Bachmut-Streit zwischen Moskau und Prigoschin? „Putins Koch“ will Schuld von sich weisen

Wagner-Chef Prigoschin gewinnt immer mehr an Macht. Nun weist der Putin-Vertraute die Schuld für die mangelnden Fortschritte in Bachmut dem Kreml zu.
Bachmut – Im Ukraine-Krieg erreicht die Schlacht um Bachmut offenbar ihren Kulminationspunkt. Das geht aus einem Bericht der US-Kriegsforscher der Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) hervor. Die mangelnden Fortschritte in der Region will der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin nun aber dem russischen Verteidigungsministerium in die Schuhe schieben. Wladimir Putins Mann fürs Grobe scheint in Russland an Gewicht zu gewinnen. Wird er zur Gefahr für Putin?
Kulminationspunkt in Bachmut erreicht: entscheidender Wendepunkt für Prigoschin
Die Kräfte der Wagner-Gruppe sind in der Region Bachmut derzeit nicht imstande, die ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen. Das bestätigte der Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, in einem von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti ausgestrahlten Interview, auf das sich die Denkfabrik ISW in einem Bericht vom Dienstag bezog.
Der Finanzier der Wagner-Gruppe erklärte, dass die Offensivbemühungen der Söldnertruppe in Bachmut äußerst zermürbend seien, weil jedes Haus eine „Festung“ sei, die Ukrainer alle zehn Meter Verteidigungslinien hätten und die russischen Kräfte Gebäude für Gebäude räumen müssten. Das sei ein entscheidender Wendepunkt für Prigoschin, so die Analyse der ISW-Experten. Denn noch im Oktober hatte der Putin-Vertraute erklärt, dass seine Truppen in der Region täglich 100 bis 200 Meter vorankämen. Nun aber habe er zugegeben, dass die Wagner-Kräfte in Bachmut keine Erfolge erzielen können.
Schon zuvor hatte das ISW von einem „Kulminationspunkt“ in der Schlacht um Bachmut gesprochen. Damit sei gemeint, dass die russischen Streitkräfte ihre Angriffsbemühungen nicht mehr im gleichen Maße fortführen könnten, wie dies über Monate hinweg der Fall war, erklärte der ehemalige Nato-General Erhard Bühler im Podcast „Was tun, Herr General“. Die russische Armee könne nicht mehr in Kompanie und Bataillonsstärke auf Bachmut vorgehen, sondern in Gruppenstärke von nur fünf bis zehn Mann. Die Wagner-Leute müssten zudem durch Luftlandetruppen der Russen unterstützt werden.
Ukraine-Krieg: Wagner-Gruppe beklagt mangelnde Ausrüstung
Es mangele an genügend gepanzerten Fahrzeugen, Munition und 100-mm-Granaten, um die ukrainischen Verteidigungslinien in Bachmut zu durchbrechen, beklagten Soldaten der Wagner-Gruppe in einem mutmaßlich gescripteten Videoclip. Dies stelle den Versuch dar, dem russischen Verteidigungsministerium oder der Industrie die Schuld für die mangelnden Fortschritte in Bachmut in die Schuhe zu schieben – und Prigoschin selbst aus der Verantwortung zu nehmen, lautet die Analyse der ISW-Experten. Der Wagner-Chef hattet zuletzt mehrfach Kritik am Kreml geübt – sowohl im engsten Führungskreis als auch öffentlich – und hatte von Unstimmigkeiten im russischen Machtzirkel berichtet.
Der Kreml-Chef und Prigoschin gelten eigentlich als Vertraute. Sie lernten sich vor Jahrzehnten kennen, als Ex-KGB-Offizier Putin noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete und Berichten zufolge in Prigoschins Restaurant einkehrte, wodurch Prigoschin zum Beinamen „Putins Koch“ kam. Im Laufe des Ukraine-Kriegs gewann der russische Unternehmer allerdings immer mehr an Macht. Das gilt Politikbeobachtern als Anzeichen für einen Kontrollverlust Putins, den die Russen als Oberbefehlshaber der Streitkräfte letztlich auch für eine Vielzahl an Niederlagen im Ukraine-Krieg in der Verantwortung sehen.
Prigoschins Macht in Russland wächst – kann er Putin gefährlich werden?
Die ISW-Analysten beschäftigten sich in der Vergangenheit immer wieder mit den möglichen Ambitionen des Wagner-Chefs, Präsident Russlands zu werden. Ein Interview Prigoschins mit dem russischen Fernsehsender RT sahen die US-Analysten als Versuch, mit markigen Worten und populistischen Ansichten an Ansehen und Einfluss in Russland zu gewinnen. Russlands Milliardären solle alles genommen werden, damit sie sich für den Krieg engagieren, lautete etwa einer der Vorschläge Prigoschins. Fast täglich kommentiert er auf seinem Telegram-Kanal das Kriegsgeschehen. Vor der Kamera ist er indes selten zu sehen, weshalb die russischen Staatsmedien seinen Auftritt bei RT als Sensation werteten.
Auch wegen seiner aktiven Medienarbeit sagen manche Prigoschin Ambitionen nach, bei der Präsidentenwahl in Russland in gut einem Jahr an die Stelle Putins zu treten. Der russische Politologe Abbas Galljamow hält das offenbar für unrealistisch. Die Angst vor einem allmächtigen Prigoschin schweiße die Eliten Russlands zusammen, sagte der Politikexperte der Deutschen Presse-Agentur. Galljamow zeigt sich überzeugt, dass der Machtzirkel Russlands einen Präsident Prigoschin zu verhindern wisse. Der Wagner-Chef selbst wies zuletzt Ambitionen auf das Präsidentenamt zurück. Er habe kein Interesse an politischer Macht und würde ein Amt ablehnen, sollte es ihm angeboten werden, erklärte der 61-Jährige auf seinem Telegram-Kanal. (bme/dpa)