Krisen-Talk bei Illner – Kann Deutschland Leo-Panzer liefern? „Aus Sicht der Bundeswehr auf keinen Fall“

Dass Boris Pistorius ein guter Verteidigungsminister sein wird, darüber ist sich die Runde bei Maybrit Illner einig. Olaf Scholz kriegt dennoch sein Fett weg.
Berlin – Verkehrte Welt bei Maybrit Illner am Donnerstag (19. Januar): Aus der Opposition erhält der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) an diesem Abend fast noch mehr Zustimmung als aus Koalitions-Reihen. Serap Güler etwa, Verteidigungsexpertin der Unionsfraktion, ist voll auf Regierungskurs. Bei Pistorius könne man „definitiv nicht von zweiter Wahl sprechen“, sagt sie, und ergänzt: „Er verdient absolute Unterstützung.“
„Neuer Minister, alte Probleme – letzte Chance für die Zeitenwende?“ hatte Illner ihre Sendung überschrieben. Genau dort sieht Güler einen Knackpunkt. Wenn es tatsächlich wahr sei, dass Pistorius erst am Montag von seiner Berufung erfuhr, sei offenbar „die Zeitenwende beim Kanzler selbst nicht angekommen“. Denn Vorgängerin Christine Lambrechts Rücktrittsabsicht sei seit dem 3. Januar bekannt gewesen.
Mit einem Einspieler im Stil der Quizsendung „Dalli Dalli!“ hatte Illner die Runde auf den Abend eingestimmt. Motto: Jetzt muss es schnell gehen mit dem Verteidigungsministerium und vor allem mit den weiteren Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg. Ob diese sinnvoll sind, steht nicht zur Debatte.
Zwischen den Zeilen blitzt allerdings die Unsicherheit durch, was den Zustand der russischen Armee angeht. Militärexperte Carlo Masala etwa warnt davor, Russland zu unterschätzen. Der Kreml habe genügend Soldaten in der Hinterhand und produziere in großen Mengen Waffen und Munition. Dazu passend lässt Illner ein Zitat Wolfgang Ischingers einspielen, des ehemaligen Chefs der Münchner Sicherheitskonferenz: „Die Ukraine verschießt pro Tag soviel Munition, wie wir in einem halben Jahr produzieren.“
Mit Maybrit Illner diskutierten diese Gäste:
- Kevin Kühnert (SPD-Generalsekretär)
- Serap Güler (CDU-Bundestagsabgeordnete)
- Carlo Masala (Militärexperte)
- Anna Sauerbrey (Zeit-Journalistin)
- Thomas Kleine-Brockhoff (German Marshall Fund)
- André Wüstner (Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbands)
Güler sucht den „Kanzler, der auch erklären kann“
Was also liefern in die Ukraine und wieviel? Am besten viel und schnell, darüber ist sich fast die gesamte Runde einig. Nur SPD-General Kevin Kühnert tritt auf die Bremse und sagt, Scholz sei in seinen Entscheidungen auch deshalb so vorsichtig, weil es ihm um „den Zusammenhalt der Gesellschaft“ in der Waffenfrage gehe, nicht nur um die Abstimmung mit den Verbündeten. Güler gibt zu bedenken: „Die Umfragen würden anders ausfallen, wenn wir einen Kanzler hätten, der auch erklären kann.“ Im Moment werde Scholz „als zögernd wahrgenommen“. Man müsse sich jetzt auf das richtige Panzermodell einigen und liefern. Güler: „Idealerweise wäre das der Leo 2“.
Der Leopard-Kampfpanzer sei allerdings keine Wunderwaffe, warnt Masala. Jetzt geht es richtig in die Details. Masala: „Der Leo wäre nicht in der Lage, gegen die moderneren T 72 der Russen – T 90 sollen jetzt auch an die Front gefahren werden – in einem klassischen Panzerduell zu bestehen“, sagt er. „Das kann dann nur der Leo 2. Und der 2 A5 wird es sein, nicht der 2 A7, also nicht das neueste Modell, sondern das Vorgängermodell.“ Das wäre also geklärt.
Interessant wird es, als Zeit-Journalistin Anna Sauerbrey den Blick auf das große Ganze zu weiten versucht: „Mir ist immer noch nicht klar: Was ist eigentlich das Ziel, das Interesse Deutschlands in diesem Krieg?“ Auf diese Frage sucht die Runde keine Antwort. Sauerbrey setzt nach: „Es gibt eine ganze Menge Floskeln, die ohne Ende wiederholt werden. Die Ukraine darf nicht verlieren, die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Aber was heißt das eigentlich für uns?“ Vielleicht habe man auch vergessen, dem Kanzler selbst „ diese Frage eindringlich genug zu stellen“, konstatiert Sauerbrey. „Seine persönliche Bockigkeit, sich von niemanden in nichts treiben lassen zu wollen, damit hat er sich letztlich unbeweglich gemacht.“
Illner im ZDF: Bundeswehrverbands-Chef warnt – Truppe ist „mehr oder weniger nackt“
Ein erschreckendes Bild der Truppe zeichnet der Bundeswehrverbandschef André Wüstner. „Wir sind mehr oder weniger nackt. Die Lage in der Bundeswehr ist so prekär wir nie zuvor.“ Auf Illners Frage, ob er „die Leos hergeben“ würde, antwortet er: „Aus der Sicht der Bundeswehr: auf keinen Fall.“ Der Panzer sei auch nur eines von vielen Puzzlestücken. „Elementar ist Artillerie, Flugkörperabwehr. Dennoch wird man irgendwann über die Schwelle Leo gehen müssen.“
Wüstner erläutert, warum die aktuelle Lage wenig Mut macht. „Wir haben aktuell sechs Panzerbataillone in der Bundeswehr. Eigentlich sollte ein Bataillon 44 Kampfpanzer haben. Vier von diesen sechs haben weniger als zehn einsatzbereit.“ Wüstner fordert, die Rüstungskapazitäten hochzufahren. „Dann könnte man den Typ 2-A4 zuliefern.“ Masala sieht Pistorius in der Pflicht: „Er muss jetzt die Pflöcke einrammen. Wenn diese Chance verpasst wird, dann sieht es bitter für die Bundeswehr aus.“
Am Vorabend der Ramstein-Konferenz erinnert Thomas Kleine-Brockhoff vom German Marshall Fund, dass die Amerikaner bereits „in Hülle und Fülle Material“ an die Ukraine liefern, das die Europäische Union bezahlt. Für die Konferenz fordert er zusätzliche Lieferungen direkt aus der EU. „Wenn das morgen schiefgeht, haben wir einen Scherbenhaufen“, sagt Kleine-Brockhoff. Gefordert sei ein „Kompromiss, der die Allianz nicht auseinandertreibt“.
Bundeswehr ohne Munition – „Die Politik hat den Schuss noch nicht gehört“
SPD-General Kühnert sieht keine Versäumnisse: „Die deutsche Unterstützung ist eingedenk der Tatsache, dass unsere Möglichkeiten limitiert sind, massiv.“ Masala stimmt zu, aber die strategische Kommunikation sei „grottenschlecht“. Güler setzt nach: „Beim Kampfpanzer hat der Kanzler von Anfang an eine Linie gezogen und kann nicht erklären, warum.“ Kleine-Brockhoff schließlich warnt: „Deutschland darf nicht die Verhinderungsmacht sein.“
„Wir sind bei der Einsatzbereitschaftslage im Bereich von 33 Prozent bis 40 Prozent, je nach Waffensystem“, gibt Wüstner zu bedenken, „weil wir kaum noch Munition haben“. Er stellt fest: „Die Politik hat den Schuss noch nicht gehört.“ Eine erschreckende Aussage trifft er nebenbei: „Dieser Krieg wird nicht in einem und nicht in zwei Jahren vorbei sein.“
Fazit des Talks bei Maybrit Illner:
Ein Talk um technische Details auf dem Schlachtfeld. Welcher Panzer ist für die Ukraine nötig, und was kann welches Modell? Leopard 1, Leo 2 Marder, T72, T90, Abrams… Aber auch ein Talk mit entlarvenden Versprechern: Güler fordert Einigung auf das richtige Kanzlermodell statt Panzermodell. Und Illner sagt, Scholz wolle die Dinge überleben statt überlegen. (Michael Görmann)