1. Startseite
  2. Politik

Plötzliche Suche: Wer wird Scholz‘ Chef bei der SPD? - Sieben mögliche Kandidaten

Erstellt:

Von: Florian Naumann

Kommentare

Die SPD-Fraktion im Bundestag beim Gruppenbild
Wimmelbild mit Chef-Anwärter? Die SPD-Fraktion im Bundestag - der oder die neue Vorsitzende könnte allerdings auch aus den Ländern kommen. © Michael Kappeler/dpa/picture-alliance

Norbert Walter-Borjans geht - plötzlich sucht die SPD einen neuen Chef. Das Feld der möglichen Nachfolger ist unübersichtlich: Sieben Optionen von Klingbeil bis Kühnert.

Berlin - Der Herbst wird Deutschland einige politische Veränderungen bringen. Die Ära Merkel endet nach 16 Jahren - ebenso wie zumindest vorläufig die der Kanzlerpartei CDU. Immer deutlicher zeichnet sich aber auch ab: Sogar die Ampel-Parteien werden nach der angepeilten Koalitionsbildung nicht mehr ganz dieselben sein. Die Grünen-Spitze hat eine Rochade bereits angekündigt. Am Freitag (29. Oktober) folgte dann auch die SPD.

Denn Norbert Walter-Borjans will nach zwei Jahren Amtszeit kein weiteres Mal als Parteichef kandidieren. Der frühere Finanzminister von NRW - bekannt ursprünglich vor allem wegen eines Steuerdaten-Kaufs - sieht seine Mission nach Bundestagswahl und Ampel offenbar als erfüllt an. Doch es kommt noch bunter für die Sozialdemokraten: Denn Kanzler-Anwärter Olaf Scholz will den Posten nach eigener Aussage nicht übernehmen. Und die amtierende Co-Vorsitzende Saskia Esken hat sich zu ihrer Zukunft noch nicht geäußert.

SPD-Chef gesucht: Norbert Walter-Borjans geht, Scholz will nicht - eine gute Handvoll Kandidat verbleibt

Ein großes Stühlerücken könnte also beginnen. Eine spannende Angelegenheit. Weniger, weil der Posten als SPD-Chef schon mal als „schönstes Amt neben dem Papst“ gepriesen wurde. Eher schon, weil der Vorsitz im Willy-Brandt-Haus in den 10er-Jahren meist einem Schleudersitz glich. Und vor allem, weil sich die Partei mit dem drastisch gestiegenen Juso-Anteil in der Bundestagsfraktion eigentlich gerade in einem Umbruch befindet. Wer auf Walter-Borjans folgen könnte - es scheint ziemlich offen.

Klar ist immerhin: Wenn die SPD nicht mit einer Interims-Lösung in ihre neue Phase als Kanzlerpartei starten will, dann wird die Vorsitzendenkür ganz anders ablaufen als zuletzt 2019. Damals waren die Sozialdemokraten in zahllosen Regionalkonferenzen durch Deutschland getingelt und hatten ein Nachfolger-Duo für Andrea Nahles gecastet. So viel Zeit bleibt diesmal schlicht nicht: Von 10. bis 12. Dezember findet der Parteitag statt und die SPD-Größen werden bis dahin wohl unter Hochdruck die Ampel-Koalition verhandeln. Das Speed-Verfahren könnte die Chancen für die Partei-Promis erhöhen - anders als bei Esken und Walter-Borjans 2019. Mögliche Anwärter für den Platz an der SPD-Spitze im Überblick:

Lars Klingbeil

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil auf dem Weg zur Sondierung.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil auf dem Weg zu einem Sondierungsgespräch. © Michael Kappeler

Der Posten als Generalsekretär ist ohnehin ein herausgehobenes Amt - rund um die Bundestagswahl hat sich Lars Klingbeil aber weiter in den Vordergrund gespielt. Das von ihm verantwortete Wahlkampf-Konzept für die 15-Prozent-SPD ging auf beinahe wundersame Weise auf (wenn auch teils aufgrund von Eigentoren der Gegnerschaft), einzelne Aufreger wie ein Wahlkampf-Clip auf Kosten des Laschet-Vertrauten Nathanael Liminski blieben nicht negativ haften.

Eine Beförderung scheint nun nicht ausgeschlossen: Klingbeils Name „kursiere“ in Berlin, berichtete ZDF-Korrespondent Bernd Benthin am Freitag (29. Oktober) bereits kurz nach Walter-Borjans‘ Rücktrittsankündigung. Zupass kommen könnte Klingbeil die Partei-Arithmetik, wenn Esken im Amt bleibt: Der Generalsekretär ist ein SPD-Konservativer. Genau dieser Flügel könnte nach Scholz‘ Wahlerfolg nun auch an der Parteispitze sein Recht einfordern. Zudem: Klingbeil ist mit 43 Jahren ein frisches Gesicht. Der 69 Jahre alte Walter-Borjans will explizit Platz für Jüngere machen.

Kevin Kühnert

Parteichef Norbert Walter-Borjans (Mitte) berät mit Kevin Kühnert und Saskia Esken auf dem SPD-Bundesparteitag.
Der eine geht, der andere kommt? Parteichef Norbert Walter-Borjans (Mitte) steckt mit Kevin Kühnert und Saskia Esken die Köpfe zusammen. © Kay Nietfeld/dpa

Für eine Verjüngung würde definitiv auch Kevin Kühnert stehen. Der Name des Partei-Vize und früheren Juso-Chefs geisterte am Freitag schnell und in hoher Frequenz durch den Kurznachrichtendienst Twitter - in ganz unterschiedlicher Konnotierung: Eher konservativ eingestellte User erkannten in einem deutlich linksgerichteten SPD-Chef Kühnert irgendetwas zwischen Schreckensszenario und hervorragender Angriffsfläche. Anhänger des medial sehr präsenten Sozialdemokraten sahen eine Chance für einen positiven Schritt gekommen.

Kühnert selbst äußerte sich zunächst nicht. Er bedankte sich in einem Tweet lediglich bei Walter-Borjans, der die Partei in einem schwierigen Moment übernommen habe und nun als Parteivorsitzender des Wahlsiegers abtrete. Fakt ist, dass der gerade mal 32 Jahre alte Kühnert zu den bekanntesten SPD-Politikern gehört. Ob er tatsächlich Ambitionen auf die Nachfolge hat, darf zumindest bezweifelt werden: Einen Ministerposten in einer möglichen Ampel-Koalition verwies er Mitte Oktober im ZDF-Talk „Markus Lanz“ ins Reich der Fabel.

Rolf Mützenich

Olaf Scholz und Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, kommen im Bundestag zur ersten Fraktionssitzung der SPD nach den Bundestagswahlen.
Olaf Scholz und Rolf Mützenich (re.). © Kay Nietfeld/dpa

Eine weitere prägende SPD-Figur der vergangenen Monate ist Rolf Mützenich. Als Interims-Nachfolger hatte er 2019 den Bundestagsfraktionsvorsitz von Andrea Nahles übernommen - und war nicht nur im Amt geblieben, sondern hatte sich auch einigen Respekt für seine weitgehend konfliktfreie Führung der GroKo-müden SPD-Parlamentarier erworben. Mützenich war auch an der letztlich erfolgreichen Inthronisierung Scholz‘ als Kanzlerkandidat beteiligt.

Nach der Bundestagswahl wollte die SPD Mützenich bereits höhere Weihen zukommen lassen: Walter-Borjans selbst brachte den nordrhein-westfälischen Kollegen als Bundestagspräsident ins Gespräch - und Mützenich schien für den Karrieresprung auch bereit zu sein. „Ich habe mich immer in den Dienst der Sache gestellt“, erklärte er. Letztlich entschied sich die SPD aber aus Gründen der Parität für die weibliche Option Bärbel Bas. An der Parteispitze könnte die Geschlechtergerechtigkeit aber über den zweiten Chefposten geregelt werden.

Michael Roth

Michael Roth
Michael Roth (SPD). © Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild

Hinter dem Dreiergespann Klingbeil, Kühnert und Mützenich wird die Suche nach prominenten Namen schon schwieriger. Gleichwohl ist der SPD immer zuzutrauen, überraschende Lösungen aus dem Hut zu zaubern - siehe Bärbel Bas. Bereits 2019 um den Parteivorsitz beworben hatte sich der Hesse Michael Roth. Zusammen mit Duo-Partnerin Christina Kampmann kam er damals auf Rang 3 in der Abstimmung und verpasste damit die Stichwahl nur knapp. Eine gewisse Popularität in der Partei ist also vorhanden.

Zugleich ist Roth trotz seiner erst 51 Lebensjahren ein erfahrener Politiker: Er zählt zu den dienstältesten Parlamentariern in der SPD-Fraktion, sitzt bereits im SPD-Vorstand, war bei der Bundestagswahl hessischer SPD-Spitzenkandidat, ist seit bald acht Jahren als Staatsminister für Europa im Amt - und damit auch international bestens vernetzt. Für eine Kanzlerpartei kein ganz unwesentlicher Punkt. Roth wird wie Kühnert und Mützenich der Partei-Linken zugerechnet. Zunächst kein Vorteil. Doch die komplizierte Parteiarithmetik könnte auch hier für unerwartete Volten sorgen. Womöglich lässt sich der linke SPD-Flügel Kompromisse im Ampel-Koalitionsvertrag auch mit einem Parteichef nach seinem Gusto kompensieren.

Boris Pistorius

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD)
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). © Julian Stratenschulte/dpa/Archivbild

Die Worte „bundespolitische Ambitionen“ und „Boris Pistorius“ wurden zuletzt häufiger in einem Atemzug genannt. Der niedersächsische Innenminister ist für einen Landespolitiker ungewohnt bekannt - auch, weil er um klare Ansagen selten verlegen ist. Fakt ist, dass der 61-Jährige bereits zum zweiten Mal für die SPD eine Koalition verhandelt und auch in der Verlosung der Ministerämter immer wieder genannt wird.

Fakt ist auch: 2019 wollte Pistorius zusammen mit Petra Köpping den SPD-Vorsitz übernehmen. Es ist davon auszugehen, dass Pistorius dem Amt nach wie vor nicht abgeneigt wäre. Mit der Lust am klaren Wort und einem Image als Innen-Experte könnte er durchaus ins Anforderungsprofil für den zweiten Chefposten passen - neben einer eher linken SPD-Frau jedenfalls.

Petra Köpping

Petra Köpping (SPD), Sozialministerin von Sachsen
Petra Köpping (SPD), Sozialministerin von Sachsen. © Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

Auch Pistorius‘ Duo-Partnerin von 2019 ist eine spannende Persönlichkeit. Im Gegensatz zu allen Vorgenannten ist sie nicht nur eine Frau - sondern auch noch Ostdeutsche. Der Mangel an profilierten Politikern aus dem Osten des Landes war zuletzt der CDU als möglicherweise mit-wahlentscheidender Makel ins Auge gefallen. Und vermutlich hat auch die SPD diese Debatte wahrgenommen.

Mit Katja Pähle aus Sachsen-Anhalt gibt es zwar noch eine zweite Person mit diesen Merkmalen im SPD-Vorstand. Köpping hat aber eben nicht nur Ambitionen auf höchste Parteiämter bewiesen, sondern sich in den dunklen Stunden der Sozialdemokraten auch schon als Hoffnungsträgerin hervorgetan. Sie profilierte sich als Stimme der von der Politik Vergessenen in den neuen Bundesländern - „die Frau für Ostdeutschland“ nannte sie die Leipziger Volkszeitung. Köpping, langjährige Sozialministerin Sachsens, versucht sich gerne als Mittlerin und „Zuhörerin“. Das würde gut an das „Respekt“-Mantra Scholz‘ anschließen.

Serpil Midyatli

Serpil Midyatli (SPD)
Serpil Midyatli. © Frank Molter/dpa/Archivbild

Eine eher unwahrscheinliche Lösung wäre auf den ersten Blick Serpil Midyatli - zumal das Nordlicht anders als die Vorgenannten bislang noch nie Ambitionen auf den SPD-Chefsessel erhoben hat. Dennoch könnte die Personalie für die Sozialdemokraten einigen Charme besitzen: Als Demonstration einer neuen Diversität. Midyatli ist einerseits eine erfahrene Politikerin: SPD-Vize, seit 2009 im schleswig-holsteinischen Landtag, SPD-Landeschefin und Fraktionschefin im hohen Norden. Andererseits ist sie Frau, erst 46 Jahre alt und Muslimin. Auf diesem Wege könnte sie nebenbei auch einige Wähler mit Migrationshintergrund ansprechen.

Midyatli hatte bei der vorangegangenen Wahl Esken und Walter-Borjans unterstützt und könnte insofern für eine gewisse inhaltliche Kontinuität stehen. Zugleich hat die 46-Jährige womöglich Luft für eine kleine Planänderung in Sachen Karriere: Lange war sie als mögliche SPD-Spitzenkandidatin für die Schleswig-Holstein-Wahl 2022 gehandelt worden. Am Ende machte ihr Genosse Thomas Losse-Müller das Rennen. Midyatlis Reaktion: Sie sehe es als ihre Aufgabe als Landesvorsitzende, „keine One-Woman-Show“ in Schleswig-Holstein zu machen, sondern Teamwork.

Wer letztlich SPD-Chef(in) werden wird? Vermutlich wird die SPD die Menschen in Deutschland nicht allzu lange auf die Antwort warten lassen. Eine quälende Personaldebatte im Stile der CDU werden sich die Sozialdemokraten auf dem Rückweg ins Kanzleramt nicht aufbürden wollen. (fn)

Auch interessant

Kommentare