Mutmaßliche Gräueltaten der russischen Armee in Butscha: Kann Putin als Kriegsverbrecher verurteilt werden?
Im Ukraine-Krieg erschüttern die Bilder aus Butscha die Welt. International ist von Kriegsverbrechen die Rede - kann Wladimir Putin dafür belangt werden?
Kiew/ Moskau - Die Berichte über furchtbare Gräueltaten der russischen Armee im Ukraine-Krieg häufen sich. Seitdem sich die Truppen von Kreml-Machthaber Wladimir Putin aus dem Gebiet um Kiew zurückgezogen haben, wird offenbar klar, wie schrecklich die Ausmaße der Gewalt in den Gebieten sind. Im Mittelpunkt des Ganzen: Der kleine Hauptstadt-Vorort Butscha.
Von einem regelrechten Massaker ist dort die Rede. Hunderte Zivilisten sollen von russischen Truppe getötet worden sein. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach am späten Dienstagnachmittag vor der UN von geplanten Hinrichtungen und „Zivilisten, die aus Spaß mit Panzern überfahren wurden“. Russland streitet die Taten vor Ort zwar ab, doch regelmäßig malen neue Berichte ein Bild des Grauens. Von vielen, hochrangigen Seiten ist von Kriegsverbrechen die Rede. Bundeskanzler Olaf Scholz warf Russland ebenjene in Reaktion auf die Berichte aus Butscha vor. US-Präsident Joe Biden nannte Putin bereits Mitte März höchst selbst einen „Kriegsverbrecher“. „Die Wahrheit ist - wir haben es in Butscha gesehen - er ist ein Kriegsverbrecher“, erneuerte er seinen Vorwurf nun am Montag - und forderte eine Strafverfolgung. So einfach ist das allerdings nicht.
Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg: Zuständig wäre der Internationale Gerichtshof
Zweifellos ist der brutale Einfall russischer Truppen in die Ukraine auf Entscheidungen von Wladimir Putin zurückzuführen. Eine gewisse Mitverantwortlichkeit Putins an mutmaßlichen Kriegsverbrechen scheint daher mehr als naheliegend. Um zu verstehen, wieso eine Belangung des Despoten allerdings nicht so einfach ist, muss zunächst klar sein, was Kriegsverbrechen eigentlich sind. Der Internationale Gerichtshof (ICC) in Den Haag definiert diese als „gravierende Brüche“ gegen die Genfer Konventionen. In diesen werden „international verbindliche Regeln zum Umgang mit Kriegsgefangenen, verwundeten Soldaten und Zivilisten in Kriegen“ aufgeführt, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung.
Eine vorsätzliche Tötung von Zivilisten etwa, wie sie in Butscha geschehen sein soll, falle unter die Kategorie Kriegsverbrechen, erklärt Jonathan Hafetz, Experte für internationales Kriminalrecht der Agentur Reuters. Es benötigt allerdings natürlich Belege. Zuständig für etwaige Aufklärung, Anklage und Belangung wäre der ICC. Hierfür müssten schnellstmöglich Beweise gesammelt werden - etwa Fotos, Videos oder Zeugenaussagen. Gegenüber Reuters gab hierzu James Goldston von der Menschenrechtsorganisation „Open Society Justice Initiative“ an, die Bilder und Berichte aus Butscha würden eine Anklage erlauben.
Wladimir Putin: Kann Kreml-Despot für Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg belangt werden?
Geklärt werden muss dann eben noch die Täterfrage. Sind tatsächlich russische Soldaten die Täter, wären auch deren Kommandanten dran, da die Soldaten der offiziellen Kommandostruktur unterliegen. Gibt es Beweise dafür, könnte auch hochrangigen Mitwissern der Prozess gemacht werden - und damit dann auch Putin?
Leichter gesagt, als getan. Denn natürlich könnte damit argumentiert werden, dass der Kreml-Chef und enge Vertraute an Kriegsverbrechen durch deren Beauftragung oder zumindest dem Wissen über derartige Verbrechen beteiligt gewesen sind und diese nicht verhindert haben. Und ebenfalls könnten sich auch Regierungschefs bei einer Anklage nicht auf ihre Immunität berufen. Hier liegt allerdings auch der Knackpunkt: Es braucht klare Beweise. „Es besteht ein reales Risiko, dass man in drei Jahren Verhandlungen gegen nicht so hochrangige Personen führt und die Personen, die für diesen Horror verantwortlich sind - Putin, Lawrow, der Verteidigungsminister, die Sicherheitsdienste, das Militär und die, die finanziell geholfen haben - werden vom Haken gelassen“, erklärt Jurist Philippe Sands gegenüber der Associated Press.

Ukraine-Krieg: Putin ein Kriegsverbrecher? Weshalb ein Prozess unwahrscheinlich erscheint
Außerdem tun sich Probleme zu den möglichen Verhandlungen auf. Zum einen sind weder die USA und China noch Russland und die Ukraine Mitgliedsländer des ICC. Außerdem würde ein Haftbefehl erst erhoben werden, wenn die Staatsanwälte klare Begründungen für die Kriegsverbrechen liefern können und die Schuld zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Dass Russland, welches weder Mitglied des Gerichtshofes ist noch das Tribunal anerkennt sich auf eine Zusammenarbeit zur lückenlosen Aufklärung hinreißen lässt, darf bezweifelt werden. Eine Verweigerung der Zusammenarbeit ist wahrscheinlicher. Eine Auslieferung Putins würde wohl erst bei einem Regimewechsel in Moskau wahrscheinlicher werden.
Und daraus ergibt sich das nächste Problem: Der ICC kann niemanden verurteilen, der bei der Verhandlung abwesend oder nicht in physischer Gewahrsam ist. Ein möglicher Prozess würde sich demnach so lange verzögern, bis ein Angeklagter festgenommen wurde. Alles andere als einfach zu umgehen wäre die Situation für Putin trotzdem nicht. Denn der damit einhergehende internationale Haftbefehl würde jeden Mitgliedsstaat dazu verpflichten, Putin bei der Einreise in ein Land festzunehmen. Und dann könnte ihm auch der Prozess gemacht werden - vorausgesetzt, es gibt Beweise.
Derweil wenden sich im Krieg weitere einstige Verbündete von Moskau ab. Kasachstan versetzte Putin einen politischen Tiefschlag. (han)