gefallen lassen müssten. „Immer wieder erfinden Leute Regeln heutzutage, um auszuloten, was man noch machen darf“, so Schneider. Er mache, die Musik, die er fühle. Der Entertainer mit Nachdruck: „Und wenn jemand dann sagt, das ist kulturelle Aneignung, dann interessiert mich das einen Scheißdreck.“
Fazit des „Maischberger. Die Woche“-Talks
In Bezug auf die Waffenlieferungen sprach Experten-Kommentator Cherno Jobatey von einem Déjà-vu. Das Gefühl stellte sich auch bei der Diskussion von Wagenknecht und Baum ein. Neues brachte diese nicht, die Aufgeregtheit wirkte stellenweise anstrengend. Entspannt und amüsant war dagegen Helge Schneider. Von ihm hätte man zu später Stunde gerne mehr gehört. (Verena Schulemann)