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Der Türken-Martin und seine CSU

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Gezeichnet vom Lob der Opposition: Martin Neumeyer verweigert sich dem Hardliner-Kurs seiner CSU. © dapd

München - Er spricht Türkisch, wirbt für mehr Zuwanderung und wählt CSU. Martin Neumeyer, Bayerns erster Integrationsbeauftragter, erstaunt Freund und Feind. Aber passt so viel Weichspüler in die aktuelle Integrations-Debatte der CSU?

Das Mitleid der Opposition trifft ihn wie Giftpfeile. „Der Türken-Martin muss ausbaden, was ihm die CSU eingebrockt hat“, ätzt eine Rednerin der SPD. Dann treten die Grünen ans Pult, sie loben ihn demonstrativ und duzen ihn. Martin Neumeyer sitzt auf seinem Landtagssitz hinten weit außen in der vorletzten Reihe und weiß nicht recht, wie er reagieren soll. Ein verlegenes Lächeln, ein Seitenblick auf die CSUler links und rechts von ihm, und hoffen, dass die Sitzung schnell zu Ende ist.

Neumeyer, 56, musste sich die längste Zeit seiner politischen Laufbahn so etwas nicht anhören. Als Hinterbänkler im Landtag fiel er fünf Jahre allenfalls durch seine Namensgleichheit mit dem früheren Regierungssprecher auf. Brav sei er, fleißig, hieß es über ihn, in der Politik klingen Komplimente anders. Das Rampenlicht ging im Februar 2009 überraschend an.

Da suchte die CSU/FDP-Koalition einen Integrationsbeauftragten. Die FDP hatte im Koalitionsvertrag den Posten erfunden und sich das Besetzungsrecht erboxt. Integrationsbeauftragter, das klang nach einem Amt, um den CSU-Innenminister mit liberalen Positionen zu ärgern.

Ihren Abgeordneten Georg Barfuß schlug die FDP vor. Der aber redete sich vorab in Interviews um Kopf und Kragen, forderte die Übernahme von Teilen des Scharia-Rechts. Barfuß war untragbar, die CSU besetzte den Posten selber - nicht ahnend, wie wichtig er werden sollte.

Jetzt steht Neumeyer, gelernter Koch, Betriebswirt aus 93326 Abensberg, im Mittelpunkt eines politischen Wirbelsturms. Binnen Tagen wurde Integration zum Megathema. Und er zum „Türken-Martin“. Sie nennen ihn in der eigenen Partei so, heimlich. Das soll kein Spott sein, der Abgeordnete ist in den eigenen Reihen sehr beliebt, weil er ehrlich, geradlinig arbeitet - aber Skepsis schwingt schon mit.

Neumeyer nämlich ist der Gegenentwurf zur aktuellen Debatte in seiner Partei: ein Versteher, kein Scharfmacher. Nicht erst seit seiner Ernennung sucht er den Dialog mit Zuwanderern, mit dem Islam. Er stapft barfuß durch Moscheen, gibt öffentlich Tipps fürs gesunde Fasten im Ramadan, traf sich mit dem Penzberger Imam Benjamin Idriz, als der in CSU-Kreisen noch geächtet war, wirbt für mehr Zuwanderung von Fachkräften, für ein Punktesystem wie in Kanada.

Das ist teils gegen die Partelinie. Wer genau hinhört, kann bei Neumeyer vieles erfahren, was auch Horst Seehofer sagen würde. Dass man Integrationsbereitschaft einfordern müsse, dass kein Weg zur Multi-Kulti-Gesellschaft führe, dass die Türkei nicht in die EU gehöre. Die Akzente liegen bei Neumeyer aber anders, er sieht sich als Ombudsmann der Migranten, lernte sogar Türkisch.

Das kommt nicht überall gut an. In anonymen E-Mails beschimpften ihn Bürger, einer drohte ihm Peitschenhiebe an. „Gutmensch“, sagen Parteifreunde über ihn; ein bisschen herablassend einerseits, aber auch anerkennend für seine ehrlich guten Absichten. Für kurze Zeit war die CSU mal auf dem Trip, sich als großstädtisch-liberale Partei zu geben - das waren die Monate, aus denen Neumeyer zu stammen scheint.

In der Debatte, die ihn nun umtost, führen andere das Wort. Beim Parteitag der CSU vor zwei Wochen ist es Joachim Herrmann, der die große Rede zur Integration hält: „Ein entscheidendes Thema für die Zukunft unserer Partei.“ Die CSU müsse hier eine ganz klare Sprache sprechen, verlangt der Innenminister - und setzt das postwendend um: „Hassprediger schmeißen wir raus.“ Neumeyer betritt nicht mal die Bühne, spricht nur kurz aus der Menge heraus. Seine härteste Forderung ist, dass „Moscheen architektonisch ins Land passen“ müssen. Selbst die relativiert er umgehend: „Wir würden auch nicht mehr Kloster Weltenburg bauen, wenn wir heute eine Kirche bauen würden.“

Das Amt, sagte er mal, „bedeutet einen Tanz auf der Rasierklinge“. Er tanzt alleine. Der Posten - praktisch ein Titel ohne Mittel - ist ehrenamtlich, unterstützt nur mit einem Büro. Neumeyer könnte sich auch was anderes vorstellen, fiel heuer aber als Landrats-Kandidat in Kelheim durch. Nun will er seine Aufgabe durchziehen - unaufgeregt wie bisher. Dass seine Ansichten nicht jedem in der CSU gefallen, stört Neumeyer nicht. Verschiedene Meinungen zu repräsentieren, das sei es doch, was eine Volkspartei auszeichne. „Das Volk“, sagt er, „hat ja auch nicht nur eine Meinung.“

Christian Deutschländer/ Andreas Zimniok

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