Social Media bei der Wahl: Fein platzierte Botschaften – aus Moskau?

Groß war die Furcht vor russischem Einfluss auf die Bundestagswahl. Und tatsächlich mehren sich Hinweise auf gezielt platzierte Fake-News – besonders in den Tagen vor der Wahl. Allerdings ist über die Hintergründe wenig bekannt.
München – Am vergangenen Sonntag, die Bundestagswahl läuft gerade, macht das Schlagwort Wahlbetrug bei Twitter die Runde. Einer der Gründe: der Beitrag einer jungen Frau. Als Wahlhelferin werde sie Stimmen der AfD ungültig machen, lässt sie mit einem lachenden Smiley wissen. Empört verbreiten viele Anhänger der Partei die Ankündigung weiter.
Das Problem: Das Twitter-Konto, von dem der Beitrag stammt, ist höchst dubios. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler einer Forschergruppe, die zur US-Denkfabrik „Atlantic Council“ gehört. Ihre Beweisführung: Den Account gibt es erst seit Februar 2017 – anfangs ohne eigene Beiträge, im August dafür plötzlich mit 1039 Tweets. Ein ungewöhnlich hoher Wert. Dazu kommt: Die auf dem Nutzerfoto abgebildete Frau ist in Wirklichkeit eine Schauspielerin aus Pakistan.
Moment, Russland? Da war doch was
Auch pikant: Der Beitrag wird fleißig von Accounts verbreitet, die einem sogenannten Bot-Netz angehören. Diese automatisch von einem Computerprogramm verwalteten Profile wirken wie eine Schleuderfunktion – und erhöhen die Reichweite. Viele davon sind laut den US-Wissenschaftlern vorwiegend in russischer Sprache aktiv. Und verbreiten ansonsten unter anderem Beiträge, die den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny schmähen und attackieren.
Moment, Russland? Da war doch was. Lange warnten deutsche Sicherheitsbehörden vor russischer Einflussnahme auf die Bundestagswahl. Die Befürchtungen reichten weit. Mahnendes Beispiel: der Wirbel um die 13-jährige Deutschrussin Lisa, deren Verschwinden 2016 zu erwiesenermaßen falschen Spekulationen über eine Vergewaltigung durch Flüchtlinge geführt hatte.
Kampagnen dieser Schlagkraft gab es im Vorfeld der Wahl allerdings laut dem Bundesinnenministerium nicht. „Der Einfluss von Fake-News war in Deutschland geringer als bei der US-Wahl“, sagt auch Maks Czuperski, der die Forschungsgruppe des „Atlantic Council“ leitet. „Aber es gab präzise chirurgische Eingriffe, fein platzierte Botschaften. Gut möglich, dass damit ein Teil der zuletzt unentschlossenen Wähler noch für die AfD gewonnen wurde.“
Interessant ist in diesem Kontext auch eine Äußerung des russischen Präsidenten. Auf staatlicher Ebene mache man solche Beeinflussungen nicht, erklärte Wladimir Putin im Juni. Für private und „patriotisch gesinnte“ russische Hacker übernehme er aber keine Verantwortung.
„Das spräche für eine von der AfD oder parteinahen Kreisen organisierte Aktion“
Die Lage, da sind sich alle Beobachter einig, ist vertrackt. Eindeutige Beweise gibt es kaum. Erneut zum anfangs zitierten Beispiel mit der vermeintlich angekündigten Wahlfälschung. „Wir wissen nicht, aus welcher Motivation die russischsprachigen Bots diesen Beitrag verbreitet haben“, sagt Digitalforscher Czuperski. „Das kann freiwillig geschehen sein – das spräche eher für eine politische Motivation. Es kann aber auch kommerziell und gegen Bezahlung geschehen sein. Das spräche für eine von der AfD oder parteinahen Kreisen organisierte Aktion.“
Tatsächlich ist Wahrheit für manche AfD-Unterstützer ein dehnbarer Begriff. Beliebtes Beispiel: nachträglich veränderte Bilder. So kursierte auf vielen AfD-Seiten bei Facebook und Twitter in den Tagen vor der Wahl das Foto einer blonden Frau, hinter der sich eine Männergruppe bedrohlich aufbaut. Darüber steht in Anspielung an die Kölner Silvesternacht: „Weißt du noch...?“.
Czuperski und seine Bildspezialisten haben herausgearbeitet: Das Foto ist eine Montage. Die Männer stammen vom Tahir-Platz in Kairo, aufgenommen bei den dortigen Protesten 2011. Und bei der vorgeblich bedrohten Frau handelt es sich um ein britisches Erotikmodel.
Bleibt die Frage nach einem Ausweg aus der dreckigen Jagd nach Aufmerksamkeit. Digitalforscher Czuperski hofft, dass Social-Media-Nutzer die Inhalte künftig noch stärker hinterfragen. „Denn Fake-News und Bots werden uns ab sofort dauerhaft beschäftigen.“