Wie effektiv werden aber die Hightech-Sanktionen des Westens sein? Das Problem ist schnell benannt: Es ist China, das weltweit zu den führenden Herstellern von Elektronik, Maschinen und anderen Industriegütern gehört. Rund 70 Prozent der Chips, die Russland benötigt, kommen aus China. Im Gegenzug liefert Russland Energie und Lebensmittel nach China*.
Doch die USA sind führend darin, Chips zu designen, sie halten immer noch die meisten Patente in dem Bereich. Wohingegen China nur einer von vielen Produktionsstandorten der Welt ist, an dem Chips hergestellt werden. Und, dass die in den USA designten Chips nicht aus China nach Russland geliefert werden, dafür sorgt die Foreign Product Direct Rule (FPDR) der US-Regierung. Denn durch die FPDR werden beschlossene Exportrestriktionen indirekt auch bei Produzenten wirksam: Wenn die Herstellung wesentlich von US-Produkten abhängt, etwa von Software, Bauteilen oder Chips, fallen die Endprodukte ebenfalls unter das Sanktionsregime und benötigen eine separate US-Ausfuhrgenehmigung.
„Die Maßnahmen der Trump-Regierung gegen Huawei könnten als Blaupause dienen. Dort kam die sogenannte Foreign Direct Product Rule (FDPR) zur Anwendung. Das Besondere an ihr ist ihre Reichweite: Sie betrifft auch im Ausland produzierte Technologien, die einen bestimmten Anteil an US-Technologien enthalten oder mithilfe amerikanischer Software oder Equipment hergestellt wurden“, sagt Sophie-Charlotte Fischer, Forscherin am Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich und Spezialistin für Sanktionsregime für Hochtechnologien.
Dennoch sieht der Verband der US-Halbleiter SIA anhand der Technologiesanktionen im Allgemeinen keine schweren finanziellen Einbußen in der Halbleiterbranche. „Russland ist kein bedeutender Verbraucher von Halbleitern“, sagt John Neuffer, CEO von SIA. Gerade einmal 0,1 Prozent der weltweiten Chipkäufe entfallen laut Daten der SIA auf Russland. Auch das US-Forschungsunternehmen IDC rechnet vor, dass der russische Chipmarkt lediglich einen Handelswert von 50 Milliarden US-Dollar in einer globalen Industrie von 4,5 Billionen US-Dollar hat.
Paul Triolo, Leiter für Technologiepolitik bei der Beratungsfirma Albright Stonebridge Group, sagte Politico gegenüber, dass er zwar davon überzeugt ist, dass China den Bedarf Russlands an fortschrittlichen Chips nicht decken kann. Er sieht aber, dass chinesische Firmen sich in der jüngsten Vergangenheit so gut positioniert haben, dass sie konkurrenzfähige Cloud-Dienste und Unternehmenssoftware anbieten können, um die derzeit in den USA oder Europa verfügbaren Optionen zu ersetzen.
Und auch diese Option stellt sowohl Peking als auch Moskau vor schwierigen Entscheidungen: Denn durch solch einen Schritt könnte China selbst zum Zielobjekt von Sanktionen aus Washington werden. Zudem ist die Volksrepublik selbst auf Chips aus dem Ausland angewiesen, da das Land noch nicht in der Lage ist, diese eigenständig zu entwickeln.
Gleichzeitig haben die russische Regierung und ihr Sicherheitsapparat erhebliche Bedenken, Netzwerktechnologien aus China zu nutzen und sich damit abhängig zu machen. „Die Frage ist, wie sehr Russland sich von kritischen chinesischen Technologien abhängig machen möchte“, sagt Sophie-Charlotte Fischer.
Von Ning Wang
Die Journalistin Ning Wang arbeitet seit 2020 als Redakteurin für die Table.Media Professional Briefings und schreibt über Themen zu Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft. Davor berichtete sie aus Peking als China-Korrespondentin für den Tagesspiegel, schrieb für die Neue Züricher Zeitung am Sonntag und Zeit Online.
Dieser Artikel erschien am 14. Februar 2022 im Newsletter China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht er nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.