„Sie nannten ihn den Spezialisten“: Ukrainer erzählt von russischem Folter-Beauftragten in Cherson
Russische Truppen sind aus Cherson abgezogen. Die Besatzer haben die Bevölkerung wohl Monate lang gefoltert. Nun kommen neue Details ans Licht.
Cherson – Im November hat Russland im Hintergrund des Ukraine-Kriegs den Rückzug seiner Truppen aus Cherson verkündet. Seitdem ist die Stadt wieder unter ukrainischer Kontrolle. Nach und nach werden Details der russischen Besatzung in der Stadt am Fluss Dnjepr bekannt.
Russland hatte im Zuge eines Scheinreferendums behauptet, dass die Bevölkerung einer Annexion zustimme und die Besatzer positiv empfange. Allerdings seien die meisten Einwohner in Anwesenheit bewaffneter Soldaten zur Stimmabgabe gezwungen worden, berichtet unter anderem der stellvertretende Vorsitzende des Regionalparlaments von Cherson der Tagesschau. Eine Vielzahl von Zeugen berichtet darüber hinaus von Folter und Gewalt.
Folter im Ukraine-Krieg: Mann aus Cherson 25 Tage gefangen
Ein Bürogebäude in Cherson sei von den russischen Truppen als Folterstätte benutzt worden, berichtete der US-finanzierte Rundfunkveranstalter Radio Free Europe. Der Sender sprach mit einem Mann, der behauptet, 25 Tage dort festgehalten worden zu sein. Er erzählt: „Sie hatten Ermittler und einen Folterer. Sie nannten ihn ‚den Spezialisten‘.“ Er sei stets gerufen worden, wenn jemand gefoltert werden sollte. Dies sei seine einzige Aufgabe gewesen.

Der Mann sei Russe gewesen, zwischen 40 und 45 Jahren, glatzköpfig und mit Bart. Zudem habe er stets eine Sonnenbrille getragen: „Keine Maske oder Sturmhaube, nur die Brille.“ Der Zeuge behauptet außerdem, dass russische Soldaten auf ihn geschossen hätten, als sie in Cherson ankamen. Zum Beweis zeigt er die Ein- und Austrittsstelle der Kugel. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus sei er schließlich verhaftet worden.
Russische Besatzer sollen in Cherson gefoltert haben – Elektroschocks und Schläge
„Sie haben mich in einen Keller gebracht, auf einen Stuhl gesetzt, mich mit Handschellen an das Heizungsrohr gefesselt and angefangen, mich zu foltern“, erzählt der Mann. „Sie schlugen mich und fragten, wen ich bei der Territorialverteidigung kenne, ob ich Waffen habe und wo diese sind, ob ich irgendjemanden bei der Polizei, Strafverfolger oder Richter kenne, die Waffen haben. Natürlich sagte ich, dass ich niemanden kenne. So ging das fünf Tage lang. Fünf Tage lang haben sie mich gefoltert.“
Die Besatzer hätten ihn mit einem Kabel geschlagen und mit einer Gasmaske die Luft geraubt. Am nächsten Tag hätten sie ihm mit einer Maschine eine Stunde lang elektrische Schläge verpasst. Nachts habe er weiter angekettet auf dem Betonboden geschlafen.
Nach 25 Tagen hätten sie ihn gezwungen, für ein Propagandavideo vor der Kamera zu sagen, dass sich die Verteidiger der Ukraine ergeben hätten – weil „Widerstand unmöglich und sinnlos“ sei, zitiert der Mann die Worte der Besatzer. Am nächsten Morgen habe er gehen dürfen.
Fesseln und Elektroschocks: Zeugen berichten von Folter in Cherson
Der Mann soll nur eines von vielen Folteropfern in der achtmonatigen Besatzungszeit gewesen sein. Die Deutsche Welle berichtet von zwei jungen Leuten, die gefoltert wurden, weil sie Teil pro-ukrainischer Chatgruppen waren oder ukrainische Flaggen zu Hause hatten. Sie berichten ebenfalls von Fesseln, Schlägen und Elektroschocks. Auch die Polizeistation in Cherson hätten die russischen Besatzer als Folterstätte genutzt.
In Sicherheit sind die Bewohner von Cherson auch nach dem Rückzug der Besatzer nicht. Kurz nach der Befreiung durch die ukrainischen Streitkräfte setzten russische Truppen den Beschuss der Stadt fort. (lrg)