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Tote Deutsche in Kabul: Die Folgen sind verheerend

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In diesem Haus in Kabul wurde die Deutsche ermordet.
In diesem Haus in Kabul wurde die Deutsche ermordet. © dpa

Der jüngste Anschlag auf ein ausländisches Gästehaus in Kabul trifft eine Organisation, die Kindern und Frauen hilft. Das ist auch ein Alptraum für andere Helfer.

Kabul - Die Männer kommen um kurz vor Mitternacht. Überfälle auf internationale Gästehäuser sind in Kabul nichts Neues, aber dieser beginnt ungewöhnlich. Nicht mit Bomben, nicht mit Selbstmordattentätern, ganz ohne Schusswechsel mit Sicherheitskräften - von einer „Erstürmung des Hauses“, wie einige Medien berichten, kann keine Rede sein. Die Täter scheinen sich, so schildern es die Nachbarn, eher still auf das Gelände geschlichen zu haben.

Was sie wollten, was genau in dem Haus geschieht, das einer schwedischen Hilfsorganisation gehört, ist noch unklar. Aber am Ende des Überfalls sind die Täter weg, eine finnische Frau nehmen sie mit. Eine deutsche Mitarbeiterin der Organisation und ein afghanischer Wachmann sind tot. Gerüchte machen die Runde, dass der Wachmann enthauptet worden sein soll. Was genau ist da passiert?

Anschläge waren zu erwarten. Es ist eine böse Gemengelage in Kabul dieser Tage. Da ist eine allgemeine Steigerung der Unsicherheit, die schon länger anhält, und da sind aktuelle Faktoren.

Schiefgelaufener Entführungsversuch oder geplanter Anschlag?

Die radikalislamischen Taliban, die schnell an Territorium gewinnen, haben gerade ihre Frühjahrsoffensive begonnen und wollen Übermacht demonstrieren. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) wiederum will ihre Zähigkeit beweisen, nachdem die USA vor fünf Wochen die größte nicht-nukleare Bombe in ihrem Arsenal auf zentrale IS-Stellungen im Osten abgeworfen hatten. In sieben großen Taliban- und IS-Anschlägen sind allein seit Januar in Kabul Hunderte Menschen getötet oder verletzt worden. Und zu allem Überfluss steht am Donnerstag ein Nato-Gipfel an, auf dem die Welt diskutieren will, ob sie wieder mehr Truppen nach Afghanistan schicken soll - ein rotes Tuch für IS wie Taliban, die die ausländischen Helfer im Land allzuoft in einen Topf schmeißen mit den verhassten „Besatzungstruppen“.

Aber waren es Islamisten? Oder war es vielleicht doch ein Entführungsversuch? Einer, der mit zwei Todesopfern so richtig schiegelaufen ist? Die Kidnapping-Mafia von Kabul wird tatsächlich immer dreister. Sie nimmt Ausländer wie Afghanen gleichermaßen aufs Korn. Zahllose afghanische Geschäftsmänner hat sie im vergangenen Jahr entführt und, fast im Dreimonatsrhythmus, auch Ausländer.

Ihre ausländischen Opfer hatten die Täter bisher fast immer aus Autos entführt, auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause. Sollten die Entführer jetzt anfangen, auch in Gästehäuser einzubrechen, „wäre das eine klare Eskalation“, sagte ein internationaler Sicherheitsprofi.

Die Attacke hat tiefgreifende Folgen

Eine andere Möglichkeit ist ein Angriff von Islamisten auf Menschen, die sie für Missionare gehalten haben könnten. Operation Mercy ist eine europäische Organisation; auf ihrer Internetseite steht als erste von fünf „Prioritäten“ für ihre Arbeit das Gebet. Aber bisher hat sich keine Terrororganisation zu dem Überfall bekannt.

Wer die tote Deutsche war, welche Arbeit sie für Operation Mercy getan hat, ob sie sich gegen eine Entführung oder vielleicht auch einen gewöhnlichen Einbruch gewehrt hat und so sterben musste - es liegt alles noch im Dunkeln. Aber was auch immer dahintersteckt: Für die Hilfsorganisationen, die noch in Afghanistan arbeiten, ist es ein Alptraum. Immer mehr Anschläge, immer weniger Zugang zu den umkämpften Provinzen und damit zum Kern des Elends in einem der ärmsten Länder der Welt, hat viele schon dazu veranlasst, ihre Teams und Budgets zu kürzen. Überfälle wie dieser geben Anlass, auch das verbleibende Engagement zu hinterfragen.

Die Verluste sind dann nicht mehr nur auf die Gemeinschaft der Helfer begrenzt. Operation Mercy arbeitet in Afghanistan zum Beispiel an der Reduzierung der Kindersterblichkeit, die eine der höchsten der Welt ist. Weniger Helfer bedeutet auch mehr Leiden unter jenen afghanischen Frauen und Kindern, die auf sie zählen.

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