Die SPD als Arbeiterpartei zwischen Machterhalt und Verfolgung - welchen Kurs schlägt die Partei nach dem Wählerschwund im 21. Jahrhundert ein?
- Die SPD als Arbeiterpartei zwischen Machterhalt und Verfolgung - welchen Kurs schlägt die Partei im 21. Jahrhundert ein?
- Der 23. Mai 1863 gilt als die Geburtsstunde der SPD. An diesem Datum gründete Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.
- Sowohl vor als auch während des Dritten Reiches sahen sich die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Verfolgung ausgesetzt.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg kämpfte die SPD mit anderen Herausforderungen: Mitgliederschwund, parteiinterne Machtkämpfe und schlechte Wahlergebnisse.
Die SPD und der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein
Leipzig - Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) wurde am 23. Mai 1863 durch August Bebel (73, † 1913), Ferdinand Lassalle (39, † 1864) und Wilhelm Liebknecht (74, † 1900) als Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein in Leipzig gegründet. Ihren Ursprung hatte die Partei in der Arbeiterbewegung, die sich erstmals in der bürgerlich-demokratischen Revolution im Jahr 1848/1849 manifestierte.
Die zunehmende Liberalisierung in den kommenden Jahren resultierte in der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, der 1875 auf dem Gothaer Kongress mit der 1869 durch August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei verschmolz.
Zwischen 1871 und 1878 verbot Bismarck (83, † 1898) alle sozialistischen Vereinigungen im Rahmen des Sozialistengesetzes. Allerdings wuchs mit der zunehmenden Industrialisierung auch die Arbeiterschicht – und damit auch die ebenfalls verbotenen Gewerkschaften. 1912 erhielt die SPD bei den Reichstagswahlen 34,8 Prozent.
Die SPD und ihre Entwicklung hin zur Volkspartei
Auch die Nationalsozialisten verboten die SPD. Viele ihrer Anhänger wurden im Zuge des Ermächtigungsgesetzes verfolgt, misshandelt und ermordet. Aus dem Exil versuchte der Vorstand, die Partei zu führen und Widerstandszirkel aufzubauen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wandelte sich die SPD unter dem Parteivorsitzenden Kurt Schumacher (56, † 1952) in den Westzonen vermehrt zu einer Partei der Mittelschicht, während sie in den Ostzonen durch KPD und SED unter Druck geriet und Mitglieder zur Flucht gezwungen waren.
Nach dem Entstehen der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 leisteten die Sozialdemokraten ihren Beitrag zur Gestaltung des Grundgesetzes.
Bei den Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag im selben Jahr in West-Deutschland konnte die SPD 29,2 Prozent der Stimmen gewinnen. 1966 wurde die SPD Teil der Großen Koalition um Bundeskanzler Kiesinger (83, † 1988) und Willy Brandt (78, † 1992) in der Rolle des Vize-Bundeskanzlers.
Ab 1969 bildete die Partei eine sozialliberale Koalition mit der FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt. 1972 konnte sich die SPD als stärkste Partei vor der CDU/CSU behaupten, erneut mit Willy Brandt als Bundeskanzler.
Die SPD in den Siebziger, Achtziger und Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts
Nach dem Rücktritt Willy Brandts 1974 wurde Helmut Schmidt (96, † 2015) zum fünften Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Doch die Sozialdemokratie sah sich zunehmend zwischen den Fronten; die schlechter werdende wirtschaftliche Lage und der gesellschaftliche Protest, der sich gegen die Atomenergie und Sicherheitspolitik wendete, bereiteten der amtierenden Regierung Probleme. Die Ära der SPD-Regierung endete 1982 schließlich in einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt.
1989 verabschiedete die SPD das Berliner Programm, das auf das Godesberger Programm folgte und folgende Inhalte hatte:
- Nachhaltigkeit in der Industrie
- Gleichberechtigung
- Friedenspolitik
- Ökologie
- Verkürzung der Arbeitszeiten
Die SPD sah sich während der Regierung unter Helmut Kohl (87, † 2017) unter anderem mit personellen Herausforderungen konfrontiert. 1998 konnte sich Gerhard Schröder als neuer Kanzler gegen den Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine durchsetzen. 2002 entschieden SPD und Grüne die Bundestagswahl für sich, Gerhard Schröder kam erneut das Amt des Bundeskanzlers zu. In dieser Legislaturperiode wurde die Agenda 2010 verabschiedet. 2005 schied Gerhard Schröder nach der Abwahl der letzten verbliebenen SPD-Landesregierung freiwillig aus dem Amt und machte so den Weg für Neuwahlen frei.
Die SPD und ihre Regierungsarbeit nach 2005
Infolge der Neuwahlen kam es 2005 zu einer Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die SPD errang bei den Wahlen ein deutlich besseres Ergebnis als erwartet.
Doch der häufige Wechsel der Parteivorsitzenden bis 2009 spiegelte die innerparteilichen Konflikte wider und das Fehlen einer klaren programmatischen Ausrichtung führte bei der Bundestagswahl 2009 unter ihrem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier zum schlechtesten Ergebnis in der Geschichte der SPD. Zahlreiche Stammwähler hatten sich in der Folge von der Partei abgewandt. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands fand sich in der Opposition wieder, die Regierung wurde von CDU und FDP gebildet.
Sigmar Gabriel rückte an die Spitze der Partei und löste Franz Müntefering als Parteivorsitzenden ab. Auf Länderebene konnte sich die Partei bei Wahlen in verschiedenen Bundesländern besser positionieren und CDU-Regierungen ablösen. Das Wahlergebnis auf Bundesebene bei der Bundestagswahl 2013 enttäuschte dennoch: Mit lediglich 25,7 Prozent rückte die SPD nach einem klaren Mitgliederentscheid über die Zustimmung zum Koalitionsvertrag erneut in die Position des Juniorpartners.
Die SPD mit Sigmar Gabriel an der Spitze
Der SPD gelang es in ihrer Rolle als Juniorpartner in der Koalition, die Rente nach 45 Beitragsjahren sowie den gesetzlichen Mindestlohn durchzusetzen. Allerdings führten Sigmar Gabriels inkonsistente Positionen insbesondere an der Parteibasis zu Unmut und forcierten die Zerrissenheit innerhalb der SPD.
Vor allem bei wichtigen Themen wie der Freihandelspolitik oder der Vorratsdatenspeicherung wurde das innerparteiliche Verhältnis gestört. Zwar konnte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in der Flüchtlings- und Europolitik einheitlich auftreten, doch täuschte dies nicht über die personellen Fragen hinweg. Enttäuscht vom Führungsstil des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, erhielt er beim Parteitag 2015 nur zwei Drittel der Stimmen.
Im Januar 2017 gab Sigmar Gabriel sowohl Kanzelkandidatur als auch die Position des Parteivorsitzenden zugunsten von Martin Schulz ab, unter dem es anschließend zu Neueintritten in die SPD kam. Die Umfragewerte verbesserten sich ebenfalls deutlich. Die im Jahr 2017 anstehenden Landtagswahlen in den Bundesländern Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verliefen jedoch enttäuschend und boten für einen Erfolg bei der anstehenden Bundestagswahl im selben Jahr schlechte Voraussetzungen. Die Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war erneut exemplarisch für die Situation der Sozialdemokraten.
Die SPD erreicht bei der Bundestagswahl 2017 das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei
Die Bundestagswahl 2017 führte zu einem noch schlechteren Ergebnis als im Jahr 2009. Mit nur 20,5 Prozent strebte die SPD den Gang in die Opposition an, dies wurde sowohl von den Funktionären als auch der Parteibasis begrüßt. Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche über ein Jamaika-Bündnis setzte die Partei jedoch ihre Koalition mit CDU/CSU fort, was erneut auf Widerstand innerhalb der SPD stieß. Die Zustimmung zum Koalitionsvertrag fiel mit 66 Prozent dementsprechend niedrig aus, obwohl der Partei drei wichtige Schlüsselressorts zufielen: Finanz-, Arbeits- und Außenministerium. Martin Schulz zog sich daraufhin zurück und verzichtete sowohl auf den Parteivorsitz als auch auf die Position des Außenministers. Olaf Scholz rückte kommissarisch in das Amt des Parteivorsitzenden.
Im Rahmen eines Sonderparteitages am 22. April 2018 wurde Andrea Nahles zur neuen Parteivorsitzenden gewählt. Das Amt des Finanzministers übernahm Olaf Scholz, Heiko Maas wurde Außenminister.
Die SPD in den Jahren 2018 – 2020
Auch in den Folgejahren konnte die SPD nicht an vergangene Erfolge anknüpfen; bei der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober 2018 erreichte sie nur 9,7 Prozent. Ein ähnliches Wahlergebnis erzielten die Sozialdemokraten in Hessen, wo sie unter 20 Prozent fielen und damit nur drittstärkste Partei wurden.
Auch das Jahr 2019 bedeutete schwere Niederlagen für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Mit 15,8 Prozent erzielte die SPD in der Europawahl das schlechteste Ergebnis seit 1887 und wurde dadurch erstmals nur noch drittstärkste Kraft in einer deutschlandweiten Wahl. In den anstehenden Landtagswahlen erfuhr die SPD weitere Verluste und erreichte teilweise nur noch einstellige Ergebnisse.
Nachdem Andrea Nahles am 3. Juni 2019 ihren Rücktritt als Parteivorsitzende erklärte, wurden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans durch eine Mitgliederbefragung als Doppelspitze ermittelt, die auf dem Parteitag am 6. Dezember 2019 bestätigt wurde. Beim SPD Parteitag im Dezember 2021 kandidierte Walter-Borjans nicht erneut für den Parteivorsitz. Seit 2021 ist Lars Klingbeil neben Saskia Esken Parteivorsitzender der SPD.
SPD – ein Blick auf die Bundestagswahl 2021
Nach dem schlechtesten Ergebnis bei der Wahl 2017 meldete sich die SPD mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei der Bundestagswahl 2021 fulminant zurück. Am Ende kamen die Sozialdemokraten auf 25,7 Prozent und stellten damit die stärkste Partei der Wahl. Durch das deutliche Ergebnis und das historisch schwache Abschneiden der Union (24,1 Prozent) reklamierte die SPD auch das Privileg für sich, mit Scholz den nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu stellen.
Nach wochenlangen Verhandlungen mit den Grünen und der FDP wurde am 24. November 2021 offiziell ein gemeinsamer Koalitionsvertrag vorgestellt. Am 7. Dezember 2021 wurde dieser von allen drei Parteien unterzeichnet.
Rubriklistenbild: © Peer Grimm/dpa