Die TV-Serie „Diener des Volkes“, in der Selenskyj einen Lehrer spielt, der ukrainischer Präsident wird, war auch in Russland extrem erfolgreich. Wie sehr prägt diese Serie das Bild der Russen von Selenskyj?
Für die Russen ist Selenskyj immer noch nur ein Schauspieler. Deshalb nehmen sie ihn nicht ernst – sogar Wladimir Putin hat Selenskyj deshalb unterschätzt und dachte, dieser Komödiant wäre leicht zu manipulieren.
Wie viel des Helden der TV-Serie steckt im echten Selenskyj?
Für die Ukrainer war „Diener des Volkes“ eine Bebilderung ihres Traums: Sie träumten von einem Präsidenten, der ein Durchschnittsmensch aus dem einfachen Volk ist und mit den Oligarchen und der Korruption aufräumt. Ich glaube, auch wenn Selenskyj bestreitet, dass er sich schon mit dieser TV-Serie für die Präsidentschaft beworben hatte.
Und hat er die Leute dann enttäuscht?
Ja, die Menschen erwarteten einen Messias, da mussten sie zwangsläufig enttäuscht werden. Aber auch die Versprechen von Selenskyj im Wahlkampf waren teilweise unrealistisch. Selenskyj wurde mit rund 70 Prozent der Stimmen gewählt. Doch vor dem Krieg war die Zustimmung zu ihm auf 30 Prozent gesunken. Zwei Monate vor dem Krieg brachte er ein Anti-Oligarchen-Gesetz ein, um wieder populärer zu werden, aber das funktionierte auch nicht so richtig.
Ist auch der Kriegs-Präsident eine Rolle des Schauspielers Selenskyj?
Natürlich hilft ihm seine Erfahrung als Schauspieler in der Kommunikation. Aber entscheidender ist da sein durch die Kindheit geprägter Charakter als einer, der loyal ist und nicht davonläuft. Sein Vater gab ihm den Rat: Wenn du in eine schwierige Lage gerätst, dann benimm dich einfach, wie sich ein ehrenwerter Mann benehmen sollte. Und tue nie so, als ob du besser wärst, als du bist, du kannst ruhig deine Schwächen zeigen, aber bleibe du selbst. Diesem Rat folgt er. Und dadurch wurde er für die Ukrainer zum Helden. Mehr als 90 Prozent der Ukrainer unterstützen ihn heute.
Wird Putin je einen Friedensvertrag mit der Ukraine akzeptieren, solange Selenskyj an der Macht ist?
Putin wird nur dann einen Friedensvertrag akzeptieren, wenn seine Truppen militärisch in ernsthaften Schwierigkeiten stecken. Solange er aber hofft, den Krieg zu gewinnen, wird er alles tun, die Ukraine und Selenskyj zu zerstören. Putin hasst Selenskyj und sieht dessen Absetzung oder Tod als eines seiner zentralen Kriegsziele.
Das Interview führte Klaus Rimpel.