„Ernsthafte Gefahr“ für Ukraine-Militär: Putins Armee verschafft sich wichtigen Vorteil im Krieg
Russische Truppen können offenbar ukrainische Angriffspläne abhören. Dadurch erschweren sie die Gegenoffensive. Auch die Luftverteidigung ist betroffen.
Moskau – Das russische Militär arbeitet mit Hochdruck, den ukrainischen Streitkräften bei der geplanten und eventuell schon begonnenen Gegenoffensive einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die massiven Verluste im Ukraine-Krieg scheint das russische Militär dabei umso mehr anzutreiben, aus ihren Fehlern zu lernen und ihre Kriegstaktiken zu optimieren. Sorgen bereitet Experten vor allem, dass die russischen Truppen nun offenbar in der Lage sind, die ukrainische Kommunikation abzuhören.
Putins Militär entschlüsselt wohl Kommunikation ukrainischer Soldaten – Experten alarmiert
„Die ukrainischen Truppen kommunizierten mit Motorola-Funkgeräten und 256-Bit-Verschlüsselung, aber offenbar sind die Russen in der Lage, diese Gespräche nahezu in Echtzeit zu erfassen und zu entschlüsseln“, heißt es in einer Studie des britischen „Royal United Services Institute for Defence and Security Studies“ (Rusi). Laut dem Militärexperten Gustav Gressel vom „European Council on Foreign Relations“ (ECFR) stellt dies „eine ernsthafte Gefahr“ für die ukrainischen Truppen dar.

Die Studie basiert auf Interviews mit Angehörigen ukrainischer Militäreinheiten im April und Mai 2023, die unter anderem bei der Verteidigung von Kiew, Charkiw, Bachmut und Awdijiwka beteiligt waren oder an den Offensiven in Cherson und Charkiw teilnahmen.
Putins Militär könnte Gegenoffensive durch Abhören der Ukrainer erschweren
Die Russen beschaffen sich einen entscheidenden Vorteil durch die Entschlüsselung der Kommunikation: Sie hätten sich in Ruhe auf ukrainische Angriffe vorbereiten können, da sie die Pläne schon vor Ausführung in Echtzeit abhörten, schreiben die Autoren. Das gelinge ihnen, weil sie Funkgeräte erbeuten und die ukrainischen Einheiten offenbar nicht häufig genug ihre Verschlüsselungscodes wechseln. „Die Rekonstruktion der Gefechtsverläufe zeigt, dass die Russen über einige Operationen der ukrainischen Einheiten gut informiert waren“, sagte auch Gressel gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Russen hätten genau gewusst, was die Ukrainer machen werden. „Es ist ein Spiel mit offenen Karten.“
Das russische Militär mache zudem immer stärkeren Gebrauch von Störsendern, um die Kommunikation von Fluggeräten auf dem Schlachtfeld zu unterbinden, schreiben die Autoren der Studie. Gemeint ist damit vor allem die elektronische Bekämpfung von Drohnen, die hauptsächlich zur Feindaufklärung eingesetzt werden. „Das führt zu einer Verlustrate von ungefähr 10.000 ukrainischen Drohnen pro Monat“, heißt es.
Russische Verteidigung wird eine ernstzunehmende Gefahr für Ukrainer
Eine weitere Anpassung gibt es neben der elektronischen Kriegsführung im Umgang mit den Waffensystemen: Panzer werden von den Russen nur noch selten für Durchbruchsversuche in der Ukraine eingesetzt, stattdessen dienen sie hauptsächlich der Feuerunterstützung. Die Artillerie verwenden die russischen Kräfte auch, um eine Rückeroberung besetzter Gebiete zu verhindern. „Artilleriefeuer wird nicht nur eingesetzt, um ukrainische Verteidigungsstellungen anzugreifen, sondern vor allem um Angriffe abzuwehren“, heißt es im Rusi-Bericht.
Eine weitere gängige Taktik sei, dass sich die Russen aus einem Gebiet zurückziehen und dieses dann mit Feuer übersäen, sobald ukrainische Truppen vorrücken. Den Eindruck, Russland sei schwach, können die Rusi-Experten nicht bestätigen. Westliche Topgeneräle, wie der Nato-Oberbefehlshaber in Europa, General Christopher G. Cavoli, hatten ebenfalls davor gewarnt, Russland zu unterschätzen. „Die Luftwaffe hat sehr wenig verloren, etwa 80 Flugzeuge – aber sie hat weitere 1000 Jäger und Jagdbomber. Die Marine hat nur ein Schiff verloren“ kommentierte er die russischen Verluste. Trotzdem ist der Kreml in Sorge, denn allmählich wächst die Unruhe unter den Soldaten. Es könnte laut Prigoschin deshalb zu einer Revolution kommen. (bohy)