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Streit um muslimische Badekleidung spaltet Frankreich

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Wear what you want beach party protest in London
Protestaktion in London. © dpa

Paris - In Frankreich wird in acht Monaten gewählt, auch deshalb wird die Debatte um Burkinis mit aller Schärfe geführt. Spannungen gibt es auch innerhalb der Regierung. Aus London kommt eine ernste Mahnung.

Es begann im Juli mit einem Erlass der reichen Gemeinde Cannes an der französischen Riviera, der zunächst unbemerkt blieb. Inzwischen haben etwa 30 Küstenkommunen in Frankreich Ganzkörper-Badeanzüge für Musliminnen an ihren Gestaden verboten. Und das ganze Land debattiert mit erstaunlicher Härte und Ausdauer über Sinn und Unsinn solcher Regelungen.

Auch in der Regierung des sozialistischen Premiers Manuel Valls sorgt das Reizthema für Spannungen. Bildungsministerin Najat Vallaut-Belkacem meint, es sei nicht willkommen, dass es immer mehr Anti-Burkini-Verordnungen gebe. „Das ebnet den Weg für rassistische Parolen“, sagte sie dem Radiosender Europe 1.

Valls rief die Ressortchefin postwendend zur Ordnung und entgegnete im TV-Sender BFMTV, es handele sich nicht um eine Fehlentwicklung. Staatschef François Hollande verzichtet zwar darauf, explizit auf den Streit einzugehen; seine knappe Bemerkung, es dürfe „weder Provokation noch Stigmatisierung“ geben, darf aber getrost als Aufruf zur Mäßígung verstanden werden.

Acht Monate vor den Präsidentenwahlen macht sich die Rechte das Thema zu eigen. Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy möchte ohnehin eine Debatte über Sicherheit und Identität der Franzosen führen, da kommt der Burkini-Streit offensichtlich ganz gelegen.

Der 61-Jährige, der 2017 wieder den Élysée-Palast zurückerobern will, plädiert bereits für ein neues Gesetz: Äußere Zeichen einer Religionszugehörigkeit sollten verboten werden, forderte der Konservative im TV-Sender TF1 mit Blick auf Schulen, Universitäten, Verwaltungen oder Unternehmen. „Man sperrt Frauen nicht hinter Tüchern ein.“

Schon seit 2004 gilt in französischen Schulen eine Null-Toleranz-Linie gegen „auffällige religiöse Symbole“; Frankreich hat zudem seit fünf Jahren ein Burka-Verbot.

Kritiker fordern, die Jagd auf muslimische Frauen an den Stränden so rasch wie möglich zu beenden. Die linksliberale Zeitung „Libération“ spricht von einer „diskriminierenden Posse“, die Demokraten schockiere und die Polizei in eine schwierige Lage bringe.

Für Empörung sorgten Fotos vom Strand der Mittelmeermetropole Nizza, die eine von vier städtischen Polizisten umringte Frau zeigen. Sie zieht ihre Bluse aus, es wird dabei nicht deutlich, ob sie auf Druck der Ordnungshüter oder aus eigenem Antrieb handelt.

Deutliche Kritik kommt inzwischen auch aus dem Ausland. „Ich bin da ganz klar. Ich denke nicht, dass irgendjemand Frauen sagen sollte, was sie tragen dürfen und was nicht“, sagte der neue Londoner Bürgermeister Sadiq Khan der britischen Zeitung „Evening Standard“. Khan ist selbst Muslim.

Cannes und Nizza haben Burkinis an ihren Stränden verboten - Antibes liegt zwischen beiden Städten und hat bisher auf einen Bann verzichtet. „Seit dem Attentat von Nizza sind wir in einem Klima einer extremen Spannung“, bilanziert Bürgermeister Jean Leonetti in der „Libération“. „In Antibes liegt der Strand in der Verlängerung der Promenade. Soll ich auf dem Sand (etwas) verbieten, was ich auf dem Asphalt erlaube?“, fragt der Konservative.

Bürgermeister an der Riviera begründen ihre Burkini-Verbote oft mit der französischen Tradition einer strikten Trennung von Kirche und Staat, die man Laizität nennt. Sie verweisen zum Teil aber auch auf den Hintergrund der islamistischen Terroranschläge. Das Attentat eines radikalisierten Gewalttäters hatte am 14. Juli auf der Standpromenade von Nizza 86 Menschen in den Tod gerissen.

Der französische Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht, befasste sich am Donnerstag auf Antrag der Menschenrechtsliga mit dem Anti-Burkini-Erlass der Gemeinde Villeneuve-Loubet an der Côte d'Azur. Die Gerichts-Entscheidung, die die aufgeheizte Debatte im Land vielleicht beruhigen könnte, wird am Freitag erwartet.

dpa

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