Ukraine-News: Wann ist Töten im Krieg ein Verbrechen?

Es hört sich ironisch an, finden manche – aber auch im Krieg gibt es Regeln: Wann darf man töten und wann nicht? Das regelt das humanitäre Völkerrecht.
Den Haag - Zu Beginn des Ukraine-Krieges wurde vor allem die Strafbarkeit des Angriffskriegs als solche diskutiert. Inzwischen gibt es aber auch zunehmend Hinweise auf Kriegsverbrechen innerhalb des Kriegsgeschehens – internationale Gerichte sind bereits aktiv.
Verbrechen im Ukraine-Krieg: Diskutiert werden Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht
Das humanitäre Völkerrecht – so nennt man die Normen des Völkerrechts, die sich mit der Kriegsführung beschäftigen - zu achten haben alle Kriegsparteien, sobald ein bewaffneter Konflikt ausgebrochen ist - unabhängig davon, ob es sich um einen Angriffs- oder einen Verteidigungskrieg handelt. Unabhängig von der Frage, ob im Ukraine-Konflikt ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg geführt wird, kann also die Kriegsführung als solche auf Rechtsverstöße untersucht werden.
Die wichtigsten Regeln des humanitären Völkerrechts sind die Haager Landkriegsordnung von 1907, die Genfer Konventionen von 1949 sowie die Zusatzprotokolle der Konvention. Die Regeln dieser Verträge sind im Ausgangspunkt nur für diejenigen Staaten bindend, die das jeweilige Abkommen auch unterzeichnet haben. Über die Bindungswirkung völkerrechtlicher Abkommen kann etwa auf der Informationsplattform humanrights.ch nachgelesen werden.
Ukraine-Krieg: Vorfälle in Butscha und Borodjanka - zentrales Regelwerk gegen Grausamkeiten ist die Genfer Konvention
Russland und die Ukraine haben das zentrale Regelwerk, die Genfer Konvention, aber beide unterzeichnet – das ist etwa in der Liste der Vertragsstaaten der Genfer Konvention auf der Website des Internationalen Komitees des roten Kreuzes nachlesbar. Vorfälle wie sie sich nach Berichten etwa in Butscha nahe Kiew ereigneten, wo nicht nur wehrlose verletzte Soldaten getötet worden sein sollen, sondern auch große Zahlen an Zivilisten auf grausame, menschenunwürdige Weise - und gezielt - getötet worden sein sollen, verstoßen - wenn die Berichte zutreffen - gegen die Genfer Konvention.
Dann muss es für die Anklage eines Kriegsverbrechens aber noch das richtige Gericht geben: Völkerrechtliche Verfahren gegen Russland sind insbesondere vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH, auch Weltstrafgericht genannt) in Den Haag möglich, so etwa auf der Website der Nichtregierungsorganisation ECCHR nachlesbar. Für die Vorgänge in Butscha, Borodjanka und anderen Städten müsste also mit den entsprechenden Beweisen Anklage vor dem Strafgerichtshof (oder einem anderen in Frage kommenden Gericht, denkbar sind unter Umständen auch Gerichte bestimmter Staaten) erhoben werden.
Verstöße gegen Kriegsrecht: Der Internationale Strafgerichtshof - Das wohl wichtigste Gericht
Formell ist für die Durchsetzung einer Strafe vorausgesetzt, dass die Tat in einem Mitgliedstaat oder von einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats begangen wurde oder dass sich ein Nicht-Mitgliedstaat der Zuständigkeit des ICC durch eine Erklärung unterwirft, informiert die Informationsplattform humanrights.ch.
Laut humanrights.ch hat Russland das Statut des Gerichtshofs bis heute nicht ratifiziert – das heißt umgesetzt. Aber: Die Kriegshandlungen wurden ja auf ukrainischem Boden begangen – und die Ukraine (selbst auch nicht Mitgliedsstaat) hat laut der ukrainischen Nachrichtenagentur „UKRINFORM“ das Statut kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs offiziell anerkannt.
Eine Verurteilung von Kriegsverbrechen in der Ukraine wäre also nach momentanem Stand formell grundsätzlich möglich. Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nennt in seinem Artikel 5 als strafbare Verbrechen unter anderem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.
Einige Tatbestände des Genfer Abkommens: Im Ukraine-Krieg wohl bereits erfüllt
Kriegsverbrechen definiert das Statut des IStGH als „schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949“ sowie „andere schwere Verstöße gegen die (…) im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche“. Tötungen können dabei unter verschiedene der strafbaren Tatbestände der Genfer Konvention fallen, insbesondere sind dort folgende Tatbestände verboten:
- vorsätzliche Tötung
- vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche
- vorsätzliches Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte (…) verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen
- der Angriff auf unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, die nicht-militärische Ziele sind (….)
- die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Kombattanten (…)
- die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen
- die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase (…)
- die Verwendung von Waffen, Geschossen, Stoffen und Methoden der Kriegführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen (…)
Wenn Tötungen unter einen Punkt dieser Liste fallen, also zum Beispiel vorsätzlich erfolgt sind (Punkt 1 der Liste) oder der getötete Soldat bereits wehrlos war (Punkt 5 der Liste), dann verstoßen sie gegen Kriegsrecht und sind grundsätzlich strafbar.
Vollzug des Kriegsrechts wohl auch im Ukraine-Krieg schwierig: Keine Strafe für Putin?
Ob es dann tatsächlich zu der Strafe Putins kommt, die viele sich wünschen, hängt zunächst davon ab, ob Anklage erhoben wird - danach von den Vollzugsmöglichkeiten der internationalen Gerichte. Die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen ist oft schwierig bis unmöglich. Die Vollzugsoptionen des Internationale Strafgerichtshof sind etwa auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung nachzulesen: Der Gerichtshof habe keine eigenen Polizeikräfte. Er müsse sich deshalb darauf verlassen, dass ihm die Angeklagten von Staaten, die sie zu fassen bekommen, ausgeliefert würden. Solange die Verantwortlichen, seien es Wladimir Putin und seine obersten Befehlshaber oder Soldaten auf unterster Ebene, nicht in Länder reisen, wo sie Konsequenzen zu befürchten haben, sind sie „wohl relativ sicher“, meint auch der Spiegel nach seiner Recherche zu dem Thema.