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Europa hat im Syrien-Krieg versagt - Sicherheitsexperte: „Wir sind Putins Weihnachtsgans“

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Von: Marcus Mäckler

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Laut dem Sicherheitsexperten Christian Mölling hat die EU mit Blick auf Syrien zu lange still gehalten. Jetzt bekommt Europa die Quittung dafür.

München Europa hatte den Syrien-Krieg beinahe vergessen, umso wuchtiger kehrt er nun ins Bewusstsein zurück. Wo hat die internationale Gemeinschaft versagt – und was kann sie tun, um die Kämpfe zu beenden? Der Sicherheitsexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik macht nur wenig Hoffnung.

Sicherheitsexperte: Es hätte sich gelohnt „in Syrien zu intervenieren“

Herr Mölling, die EU hat mit Blick auf Syrien zu lange still gehalten. Ist die jetzige Eskalation die Quittung dafür?

Natürlich ist das die Quittung. Es hätte Situationen gegeben, in denen es sich gelohnt hätte, in Syrien zu intervenieren. Die letzte war, als Barack Obama nach dem Chemiewaffenangriff des syrischen Regimes eine rote Linie zog. Aber das ist verschüttete Milch.

Der Schlüssel, um den Krieg zu beenden, ist Wladimir Putin. Ließe er sich durch Sanktionen zu Verhandlungen zwingen?

Das kommt darauf an – welche Sanktionen würden Putin wehtun? In den letzten Tagen gab es Überlegungen, die Ostseepipeline Nord Stream 2 als Faustpfand zu nehmen. Die Frage ist, ob Deutschland und Europa die Beziehungen zu Russland auf diese Weise belasten wollen. Da bin ich eher skeptisch.

Sicherheitsexperte Mölling: „Wir können die Flüchtlingsfrage eigenständig beeinflussen“

Ist der Krieg um Idlib nicht Tragödie genug, um so etwas zu wagen?

Idlib ist eine Riesentragödie. Aber vor einigen Monaten waren wir schon mal an dem Punkt, dass wir sagten: Es muss was passieren. Annegret Kramp-Karrenbauer schlug damals eine Schutzzone vor. Ich war sehr dafür. Passiert ist aber nichts. Erst, wenn wir in Deutschland Idlib wirklich als ein Problem sehen, das uns selbst betrifft, wird politischer Wille entstehen.

Entsteht der Druck nicht gerade, weil Erdogan die Grenzen geöffnet hat?

Das glaube ich nicht. Die Lösungsansätze in der Flüchtlingsfrage sind ja inzwischen abgekoppelt von der Konfliktlösung in Syrien, was richtig ist. Denn heute können wir den Krieg nicht mehr in unserem Sinne entscheiden und damit die Flüchtlingsfrage eigenständig beeinflussen.

Welche Möglichkeiten hat Europa denn, zumindest für ein schnelles Ende des Kriegs zu sorgen?

Die große Frage ist, wann die Russen sich an den Verhandlungstisch setzen. Es muss einen Vorteil für sie haben, und der ist für Putin in dem Augenblick erreicht, in dem er seinen Einfluss in der Region stabilisiert hat und es um den Wiederaufbau geht. Die Situation, die er gerade vorfindet, ist diese: Die Europäer sitzen schon am Verhandlungstisch und warten darauf, dass der Chef Platz nimmt.

Flüchtlingskrise: „Wir sind auf Gedeih und Verderb an Russland und die Türkei gekoppelt“

Klingt wenig ermutigend.

Wir sind auf Gedeih und Verderb an Russland und die Türkei gekoppelt, gerade bei der Flüchtlingsfrage*. Die Europäer müssten überlegen, wie sie diese offene Flanke kleiner machen. Es mag naiv klingen, aber könnte man nicht positiv sagen: Wir belohnen Städte dafür, Flüchtlinge aufzunehmen? Das würde die Bereitschaft steigern. Sonst bleiben wir auf Dauer erpressbar.

Müsste sich der Westen jetzt noch aktiv in der Region einschalten, etwa mit einer UN-Mission?

Das hängt vom Szenario ab. Einem UN-Sicherheitsratsbeschluss müssten die Russen zustimmen, entsprechend beschränkt wäre das Mandat. Ohne Beschluss ginge man bewusst in einen Konflikt mit Russland. Der Appetit auf einen Waffengang im Nahen Osten ist, glaube ich, sehr beschränkt. Der Unterschied zu Putin und Erdogan ist: Sie sind bereit, ein Risiko einzugehen und das Leben der eigenen Soldaten zu opfern.

Syrien-Krieg: Europa ist zu risikoscheu

Ist Europa also zu risikoscheu?

Absolut, aber in der jetzigen Situation kommt eine militärische Operation auch viel zu spät. Man müsste ja eine Streitmacht aufbieten, die in der Lage wäre, eine Region wie Idlib zu sichern. Und wie dann weiter? Dann mischen auch noch andere Akteure mit, der Iran etwa. Wir haben derzeit keine Durchsetzungsmacht in der Region.

Es bleibt uns also nur zu warten, bis Putin sich zu uns an den Verhandlungstisch setzt?

Leider ja. Und dann werden wir bereit sein, eine hohe Summe zu zahlen. Wir sind eine Weihnachtsgans, die immer noch ausgenommen werden kann.

Interview: Marcus Mäckler

Die Lage in Syrien könnte zu einer erneuten Flüchtlingskrise in Europa führen. Auf der Insel Lesbos vor der griechischen Küste herrschen bereits jetzt katastrophale Zustände*. Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert die Kapazitäten der deutschen Flüchtlingsunterkünfte wieder zu aktivieren

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