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Patriotismus, Hohn und ein „entbürgerlichtes Land“: Zündstoff am Tag der Deutschen Einheit

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Von: Florian Naumann

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Tag der Deutschen Einheit - Offizielle Feier
Tad der Deutschen Einheit: Angela Merkel (CDU) trägt sich neben Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD, l) und Hans-Werner Tovar (SPD) ins Goldene Buch der Stadt Kiel ein. © dpa / Axel Heimken

Deutschland begeht seinen Nationalfeiertag - rund um den Tag der Deutschen Einheit ergeben sich teils schmerzhafte Debatten.

Berlin/Kiel - Der Tag der Deutsche Einheit ist für viele Politiker Anlass für salbungsvolle Worte, aber auch einige kritische Töne sind am deutschen Nationalfeiertag zu hören. Es geht um Patriotismus, die AfD - und die Gründe für die teils extremen Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern.

Einen brisanten Beitrag lieferte der frühere Bischof von Magdeburg, Axel Noack, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. „Dass Ostdeutsche rechts sind, weil sie Ostdeutsche sind, halte ich für Unsinn. Die Menschen sind hier nicht anders als im Westen, aber sie leben in einer anderen Zusammensetzung“, erklärte er.

Tag der Deutschen Einheit: Bischof sieht „entbürgerlichtes Land“

Schon in den Jahren bis 1961 seien Hunderttausende in den Westen abgewandert. Selbst während der Existenz der Mauer habe sich die Bewegung gen BRD fortgesetzt - und auch nach der Wende seien Hunderttausende gegangen. „Es sind die Bürgerlichen gegangen, viele aus unseren Kirchengemeinden.“ Die Entbürgerlichung des Landes sei „ein bleibender Erfolg der DDR“, sagte Noack.

Auch westdeutsche Beamte und Entscheidungsträger verabschiedeten sich nach Pensionierung meist wieder in den Westen. „Es fehlt die Mitte“, folgerte Noack im Gespräch mit der SZ. „Da darf man sich über die Wahlergebnisse nicht wundern.“ 

Zugleich gebe es wirtschaftliche Probleme: „Es gibt hier einen Spruch: Die deutsche Einheit ist hergestellt, wenn der letzte Ossi aus dem Grundbuch ausgetragen ist.“ Die Marktwirtschaft sei nach der Wende zu unrecht „heiliggesprochen worden“ - nun werde alles was falsch läuft nicht als Zeichen eines fehlbaren Systems, sondern als Zeichen, „dass alles faul ist“ gesehen.

Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) wiederum sieht Unzufriedenheit mit der Demokratie nicht allein als Phänomen in Ostdeutschland. „Demokratieverdruss ist nicht nur ein ostdeutsches Problem“, sagte er Zeit Online. „Es hat auch damit zu tun, dass man heute leben kann, ohne mit der Meinung Andersdenkender oder mit Fakten behelligt zu werden.“ Das sei eine dramatische Entwicklung. „In Ostdeutschland ist es selbst in Freundes- und Familienkreisen fast unmöglich, sich miteinander über die Wirklichkeit zu einigen. Das ist eine riesige kommunikative Herausforderung, die weit über Politik hinausgeht.“

Auch interessant: AfD im Dauer-Höhenflug - Warum der Osten so anders wählt

Tag der Deutschen Einheit: Günter wirft AfD Verhöhnung der Ostdeutschen vor

Bezug auf die jüngsten Wahlkämpfe im Osten nahm auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Kiel. Er warf der AfD vor, die Demonstranten in der ehemaligen DDR durch politische Vereinnahmung zu verhöhnen. "Die Menschen in der DDR waren damals extrem mutig, als sie auf die Straße gingen und die Wiedervereinigung auf friedliche Weise erlangten“, betonte er. 

Tag der Deutschen Einheit - Offizielle Feier
Tag der Deutschen Einheit - Offizielle Feier © dpa / Christian Charisius

Es sei "eine Verhöhnung der Leistung dieser Menschen, wenn Parteien diesen Mut heute für ihre parteipolitischen Zwecke missbrauchen, indem sie von der Wende 2.0 reden". Günther nannte die AfD nicht direkt, nahm aber mit der Nennung von deren Wahlkampfslogan zu einer "Wende 2.0" eindeutig Bezug auf die Rechtspopulisten.

"Diese Wende als historische Lebensleistung der Ostdeutschen bleibt singulär und untrennbar mit dem Ende der DDR verbunden", sagte Günther. Heute sei es nötig, "selbst wieder etwas mutiger zu werden". "Wir wollen uns nicht von Zukunftsangst überwältigen und von Angstmachern ins Extreme treiben lassen", sagte Günther.

Tag der Deutschen Einheit: Amthor fordert „gesunden Patriotismus“ - Merkel gegen Intoleranz

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor forderte von den Deutschen hingegen einen „gesunden Patriotismus“. „Wir dürfen die Nationalsymbole nicht den Rechtspopulisten überlassen. Ein offener und gesunder Patriotismus ist doch etwas, was sich viele Menschen wünschen“, sagte er dem Magazin Focus. Die Jugend „denkt und tickt durchaus konservativer als viele glauben“, sagte er weiter. „Ich habe nicht den Eindruck, dass junge Menschen per se auf linke Parteien stehen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erinnerte in ihrer Rede beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Kiel unterdessen an die Opfer der SED-Diktatur in der DDR. „Sie sollten wir nie vergessen. Auch an einem Tag der Freude wie heute nicht“, sagte Merkel am Donnerstag. 30 Jahre nach dem Mauerfall bezeichnete sie die Geschehnisse in der DDR im November 1989 als „Revolution im Geist der Freiheit“.

Die großen Herausforderungen unserer Zeit müsse "offen, lebendig und kontrovers" diskutiert werden, sagte Merkel. Dabei gelte: "Nein zu Intoleranz, Nein zu Ausgrenzung, Nein zu Hass und Antisemitismus". Die Werte des Grundgesetzes müssten "jede Debatte in unserem Lande" bestimmen, fügte Merkel hinzu. Als Bürger in einer Demokratie hätten alle die Verpflichtung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit immer wieder aufs Neue zu sichern. Dazu gehöre, "dass niemand, der öffentlich Verantwortung übernimmt, um Leib und Leben fürchten muss".

Tag der Deutschen Einheit: Auch Putin gratuliert

Zum Festakt kamen am Donnerstag in Kiel die Spitzen der Verfassungsorgane zusammen, darunter auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Deutschland ist seit 1990 wiedervereinigt, seither ist der 3. Oktober Nationalfeiertag. Die Schriftstellerin Jana Hensel erneuerte ihre Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Feiertages.

Fernab der deutschen Landesgrenzen würdigte auch Kremlchef Wladimir Putin die Wiedervereinigung Deutschlands als historisches Ereignis. Sie habe das Ende des Kalten Krieges in Europa markiert, sagte Putin dem Kreml in Moskau zufolge. In dem Glückwunschschreiben an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt es weiter: Mit der Wiedervereinigung sei „eine neue Seite in den Beziehungen zwischen unseren Staaten“ aufgeschlagen worden. Putin zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen konstruktiv weiterentwickele. Das würde den Grundinteressen der Völker Russlands und Deutschlands sowie Europas entsprechen.

Alt-Bundespräsident Joachim Gauck hat sich unterdessen zu Angela Merkels beruflicher Zukunft geäußert. In Ostdeutschland steht bereits die nächste Wahl bevor: Am 27. Oktober wählt Thüringen einen neuen Landtag

Der Mauerfall jährt sich 2019 zum 30. Mal. Durch Mödlareuth (48 Einwohner) lief bis zur Wiedervereingung die innerdeutsche Grenze - jetzt hat sich hoher Besuch angekündigt.

fn/dpa/AFP

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