Brüderle am Pranger: Tabubruch oder Kalkül?

München - Die Sexismus-Vorwürfe gegen FDP-Mann Rainer Brüderle sind starker Tobak. Was sind die Motive der Journalistin? Und wie reagiert der Berliner Politikbetrieb?
Die Journalistin Laura Himmelreich berichtet in der aktuellen Ausgabe des Stern über ihre persönlichen Erfahrungen mit FDP-Spitzenpolitiker Rainer Brüderle und wirft ihm Sexismus vor. Handelt es sich um einen Tabubruch? Ein gezielte Aktion, um den starken Mann der FDP im Wahlkampf zu schwächen? Oder um einen mutigen Schritt der Reporterin?
Bislang galt in der schreibenden (und filmenden) Zunft der Grundsatz: Privates bleibt privat und hat in der Berichterstattung über einen Politiker eigentlich nichts zu suchen. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel. So hatte etwa der niedersächsische CDU-Abgeordnete Frank Mindermann sein Landtagsmandat niedergelegt, nachdem öffentlich wurde, dass er, wie selbst einräumte, "unangemessenen“ Chat-Kontakt mit einer 15-Jährigen hatte. Über Christian von Boetticher wurde bekannt, dass er eine mehrmonatige Beziehung zu einer 16-Jährigen unterhielt – der CDU-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein musste neun Monate vor der Wahl zurücktreten. Nun der Bericht über Brüderles angebliches Fehlverhalten gegenüber der Journalistin Himmelreich an einer Stuttgarter Hotelbar.
Wie reagiert die Berliner Politikszene auf solche Veröffentlichungen? FDP-Mann Oliver Luksic erkundigt sich bei Himmelreich via Twitter, warum sie den Bericht erst ein Jahr später publik mache. Die Journalistin antwortet: "Weil eine Geschichte über das "neue Gesicht" der FDP nun eine andere Relevanz hat." Brüderle gilt als Vorzeigepolitiker der FDP, er soll der Partei zum Erfolg bei der kommenden Bundestagswahl im September 2013 verhelfen. Parteichef ist zwar Philipp Rösler, doch Brüderle wird die bessere Außenwirkung auf die Wählerschaft attestiert. Fraglich ist, wie sich die "Hotelbar-Affäre" auf die FDP-Wahlkampfstrategie auswirkt.
Diese Wahlen stehen bis Ende 2014 an
Brüderles Parteikollege Rainer Stinner hat seinen Fraktionschef inzwischen gegen die Sexismus-Vorwürfe verteidigt. Er halte es für unprofessionell, dass die Journalistin, die sich vor einem Jahr von dem Politiker belästigt gefühlt habe, diese Vorwürfe genau dann herauskrame, wenn dieser eine herausragende Position in der Partei übernehme, sagte er am Donnerstag im Deutschlandfunk. „Das ist so durchsichtig und das ist so primitiv, dass ich sage, das fällt eher auf den Journalismus des 'Stern' zurück als auf Rainer Brüderle“, sagte der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion.
Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein wirft dem Stern via spiegel-online Niveaulosigkeit vor und wundert sich, "dass die junge Journalistin offensichtlich über ein Jahr gebraucht hat, um ihr Erlebnis zu verarbeiten". FDP-Präsidiumsmitglied Jörg-Uwe Hahn zürnt: "Diese Geschichte ist ein Tabubruch. Wer es nötig hat, so etwas als 'Story' zu verkaufen, hat sich von seinem Chefredakteur vor den schmutzigen Karren spannen lassen."
Ist die Journalistin also tatsächlich eine Nestbeschmutzerin? Hintergrundgespräche sind in der Politik durchaus an der Tagesordnung. Im vertraulichen, zwanglosen Dialog erfahren Journalisten oft Einzelheiten, wie Entscheidungen oder Personalien in an sich geheimen Sitzungen zustande gekommen sind. Dass die Politiker dabei die Journalisten auch dazu benutzen, um Konkurrenten bildlich gesprochen ans Bein zu pinkeln, ist dabei ein offenes Geheimnis. Ebenso allgemein bekannt ist allerdings auch, dass der Politikbetrieb von Männern dominiert wird und dadurch mitunter stark testosterongesteuert und mit anzüglichem Witz garniert daherkommt.
Sie waren die Chefs der FDP
Mitte des Monats hatte die Spiegel-Autorin Annett Meiritz in einem Artikel bereits über Frauenfeindlichkeit in der Piratenpartei berichtet. Im vergangenen Dezember erschien das Buch "Hammelsprünge" der ehemaligen Spiegel-Journalistin Ursula Kosser. Dort wird über die Verknüpfung von Sex und Macht in der Bonner Republik berichtet. So erhielt beispielsweise eine Journalistin ein Päckchen eines Abgeordneten - Inhalt war ein Dildo inklusive Begleitkarte: "Auf gute Zusammenarbeit".
Die Frage, ob es sich bei Himmelreichs Bericht nun um Kampagnenjournalismus gegen den Hoffnungsträger der FDP handelt oder um den Versuch, Sexismus im Verhältnis zwischen Medienschaffenden und Politikern öffentlich anzuprangern und damit auch einzudämmen, kann nur die Stern-Reporterin selbst beantworten. Ein Tabubruch ist er in jedem Falle.
dh