Innere Unruhe in Russland wächst: Prigoschin warnt vor Revolution durch „Hunderttausende“

Prigoschin nimmt steigenden Unmut unter Putins Kämpfern wahr. Er warnt vor einer historischen Revolution, die selbst vom Kreml nicht zu verhindern wäre.
Moskau – Geht es nach Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin, könnte neben einer Niederlage im Ukraine-Krieg für Russland etwas anderes bevorstehen: Eine Revolution wie im Jahre 1917. Als Auslöser für die Revolution sieht Prigoschin die derzeit herrschende Ungleichheit in den russischen Truppen. Zugleich verdichten sich die Zeichen, dass Russland die Ukraine als Gegner und die bereits laufende Gegenoffensive unterschätzt haben könnte.
Wagner-Chef Prigoschin warnt vor Revolution im Ukraine-Krieg
Der Wagner-Chef warnte, dass durch die Ungleichheit eine Kluft entstehen könnte. Denn während die Söhne der Armen in Särgen von der Front zurückgeschickt würden, würden sich die Kinder der Elite in der „Sonne den Hintern abfrieren“. „Zuerst werden die Soldaten aufstehen, und danach werden sich ihre Angehörigen erheben. Es gibt bereits Zehntausende von ihnen – Angehörige der Gefallenen. Und es werden wahrscheinlich Hunderttausende sein – das können wir nicht verhindern“, sagte er laut dem Guardian in einem Interview, das auf seinem Kanal in der Messaging-App Telegram veröffentlicht wurde.
Zudem behauptet Prigoschin, dass 50.000 von Wagner rekrutierten Sträflinge und eine ähnliche Zahl der regulären Truppen im Laufe mehrerer Monate im Kampf um Bachmut getötet worden seien. Für Prigoschin setzen die Folgen des Ukraine-Kriegs besonders schwer zu. Anfangs hatte Prigoschin die russischen Erfolge in Bachmut den Wagner Söldnern zugeschrieben. Er behauptete, seine Männer kontrollierten nun ganz Bachmut. Jetzt kündigte er sogar einen Abzug seiner Truppen aus Bachmut an. Reguläre Soldaten sollen die Wagner-Söldner in den Außenbezirken ersetzt haben.
Verluste für Russland im Ukraine-Krieg: „Es fällt alles auseinander“
Nicht nur Prigoschin ist mittlerweile in Alarmbereitschaft. Auch Kreml-Personen sehen laut dem Guardian Schwächen der russischen Führung im Krieg ein. „Wir können sehen, dass sowohl die militärische Führung als auch die politischen Einrichtungen der Russischen Föderation auf diese Situation nicht vorbereitet sind“, sagte Denis Kapustin, ein Kommandeur des russischen Freiwilligenkorps. „Sie haben Milliarden in die Verstärkung ihrer Linie investiert, aber wenn es zur Aktion kommt, fällt alles auseinander und nichts funktioniert.“
Der Überfall auf Belgorod habe die Schwäche der russischen Verteidigungsanlagen deutlich gemacht. Bei der Attacke haben russische Anti-Putin-Eliten, unter anderem die Legion „Freiheit Russlands“, einen dramatischen Einmarsch in die Region Belgorod entlang der ukrainischen Nordgrenze unternommen. Das russische Verteidigungsministerium behauptete, die Angreifer aufgetrieben und dabei 70 Menschen getötet zu haben, doch die Milizenführer erklärten, sie hätten nur zwei Tote zu beklagen.
Gegenoffensive läuft laut Kiew seit „einigen Tagen“ – auch Russland lernt schnell
Auch wenn Russland durch Unruhen im Militär und durch ukrainische Angriffe zu schwächeln scheint, belegen Analyseberichte, dass die Truppen aus dem Ukraine-Krieg einiges gelernt haben. So sollen die russischen Truppen ihre Kriegstaktik in verschiedenen Zweigen des Militärs angepasst haben, vor allem die russische Luftverteidigung könnte die Ukrainer vor einer ernstzunehmenden Herausforderung stellen.
Die Ukraine arbeitet indes bereits mit Hochdruck an der Gegenoffensive. Laut Mychajlo Podoljak, Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, läuft die „Gegenoffensive nun schon seit einigen Tagen.“ In einem Interview mit dem italienischen TV-Sender Rai sagte er: „Es ist ein intensiver Krieg entlang einer 1.500 Kilometer langen Grenze, aber die Aktion hat begonnen.“ Er twitterte, bei der Gegenoffensive handele es sich nicht um ein „einmaliges Ereignis“, das zu einer bestimmten Stunde an einem bestimmten Tag beginne. (bohy)