Seine Maike war bis zum Schluss bei ihm: So lebte und starb Kohl (✝87) in Oggersheim

Zu seiner pfälzischen Heimat pflegte Helmut Kohl stets ein besonderes Verhältnis. Und so wurde auch der Stadtteil Oggersheim berühmt. Berühmte Staatsgäste kamen in den Bungalow der Kohls in Ludwigshafen - dort, wo der Altkanzler nun auch starb.
Ludwigshafen - Oggersheim, Marbacher Straße: Die Adresse kennt fast jeder Bürger des Ortsteils im pfälzischen Ludwigshafen. Dort steht unter anderen bürgerlichen Bungalows auch das Haus von Altkanzler Helmut Kohl (CDU). Doch am Freitagabend ist die Straße davor von Polizisten abgesperrt. Die Angehörigen des am Morgen verstorbenen Politikers sollen offenbar vor Schaulustigen geschützt werden. Der Aufwand wäre allerdings nicht nötig gewesen: Kameraleute und Journalisten sind in der Überzahl und schauen auf das stumme Haus.
Als sich der Tod von Helmut Kohl herumspricht, bringen die ersten Menschen Blumen, ein Polizist nimmt sie an der Absperrung entgegen und trägt sie zum Haus. Später trifft Kohls Sohn Walter ein.
In dem Einfamilienhaus hatte der Altkanzler bis zuletzt gelebt. Nach Informationen der „Bild“-Zeitung starb er dort auch am Freitagmorgen im Beisein seiner Frau Maike Kohl-Richter. Demnach ging es Kohl schon die vergangenen Tage nicht gut. Seine Kraft habe jedoch gereicht, täglich im Garten zu sitzen. Er wollte nicht mehr in die Klinik.
Vor knapp 16 Jahren war in dem Haus auch Helmut Kohls frühere Ehefrau Hannelore gestorben.

Ein Nachbar am Beginn der Straße möchte eigentlich nichts sagen, äußert sich dann aber doch: 16 Jahre sei Kohl Kanzler gewesen und habe in dieser Zeit so manchen Staatsmann zu sich nach Hause eingeladen - Bill Clinton, Margaret Thatcher, Boris Jelzin und andere, an deren Namen er sich nicht erinnere. Seine Ehefrau ergänzt: "François Mitterrand war doch auch noch da, oder?" Auf jeden Fall habe Kohl viele bewirtet. Er sei heimatverbunden und stolz auf seine Herkunft gewesen.
"Der Rummel mit der Sicherheit war in dieser Zeit immer groß, aber Kohl eben auch ein großer Staatsmann", fügt der Ehemann hinzu. Das Gespräch bringt einen Spaziergänger mit Hund an der Leine zum Stehen. "Ja, ein sehr große Staatsmann war der Doktor Kohl", wirft er ein. Der Kanzler habe Deutschland mit Frankreich versöhnt und die Wiedervereinigung bewirkt. "Kohl wusste damals den Mantel der Geschichte zu packen", sagt er und zitiert damit eine von Kohls Lieblingsäußerungen.
In Kohls Villa wurde jedenfalls Geschichte geschrieben. Dort konfrontierte der Christdemokrat und Patriot ausländische Staatsoberhäupter mit einer kulinarischen Herausforderung, seinem Lieblingsgericht Pfälzer Saumagen - und zog sie beim Essen in den Verhandlungen zur Wiedervereinigung oder zum Ausbau der Europäischen Union auch über den Tisch.
Die Villa in der Marbacher Straße erlebte aber auch schlimme Zeiten. Kohls erste Ehefrau Hannelore litt an einer Lichtallergie, ging tagsüber nicht aus dem Haus und nahm sich dort 2001 das Leben. Kohl heiratete 2008 die 34 Jahre jüngere Volkswirtin Maike Richter. Doch für diese Ehe zahlte der Altkanzler einen hohen Preis: Seine beiden Söhne beschuldigten die Frau, einen Keil zwischen sie und ihren Vater zu treiben.
Das Zerwürfnis war so groß, dass die Söhne die Villa nicht mehr betraten. Noch im selben Jahr stürzte Kohl nach einer Knieoperation so schwer, dass er sich ein Schädel-Hirn-Trauma zuzog. Das Sprechen fiel ihm schwer, die Besucher in der Villa wurden immer weniger. "Nach Kohls Unfall ist es ziemlich ruhig hier in der Straße geworden", sagt der Nachbar. "Das wird nun wohl so bleiben", fügt seine Frau mit leiser, fast erschrockener Stimme hinzu.
Der gebürtige Ludwigshafener Kohl war sehr verwurzelt mit seiner Heimat.
Privat zeigte sich der Altkanzler von seiner unkomplizierten Seite, wie Nachbarn berichten. Kohl sei öfter mal in der Nachbarschaft unterwegs gewesen und habe sich mit den Leuten unterhalten, selbst in Zeiten der Kanzlerschaft, sagt Rudolf Wieland. Der 71-Jährige wohnt mit seiner Frau Rosemarie schräg gegenüber. Der Politiker habe auch mal mit Nachbarn ein Bier im Garten getrunken. In den letzten Jahren habe man den Altkanzler aber nur noch selten zu Gesicht bekommen. „Durch die Krankheit hat sich ja sein Aktionsradius immer weiter verkleinert.“
Eine besondere Beziehung pflegte Kohl auch zum Dom von Speyer, der nur wenige Kilometer entfernt von Ludwigshafen steht. Noch in der Vorweihnachtszeit stattete er dem mächtigen Gottesbau einen Besuch ab. Der Organist spielte ihm Advents- und Weihnachtslieder vor, darunter „Stille Nacht, Heilige Nacht“, wie das Bistum Speyer später berichtete. Es war einer der zuletzt immer selteneren Auftritte von Kohl, die öffentlich wurden.
Zu jenen, die am Freitag Blumen zum Haus von Kohl bringen, gehört auch der 27-jährige Stefan Ehlers. Er sei im September 1989 im damaligen Ost-Berlin zur Welt gekommen, erzählt er. „Ich bin im Jahr des Mauerfalls geboren. Daher ist Helmut Kohl auch eine Figur aus meiner persönlichen Geschichte.“ Seit einem Jahr lebe er aus berufliche Gründen in der Pfalz. Als Ehlers vom Tod Kohls hörte, kaufte er Blumen und machte sich auf den Weg zum Haus des Altkanzlers: „Egal, wo man politisch steht, man muss schon sagen, dass er ein großer Mann war“, sagt er.

dpa/AFP