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Ukraine der Aggressor und Genozid im Donbass? Putins Propaganda im gefährlichen Konflikt

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Von: Bedrettin Bölükbasi

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Russlands Präsident Wladimir Putin sitzt mit einem Blatt Papier an einem Schreibtisch und schaut skeptisch.
Es gebe einen Genozid im Donbass, behauptete der russische Präsident Wladimir Putin. © Alexei Nikolsky/dpa

Der Ukraine-Konflikt droht zu eskalieren. Russland könnte schon bald mit einer Invasion beginnen, doch in Moskau wird die Lage komplett anders geschildert.

München - Inmitten erhöhter Spannungen im Ukraine-Konflikt besuchte besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 15. Februar die russische Hauptstadt Moskau für ein Treffen mit Machthaber Wladimir Putin. Die gemeinsame Pressekonferenz nach dem Treffen hatte unter anderem einen diesen „Höhepunkt“: Putin bezeichnete die Situation im Osten der Ukraine als einen „Genozid“ gegen die Bevölkerung der sogenannten pro-russischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk.

So ähnlich lautet das generelle russische Narrativ zum Konflikt in der Ostukraine. Nicht Russland sei der Angreifer, sondern die Ukraine. Diese Darstellung zur Krise unterstützt Russland vor allem durch seine Staatsmedien. Für den Kreml dürften diese Anstrengungen Teil eines größeren Plans sein. Ein Hauptziel nach Ansicht westlicher Geheimdienste: Einen Vorwand für die Invasion der Ukraine schaffen.

Ukraine-Krise: Putins „Genozid“-Aussage Signal an russische Propaganda - Ukraine als Angreifer dargestellt

Die Genozid-Aussage Putins wirkte dabei auf russische Staatsmedien wie ein klares Zeichen, diese Narrative ebenfalls verstärkt aufzugreifen. In seiner Sendung „Westi Nedeli“ („Nachrichten der Woche“) behauptete etwa Dmitrij Kisseljow, Generaldirektor der staatlichen Nachrichtenagentur, „das Kiewer Regime“ bereite sich auf einen Angriff im Donbass vor, um die russischstämmige Bevölkerung „auszulöschen“. Die Ukraine beschrieb er als einen gescheiterten Staat, in dem „Nazis“ anti-russische Politik betreiben. „Tausende friedliche Bürger sollen gequält und bestialisch getötet werden“, so der Generaldirektor.

Nicht nur Kisseljow, sondern auch weitere russische Journalisten verbreiten die These eines angeblichen Genozids der ukrainischen Armee. Andrej Rudenko, ein Korrespondent des staatlichen Senders Rossija reiste in den Donbass, um über die Entwicklungen zu berichten. Seit acht Jahren spreche die örtliche Bevölkerung von einem Völkermord von Kiew. „Wie soll man denn die Zustände anders nennen, wenn die Armee des ehemals eigenen Landes friedliche Städte angreift?“, fragte der russische Journalist in seinem Bericht.

Aber auch schon vor Putins Aussage machte die Genozid-These in russischen Sendern die Runde. Auf der Suche nach Moskaus Haltung sind die Worte der RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan besonders aufschlussreich. Immerhin soll RT im Ausland das Sprachrohr des Kreml sein. Die ukrainische Regierung führe einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung, behauptete sie und erhob so unbelegte wie drastische Vorwürfe. „Russland kann es sich nicht erlauben, diesen Krieg nicht zu stoppen. Kaum jemand würde es für richtig halten, zu warten, bis dort Lager organisiert werden und die eigene Bevölkerung mit Gas vergiftet wird“, sagte Simonjan.

Ukraine-Krise: Pro-russische Separatisten starten Evakuierung - weitere Beschleunigung der Propaganda

Ein weiterer Teil der russischen Kommunikation: Die verkündete Evakuierung der Bevölkerung aus Donezk und Luhansk wegen eines angeblich „bevorstehenden ukrainischen Angriffs“. Glaubt man Aufnahmen der russischen Staatsmedien, so werden insbesondere Frauen und Kinder im großen Stil nach Russland evakuiert. Dies soll womöglich den Eindruck erwecken, dass diese Menschen vor einem Massaker fliehen. Das Genozid-Narrativ könnte so mit wirkmächtigen Bildern gestützt werden.

Angaben von lokalen Bewohnern lassen jedoch daran zweifeln, ob es tatsächlich eine solch große Evakuierung gibt - oder ob sie doch nicht nur dazu dient, die russische Propaganda weiter mit Material zu versorgen. „Es waren nicht so viele Menschen am Übergangspunkt“, sagte eine Frau, die nach Russland evakuiert wurde, gegenüber Washington Post. Tatsächlich scheinen die von russischen Beamten angegebenen Zahlen stark überhöht. Einem russischen Beamten zufolge wurden binnen eines Tages nach dem Beginn der Evakuierung 35.000 Menschen nach Russland transportiert. Hierfür wären jedoch nach Berechnungen der Washington Post mehr als 1.000 Busfahrten nötig.

Ukraine-Konflikt: Evakuierungsbefehl pro-russischer Regierungen mit zuvor aufgenommenen Videos

Denis Puschilin, der Anführer der pro-russischen „Volksrepublik Donezk“, und sein Amtskollege aus Luhansk, Leonid Paseschnik, verkündeten am 18. Februar in einer Videobotschaft den Beginn der Evakuierung. Ein Blick auf die Metadaten beider Videos verrät: Die Aufnahmen wurden schon zwei Tage zuvor am 16. Februar vorbereitet. Financial Times-Journalist Max Seddon, Radio Free Europe sowie die CNN bestätigten das. Dies deutet darauf hin, dass sich die pro-russischen Anführer nicht etwa wie angegeben an der aktuell kritischen Lage, sondern an einem schon länger festgelegten Plan orientieren.

Ukraine-Konflikt: Russische Manipulation mit angeblichem Angriff - Metadaten enthüllen Wahrheit

Die Metadata-Enthüllungen beschränken sich jedoch nicht nur auf diese Aufnahmen. Eine weitere russische Manipulation wurde mit Blick auf ein Video aufgedeckt, welches am 18. Februar von pro-russischen Separatisten verbreitet und russischen Staatsmedien wie auch RIA Nowosti und Tass aufgegriffen wurde. Dabei wurde behauptet, die ukrainische Armee habe versucht, ein Chlorlager in Horlikwa zu sabotieren. Der „Angriff“ sei aber vereitelt worden, so die russischen Medien.

Elliot Higgins, der Gründer des internationalen Investigativ-Netzwerks Bellingcat, enthüllte jedoch anhand der Untersuchungen zu den Metadaten, dass das vermeintliche Angriffsvideo eigentlich eine Montage aus mehreren Audio- und Videodateien ist, die gesammelt und anschließend zu einem Video kombiniert wurden. Zudem sei die Videodatei schon am 8. Februar erschaffen worden, so Higgins.

Ukraine-Konflikt: Russland will Angriff mit Fälschungen rechtfertigen - Kreml-Propaganda verdreht Fakten

All diese Manipulationen könnten sich zu einem größeren Bild zusammenfügen. Vor allem die USA warnen regelmäßig vor russischen Anstrengungen, einen Vorwand für die Invasion der Ukraine zu schaffen. Demnach soll mit einer „Operation unter falscher Flagge“ ein russischer Einmarsch in die Ukraine gerechtfertigt werden.

Tatsächlich deuten die jüngsten Entwicklungen und die Aussagen der russischen Propagandamaschine in diese Richtung. Vertraut man den russischen Medien, so hat der Krieg schon längst begonnen. Die Ukraine habe hunderttausende Soldaten in der Nähe des Donbass stationiert und attackiere Wohngebiete in Donezk und Luhansk. Ohne ein Eingreifen Russlands könne es zu einer „Vernichtung“ der russischstämmigen Bevölkerung kommen, so die russische Darstellung.

Der Kreml warnt Kiew immer wieder vor Plänen, mit militärischer Kraft die Kontrolle über diese Gebiete zu erlangen. Dabei ist es Moskau, das (jedenfalls nach US-Angaben) 75 Prozent seiner konventionellen Truppen an die Grenze verlegt hat. Allerdings lagen zuletzt auch die USA mit ihren Warnungen falsch: Auf den 16. Februar hatten Geheimdienste eine russische Invasion taxiert. Der Einmarsch blieb aus - in Russland erhob sich Spott. (bb)

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