Stichwahl in der Türkei: Erdogan gegen Kilicdaroglu - Das ist wichtig
Am 28. Mai heißt es bei der Stichwahl in der Türkei: Erdogan gegen Kilicdaroglu. Der Drittplatzierte Sinan Ogan könnte dabei zum Königsmacher werden.
Ankara - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verfehlte bei der Türkei-Wahl 2023 knapp die absolute Mehrheit. Es wird eine Stichwahl mit Kemal Kilicdaroglu geben. Hier finden Sie alle Informationen zur Stichwahl.
Wie fielen die Ergebnisse der Türkei-Wahl 2023 aus?
Bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei am vergangenen Sonntag (14. Mai) hat der amtierende Präsident Erdogan die absolute Mehrheit von über 50 Prozent nur äußerst knapp verfehlt. Sein Stimmenanteil belief sich auf 49,5 Prozent. Der Kandidat der Opposition, Kemal Kilicdaroglu, erzielte hingegen 44,8 Prozent. Sinan Ogan, der dritte Kandidat, erreichte einen Anteil von 5,2 Prozent.
War das Ergebnis überraschend?
Das Resultat der Präsidentenwahl sorgte für eine Überraschung. Obwohl Umfragen im Vorfeld eine Stichwahl prognostiziert hatten, galt Kilicdaroglu als Favorit.
Was bedeutet „Stichwahl“?
Eine Stichwahl findet statt, wenn kein Kandidat bei einer Wahl die erforderliche Mehrheit erreicht, um als Sieger hervorzugehen. In der Türkei hätte einer der Kandidaten eine absolute Mehrheit von über 50 Prozent der abgegebenen Stimmen erreichen müssen, um Präsident zu bleiben oder zu werden. Da dies nicht eingetreten ist, treten diejenigen Kandidaten, die die meisten Wählerstimmen erhalten haben, in einer Stichwahl erneut gegeneinander an.
Wer tritt bei der Stichwahl in der Türkei gegeneinander an?
Am 28. Mai treten bei der Stichwahl in der Türkei erneut der Vorsitzende der AKP, Erdogan, und Kemal Kilicdaroglu von der linksgerichteten CHP gegeneinander an.
Was muss man über Recep Tayyip Erdogan wissen?
Erdogan (69) wuchs in Istanbul als Sohn eines armen Seemanns auf. In seiner Jugend versuchte er, das Familieneinkommen durch den Verkauf von Wasser, Sesamkringeln und Süßigkeiten aufzubessern. Später studierte er Wirtschaftswissenschaften. Im Jahr 1994 wurde der streng gläubige Muslim zum Oberbürgermeister von Istanbul gewählt.
Nachdem seine frühere Partei verboten wurde, gründete Erdogan die AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung), eine islamisch-konservative Partei. Im Jahr 2003 wurde er Ministerpräsident der Türkei und brachte den Islam wieder stärker in die Politik. Im August 2014 wurde Erdogan zum Präsidenten der Türkei gewählt und kurz darauf führte er eine Verhaftungswelle gegen regierungskritische Journalisten durch.
Im Juli 2016 wurde die türkische Regierung von einem Putschversuch seitens des Militärs bedroht. Als Reaktion darauf rief die Regierung unter Erdogan einen Ausnahmezustand aus, der mehrmals bis zum Jahr 2017 verlängert wurde. Der Putschversuch bildete auch den Anlass für eine Verfassungsänderung, durch die die Exekutivbefugnisse gebündelt und der Einfluss Erdogans auf die Justiz ausgebaut wurden.
Was muss man über Kemal Kilicdaroglu wissen?
Kemal Kilicdaroglu ist der Präsidentschaftskandidat der Opposition. Der 75-jährige Politiker hat Wirtschaftswissenschaften studiert und verfügt über langjährige Erfahrung als Buchhaltungsexperte und im Bereich Sozialversicherung. Seit dem Jahr 2002 ist er Mitglied des türkischen Parlaments und vertritt dort die CHP (Republikanische Volkspartei). Im Jahr 2010 wurde er zum Vorsitzenden seiner Partei gewählt.
Im März 2023 wurde Kilicdaroglu vom Oppositionsbündnis „Sechser Tisch“ als gemeinsamer Kandidat für die Wahlen in der Türkei nominiert. Zudem erhält er Unterstützung vom linken Parteienbündnis „Bündnis für Arbeit und Freiheit“, zu dem auch die pro-kurdische HDP gehört.
Was geschieht mit den Stimmen des Drittplatzierten?
Die Anhänger von Sinan Ogan (55), dem drittplatzierten Kandidaten und Ultranationalisten, spielen eine entscheidende Rolle in der bevorstehenden Stichwahl. Ogan konnte 2,8 Millionen Stimmen für sich verbuchen. Zwischen Erdogan und seinem Gegner liegen etwa 2,5 Millionen Stimmen. Am Montag, den 22. Mai, gab Ogan bekannt, dass er Erdogan in der Stichwahl unterstützen wird. Diese Entscheidung mindert die Hoffnungen von Kilicdaroglu, dass er sich durchsetzen kann.
Wie sind die Prognosen für die Stichwahl in der Türkei?
Amtsinhaber Erdogan geht als deutlicher Favorit in die Wahl. Um den Präsidenten zu besiegen, wäre für den Oppositionspolitiker Kilicdaroglu ein wahres Wunder vonnöten. Es bleibt fraglich, ob er nach der Enttäuschung über seine Niederlage im ersten Durchgang noch genügend Wähler mobilisieren kann.
Kritiker bemängeln, dass Kilicdaroglu an Charisma für das höchste Staatsamt mangelt. Auch seine Herkunft stellt ein Handicap dar. Er stammt aus der Provinz Dersim (heute Tunceli), die von Kurden geprägt ist und wo viele Aleviten leben. Mitte April hat der 74-Jährige erstmals öffentlich seine Zugehörigkeit zum Alevitentum bekannt gegeben und somit ein bedeutendes Tabu in der Türkei gebrochen.
Wie bewerten die Kandidaten ihre Chancen?
Erdogan ist von seinem bevorstehenden Sieg bei der anstehenden Stichwahl um das Präsidentenamt in zwei Wochen überzeugt. Auf Twitter verkündete er am Dienstag, dass er „so Gott will, einen historischen Erfolg erzielen“ werde.
Auch sein Herausforderer, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, zeigte sich selbstbewusst und kämpferisch. Er interpretierte das Ergebnis vom Sonntag als eine Botschaft des Wandels und betonte auf Twitter: „Aber es ist auch klar, dass wir diejenigen sind, die viel härter kämpfen müssen, um ein so rücksichtsloses Regime loszuwerden. Wir haben noch zwölf Tage, um diesen dunklen Tunnel zu verlassen.“
Sind die Wahlen in der Türkei ordnungsgemäß abgelaufen?
Nach den Wahlen in der Türkei am Sonntag haben Wahlbeobachter Bedenken bezüglich der Abläufe geäußert. Frank Schwabe, der Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europarats, erklärte, dass die Türkei nicht den Prinzipien einer demokratischen Wahl entspräche. Die Delegation bemängelte mangelnde Transparenz bei der Stimmauszählung und forderte von der Wahlbehörde eine klare Erklärung zur Veröffentlichung der Wahlergebnisse. Es wird vermutet, dass die Behörde unter dem Einfluss der Regierung steht.
Bereits vor der Wahl wurden ungleiche Bedingungen festgestellt. Die regierende AKP unter Erdogan habe „ungerechtfertigte Vorteile“ gehabt, insbesondere in Bezug auf die Berichterstattung der türkischen Medien. Die türkische Regierung kontrolliert weite Teile der Medienlandschaft, was zu einer einseitigen Berichterstattung führen kann. Die Opposition stand offenbar teilweise unter massivem Druck.
Auch die niedrige Wahlbeteiligung in den von Erdbeben stark betroffenen Regionen Anfang Februar ist besorgniserregend. Obwohl keine rechtlichen Hindernisse vorlagen, war die emotionale Belastung dort offensichtlich enorm. Es liegen vorerst keine offiziellen Daten zur Wahlbeteiligung in den betroffenen Gebieten vor.
Wie haben die Türken in Deutschland gewählt?
Bei den türkischen Wählern in Deutschland zeichnet sich erneut eine deutliche Mehrheit für Erdogan bei der Präsidentschaftswahl ab. Der Amtsinhaber erhielt knapp zwei Drittel der Stimmen aus Deutschland. Es ist anzunehmen, dass Erdogan in Deutschland wesentlich besser abschneiden wird als insgesamt bei der Wahl.
Für diesen von der Redaktion geschriebenen Artikel wurde maschinelle Unterstützung genutzt. Der Artikel wurde vor Veröffentlichung von Redakteurin Stephanie Munk sorgfältig überprüft.