Und plötzlich diese „Humanität“: Erste Indizien für die Zähmung der CSU?

„#ausgehetzt“ hieß es am letzten Wochenende in München. Die CSU zeigte sich empört. Aber einiges deutet daraufhin, dass die Partei nun ganz langsam vom Gas gehen will.
München/Berlin - Das Wort wurde zuletzt inflationär benutzt - aber im Falle des Gebarens der CSU im Juni passt es: Knallhart trat die Partei um ihren Vorsitzenden Horst Seehofer, Ministerpräsident Markus Söder und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Asylstreit auf. Ultimaten und überaus knackige Wortneuschöpfungen zum Thema Flucht waren an der Tagesordnung.
Der Höhepunkt des Zoffs scheint mittlerweile vorbei. Und die Bilanz der Eskalation kann der CSU nur bedingt gefallen: Zu Buche stehen ein Asyl-Kompromiss über den so einige Experten spotteten (merkur.de* berichtete), ein drastisches Umfragetief im Bund, Werte fernab jeder absoluten Mehrheit in Bayern, aufgebrachte CSU-Mitglieder an der Basis - und eine Großdemonstration gegen „Hetze“ der CSU, die die CSU ausnahmsweise nicht ignorieren konnte.
Und nun, was macht die Parteiführung? Die Zeichen scheinen nach einer kurzen Schrecksekunde auf vorsichtiger Mäßigung zu stehen.
CSU nach dem Asylstreit: Söder setzt auf „Humanität“ und „Balance“
Mit Blick auf die „#ausgehetzt“-Demonstration ging die zweite Reihe der CSU dabei zuerst noch selbst in die Offensive und attackierte ihre Kritiker. Sogar eine „#ichbinCSU“-Kampagne in den sozialen Medien aus dem Boden gestampft - die Parteispitze hielt sich dabei aber auffällig zurück. Nun mehren sich die Zeichen: Die Christsozialen wollen ganz offensichtlich etwas zahmer werden. Womöglich gilt das sogar für Parteichef Horst Seehofer.
Indizien lieferte am Freitag der Auftritt Markus Söders bei der Eröffnung des neuen bayerischen Asyl-Landesamts in Manching. Da verwies der Ministerpräsident auf die gewohnt harte Kante bei Abschiebungen - aber auch auf eine neue „Humanität“. Man wolle auch Spielräume nutzen, um integrationswilligen Flüchtlingen das Bleiben zu ermöglichen, sagte Söder.

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Die vielsagende Begründung: Die Bürger erwarteten „diese Balance“ zwischen Straftätern und Integrationswilligen. Schon vor rund zwei Wochen hatte Söder dem Begriff „Asyltourismus“ entsagt. Nach eigenen Angaben, um niemanden „zu verletzen“.
Noch Mitte Juni hatte Söder ganz anders geklungen - „die Sorgen vor der Überforderung der europäischen Gesellschaften durch Migration und Zuwanderung sind größer, als viele wahrhaben wollen“, erläuterte er damals. Die Phrase von der „Festung Europa“ sei mittlerweile nicht mehr nur negativ besetzt. Nun könnten die Mauern wieder etwas durchlässiger werden.
Seehofer spricht übers Aufnehmen statt übers Zurückweisen: „Er gehört zu Deutschland“
Seehofer wiederum hat als augenfälligstes Merkmal eines Kurswechsel am Donnerstag einen polarisierenden Spruch einfach umgedreht. Kurz nach Amtsantritt im Kabinett Merkel hatte Seehofer demonstrativ erklärt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Nun umarmte der Sportminister einen Vielgescholtenen: Mesut Özil „gehöre zu Deutschland“, sagte Seehofer. Der Weltstar sei „einer von uns“. Nur eine symbolische Geste. Aber - nach so vielen Tagen Bedenkzeit seit Özils Rücktritt - sicher keine unüberlegte.
Auch im Kerngeschäft kümmerte sich Seehofer ums Aufnehmen statt ums Zurückweisen. Er erklärte Pläne für ein Einwanderungsgesetz für Handwerker und andere „Praktiker“. Wenn auch nicht ohne Verweis auf eine eingebaute Bremse: „Nicht, dass jeder, der einen Asylantrag gestellt hat, dann zum Arbeitsnachfrager wird. Dann bekämen wir nämlich einen unendlichen Nachschub an Asylbewerbern.“ Es ist eben ein Spagat, an dem sich die CSU versucht.
Balance statt Eskalation: Söder sagt „wir sind die Mitte“
Söder hat den Kurswechsel indirekt sogar bereits offiziell bestätigt. Man müsse „ein größeres Bild zeichnen“ und weg vom Klein-Klein der Asyldebatte, sagte er am Donnerstag vor Journalisten, wie der Münchner Merkur berichtete. „Wir müssen einen intellektuellen Überbau für unsere einzelnen Politikvorhaben nachliefern“, ließ sich ein führender Beamter zitieren. Und der Spagat könnte sogar ein geografisch greifbarer werden: Söder plant einen eigens zugeschnittenen Wahlkampf für die liberale Landeshauptstadt München.
Gut möglich, dass Seehofers Partei eine alte Fähigkeit wieder ausgegraben hat: Den Kritikern aufs Maul schauen und ein paar ihrer Ideen ins eigene Profil einbauen. "Flüchtlinge sind keine Sündenböcke für Entwicklungen, die in unserer Gesellschaft schieflaufen", hatte Stephan Bloch dem Spiegel vor kurzem gesagt - Bloch hat die „Union der Mitte“ gegründet, eine neue Initiative, die die Union wieder zähmen will.
Auch Söder will nun also wieder stärker differenzieren. Ein bisschen mehr klar kommunizierte Humanität soll es richten. Der Balance zuliebe, die der Bürger erwartet. "Wir sind die Mitte", sagte Söder vergangenes Wochenende beim CSU-Bezirksparteitag im oberbayerischen Irschenberg. Es klang ein wenig nach Bloch - und nach Kampfansage zugleich.
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fn
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