Ukrainische Gegenoffensive mittlerweile ein Luftschloss?

Die Ukraine will Putins Soldaten mit einer Gegenoffensive aus besetzten Gebieten vertreiben. Doch die hohen Verluste und Munitionsmangel könnten dies verhindern.
München – Seit Monaten spricht die Ukraine von einer großen Gegenoffensive, mit der das Militär von Kreml-Chef Wladimir Putin in besetzten ukrainischen Gebieten schwer geschlagen werden soll. Als Zeitraum ist nun der Frühling vorgesehen. Doch einige ukrainische Beamte sind schon skeptisch über die Erfolgschancen eines solchen Vorhabens. Grund sind offenbar die hohen Verluste nach mehr als ein Jahr Krieg sowie Munitionsmangel in der Armee.
Ukraine-Krieg: Schwere Verluste stören ukrainischen Plan für Gegenoffensive
Unter Berufung auf europäische und amerikanische Beamte berichtete die US-Zeitung Washington Post, bislang seien auf ukrainischer Seite etwa 120.000 Soldaten getötet oder verwundet worden. Auf der russischen Seite sei diese Zahl rund 200.000 Soldaten. Allerdings: Die Bevölkerung, aus der Russland neue Soldaten rekrutieren kann, ist dreimal so groß wie die der Ukraine, wobei Moskau auch das größere Militär besitzt. Die Verluste sind daher eine schwerere Last für die Ukraine.
Hinzu kommt, dass diese Verluste großteils aus den Reihen erfahrener Kämpfer stammen. „Im Krieg ist Kampferfahrung die wertvollste Sache“, sagte ein Bataillon-Kommandeur mit dem Codenamen Kupol im ukrainischen Militär der amerikanischen Zeitung. „Ein Soldat, der sechs Monate Krieg überlebt hat und ein Soldat, der vom Schießstand kommt, sind zwei verschiedene Sachen, es ist wie Himmel und Erde“, erklärte er. Es gebe nur noch wenige Soldaten mit viel Erfahrung. Die restlichen seien alle entweder tot oder verwundet.
Ukraine-Krieg: Doch keine Gegenoffensive ukrainischer Truppen?
Der Washington Post zufolge hat dieser Pessimismus bereits die Machtzentren in der Hauptstadt Kiew erreicht. Nun fürchtet die ukrainische Führung wohl die seit langem erwartete Gegenoffensive nicht durchführen zu können. Doch offenbar teilen nicht alle diese Meinung. „Ich denke nicht, dass wir unser Potenzial erschöpft haben“, betonte etwa der Chef von Präsident Wolodymyr Selenskyjs Büro, Andrij Yermak. Aktuell trainiere man neue Truppen, versicherte er zudem.
Die Ukraine hofft wohl, dass die gut ausgebildeten Soldaten die Lage für Kiew entspannen werden. Einem US-Beamten zufolge reflektiert die aktuell schwierige Situation etwa in der umkämpften Stadt Bachmut nicht die wahren Zustände des ukrainischen Militärs. Denn sie halte die Soldaten absichtlich vom Kampf fern, um sie erst einmal gut für die geplante Gegenoffensive ausbilden zu können. „Es gibt immer den Glauben an ein Wunder“, so Kupol. Es werde auf jeden Fall eine Gegenoffensive geben, für die er zwei Optionen sieht: „Entweder wird es ein Massaker und Leichen geben oder es wird eine professionelle Gegenoffensive sein.“
Ukraine-Krieg: Ukrainischer Beamter glaubt nicht an Offensive gegen Putins Truppen
Jedenfalls sind Truppen nicht das einzige Problem. Auch bei der Ausrüstung steht die Ukraine vor Problemen. Die Zahl der von westlichen Verbündeten zugesicherten Panzer sei „symbolisch“, bemängelte ein hochrangiger ukrainischer Beamter gegenüber der Washington Post. Unklar ist auch, ob die Hilfe des Westens die Situation rechtzeitig zurechtbiegen kann. Es mangelt an Munition, einschließlich für Mörser und Haubitzen. Der Beamte ist anders als Yermak nicht gerade optimistisch.
„Ich glaube nicht an eine große Gegenoffensive“, unterstrich er. Da sie weniger Ressourcen hätten, würden sie nicht angreifen, sondern verteidigen. „Ich will daran glauben, aber ich schaue mir die Ressourcen an und frage mich ‚Mit was?‘“, sagte er mit Blick auf den geplanten ukrainischen Angriff. Die Ukraine habe weder das nötige Personal noch die Waffen. Im Vergleich zur Verteidigung verliere man beim Angriff zwei oder dreimal so viele Leute: „Wir können es uns nicht leisten, so viele Menschen zu verlieren.“
Die Ukraine teilt ihre Verluste jedenfalls nicht mit ihren westlichen Partnern. „Sie teilen diese Information nicht mit uns, da sie uns nicht vertrauen“, sagte ein deutscher Beamter der US-Zeitung. (bb)