„Heldin!“ Offizieller will bitteren Lehrer-Alltag zeigen – Ukrainer schildern „Chaos“ und Not im Blackout

Russlands Krieg bringt der Ukraine Blackouts. Die Folgen sind offenbar schlimm – von „Chaos“ auf den Straßen bis zum Notfall im Lift. Auch die Ernährung leidet.
Kiew/München – Vor allem im Osten der Ukraine laufen auch kurz vor Weihnachten weiter schwere Kämpfe. Doch dort und auch in anderen Teilen des Landes geht das Leben für die Zivilbevölkerung weiter – oftmals unter großen Problemen und Entbehrungen.
Ein Schlaglicht auf eine Facette der „Normalität“ im Ukraine-Krieg warf am Donnerstagabend ein Tweet des ukrainischen Regierungsberaters Anton Geraschtschenko – er präsentierte seinen Followern ein (nicht verifiziertes) Video einer Lehrerin bei der Arbeit. Die Lage ist gleichwohl vielerorts noch dramatischer. Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen schildern bedrückende Zustände.
Ukraine-Krieg: Lehrerin in Kiew als „Heldin“ – Alltag in Russlands Invasion?
Auf dem von Geraschtschenko geposteten Clip ist eine Frau zu sehen, die unter freiem Himmel und bei augenscheinlich bitterer Kälte in einen Laptop spricht – das Gerät ist auf einem Poller vor einem Einkaufszentrum platziert. „Eine Lehrerin unterrichtet eine Klasse in Kiew trotz des Blackouts“, erläuterte der Berater von Außenminister Dmitro Kuleba. Die Frau habe sich vor einem Supermarkt platziert, um „wenigstens schwaches Internet zu haben“.
Ob das tatsächlich die Geschichte hinter den Bildern ist, ist unklar. Unstrittig ist hingegen, dass die Menschen in der Ukraine unter der aktuellen Strategie der russischen Streitkräfte leiden. Seit Wochen attackiert das Militär unter anderem die Energie-Infrastruktur – Verteidigungsminister Sergej Schoigu verteidigt das als „militärisch notwendige“ Maßnahme. Beobachter sehen die Lage anders: Das Vorgehen sei ein „eklatanter Bruch internationalen Rechts“ und bringe angesichts von Minusgraden „Leben von Zivilisten in Gefahr“, warnte Amnesty International am Mittwoch (21. Dezember). Amnesty-Vertreter Denis Kriwoscheew sprach von „kriminellen Taktiken“, die gezielt Leid der Bevölkerung hervorrufen sollen.
Ukraine-News: „Chaos“ an der Ampel, Notfallpaket im Lift
Die Organisation sammelte zuletzt auch Stimmen von Menschen im Land. Darunter waren auch eindringliche Hilferufe zu finden. Alltägliche Verrichtungen, etwa medizinische Routineeingriffe oder der Weg zur Schule könnten bei Stromausfällen lebensgefährlich werden, klagten Ukrainerinnen und Ukrainer. „Weil Ampeln und Straßenbeleuchtung beim Blackout nicht funktionieren, herrscht Chaos, alle fahren durcheinander“, sagte etwa eine Frau namens Kateryna. Eine andere klagte, es sei angesichts der schwachen Stromversorgung kaum möglich, Kindern gesundes Essen zu kochen. Auch die Hauptstadt Kiew war zuletzt massiv von Stromausfällen betroffen.
Mancherorts ist wohl auch die Versorgungslage mit Lebensmitteln allgemein schwierig. Schon im November zeigten in sozialen Medien kursierende Fotos leere Brotregale, sogar in Kiewer Supermärkten. Am Donnerstag (22. Dezember) machte eine Videoaufnahme offenbar auf der Straße um Brot anstehender Menschen im russisch besetzten Mariupol auf Twitter die Runde. Die Echtheit dieser Bilder ist nicht verifiziert.

Auch andere in normalen Zeiten kaum beachtete Hilfsmittel fallen aus: So sind laut Amnesty ältere und behinderte Menschen teils kaum noch in der Lage, Wohnungen in höheren Stockwerken der Wohnblocks zu verlassen. Teils hätten Bewohner „Notfallpakete“ mit Wasser und Essen in Aufzügen platziert – für den Fall, dass Menschen bei einem Stromausfall für längeren Zeit in den Liftkabinen eingeschlossen sind.
Ukraine-Krieg: Zivilisten in Not – Helfer berichtet aus Bachmut
Auch die niederländische Friedens-NGO PAX for Peace schlug kurz vor Weihnachten Alarm. Nach Recherchen der NGO hat Russland bis einschließlich November mindestens 213 Kraftwerke im Ukraine-Krieg zerstört. Bereits im Oktober seien 40 Prozent der ukrainischen Energie-Infrastruktur zerstört worden. Teils seien Menschen gezwungen, in Innenräumen mit Holz oder fossilen Brennstoffen zu heizen.
Unterdessen versuchen freiwillige Helfer, geschwächte Menschen zumindest aus den unmittelbaren Frontzonen zu bringen. So berichtete etwa ein britischer Ehrenamtlicher dem britischen Blatt i, er habe kurz vor Weihnachten unter anderem einen von einem Schlaganfall betroffenen Mann, zwei geistig behinderte Teenager und eine 85 Jahre alte Frau aus der umkämpften Stadt Bachmut gebracht: „Den ganzen Weg über hatte sie ihre Augen geschlossen, weinte oder zitterte am ganzen Körper. Sie war in Panik“, berichtete er über den Zustand der Frau. „Stellen Sie sich vor, das wäre Ihre Großmutter in diesem Zustand in einem Kriegsgebiet. Es ist sehr traumatisierend für die Betroffenen. Ihre Welt wird vor ihren Augen zerstört.“
Zusammenschlüsse wie die „Aktion Deutschland hilft“, das „Bündnis Entwicklung hilft“ oder auch Gruppen die deutsch-schweizerische NGO Libereco werben nicht nur vor Weihnachten um Spenden für Hilfe vor Ort in der Ukraine. Zumindest symbolische Unterstützung ist auch in Ländern Europas zu sehen: So löschte das EU-Parlament am Mittwochabend einen Großteil seiner Beleuchtung. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – die ihr Rechtsbündnis immer wieder auf einen pro-ukrainischen Kurs einnorden muss – warb zuletzt bei den Menschen in Italien gar dafür, eine Stunde täglich aus Solidarität die Elektrogeräte abzuschalten.
Dramatische Schilderungen gab es zuletzt auch von der Front: Ukrainische Soldaten schilderten den schlimmen Frontalltag. (fn)