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Ukraine-Konflikt: Experte analysiert Putins Sichtweise – und bescheinigt den Russen Apathie

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Von: Linus Prien

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Laut dem Osteuropa-Experten Wilfried Jilge verfolgt Wladimir Putin ein Konzept der „russischen Welt“. Vermeintliche historische Ansprüche übertrumpfen für Putin das Völkerrecht.

Hamburg - Der russische Präsident Wladimir Putin habe sich die Ideologie der „russischen Welt“ zu eigen gemacht. Vermeintliche historische Ansprüche legitimierten die Handlungen der Gegenwart und damit auch Völkerrechtsbrüche. Der Osteuropa-Experte Wilfried Jilge gab dem Spiegel ein Interview und analysierte den Ukraine-Konflikt aus einer historischen Perspektive.

Ukraine-Krieg: Russland als Schutzmacht für die „russische Welt“

Jilge zufolge handelt es sich bei der „russischen Welt“ um eine Ideologie, beziehungsweise um „ein geopolitisches, antiliberales wie russozentrisches Konzept, das den russischen Staat und die sich um ihn sammelnden, primär russophonen Landsleute vor allem im ‚nahen Ausland‘ als geopolitische Einheit betrachtet“. Russe zu sein, bedeutet für die Befürworter dieser Ideologie also nicht das gleiche, wie es für Beobachter aus anderen Teilen der Welt bedeutet. Das heißt dementsprechend auch, dass es Menschen gibt, die sich nicht als Russen fühlen, aber von Russland als solche angesehen werden.

Die Zugehörigkeit zur „russischen Welt“ werde mit „dehnbaren und willkürlich auslegbaren Kriterien definiert“. Es werde häufig auf die „gemeinsame Geschichte“ mit dem russischen Staat, Sprache oder auf kulturelles Erbe verwiesen. Diese Definition könne mehr oder weniger für alle Anlässe beliebig angepasst werden. Zudem gehe eine Verpflichtung zur Verteidigung von „Landsleuten“ aus diesem Weltbild hervor. Die Aussagen Putins, dass es sich bei der Ukraine nicht um ein Land handle, stehen in einer Linie mit dieser Ideologie.

Der Präsident Russlands Wladimir Putin bei einer Besprechung während des Ukraine-Kriegs.
Der russische Präsident Wladimir Putin © IMAGO/Mikhail Klimentyev

Ukraine-Krieg: Geschichtsauslegung ersetzt das Völkerrecht

„Geschichte ersetzt für Putin das Völkerrecht und liefert ihm so Legitimationsgrundlagen“, sagte Jilge. Dem Experten zufolge, gehen mit gewissen Geschichtsauslegungen auch Ansprüche mit einher, welche aus der Sicht der Verfechter der „russischen Welt“ auch Völkerrechtsbrüche legitimieren. Die Grenzen von der Ukraine und von Belarus hätten in dieser Interpretation nur noch „sekundäre“ Bedeutung. Die Handlungen in der Gegenwart seien alle durch die Geschichte Russlands legitimiert.

Ukraine-Krieg: Informations-Isolation in den Provinzen Russlands

Laut dem Experten unterstützt eine nennenswerte Anzahl der russischen Bevölkerung den Krieg in der Ukraine. Die Staatspropaganda sei erfolgreich über Jahre installiert worden. Der Fokus habe auf „großrussischem Nationalismus“ und der Stilisierung des Westens als Feindbild gelegen. Zusätzlich herrsche in den Provinzen eine „Informations-Isolation“. Vieles komme dort gar nicht an. Das allermeiste, was ankäme, käme über das Staatsfernsehen: „Ein wichtiger Faktor ist zweifelsohne der Mangel an Information, was wirklich in der Ukraine passiert. Unter den Befürwortern glaubt eine erdrückende Mehrheit der Propaganda des Staatsfernsehens.“

Ukraine-Krieg: Russische Apathie stabilisiert Putins Regime

Dem Experten zufolge herrscht in Russland, gerade auf dem Land, eine gewisse Apathie. Diese Teilnahmslosigkeit werde sich erst ändern, wenn der Krieg auch bei den Menschen in Russland ankäme. Zwar gäbe es Proteste in den Großstädten. Jedoch seien auch die meisten Menschen in Sankt Petersburg und Moskau relativ unbekümmert. Laut Jilge kann sich das ändern, wenn der Krieg wirklich „auf den Tellern“ ankommt. Vorher stabilisiere die Apathie der Russen jedoch nur Putins Regime. (lp)

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