Meister geht von drei Zielen Putins aus: „Er will die Ukraine als souveränen Staat abschaffen und sie unter seine Kontrolle bringen“ – ob mithilfe einer Marionetten-Regierung oder durch Integration des Landes in die Russische Föderation, das sei unklar. Zweitens gehe es ihm darum, die russische Einflusszone auszuweiten. Immer wieder, zuletzt in seiner Ansprache am Montag, behauptet der Kreml-Herrscher, das Nachbarland sei unter Kontrolle der USA – das will er nun ändern. Mittelfristig schiele Putin aus demselben Grund auch auf andere Länder, Georgien oder Moldau. „Es besteht eine große Gefahr für diese postsowjetischen Staaten“, sagt Meister. Auch das Baltikum und Polen seien deshalb auf lange Sicht nicht sicher. Durch deren Nato-Mitgliedschaft könnte das schwerwiegende Konsequenzen haben.
Putins Motivlage könnte aber noch viel breiter sein – an Erklärungen mangelt es nicht. Manche halten seine Furcht vor dem Aufkeimen funktionierender Demokratien in der Nachbarschaft für ausschlaggebend. Andere glauben an innenpolitische Motive. Kriege hätten Putin stets geholfen, seine Macht daheim zu festigen, meint etwa Kamil Galeev vom „Wilson Center“ in Washington.
Und dann ist da noch Putins Streben nach alter Größe*. Den Zusammenbruch der Sowjetunion nannte er bekanntermaßen mal die „größte geopolitische Katastrophe“ des vergangenen Jahrhunderts. Zumindest ihre Einflusssphäre scheint er wiederbeleben zu wollen. „Es geht hier darum, dass Russland eine andere Weltordnung fordert“, sagte der Militärstratege William Alberque dem „Spiegel“. Angesichts der vielen Truppen an der ukrainischen Grenze glaubt er nicht, dass Putin im Osten des Landes Halt machen wird. „Dieser Aufbau ist offensichtlich dafür da, den Westen zu terrorisieren.“ Diese Karte zeigt die bereits eroberten Gebiete im Ukraine-Krieg.
All das widerspricht sich nicht – die Ballung der Motive ist Teil des Schreckens. Der Westen steht nun erschrocken da und sucht nach Antworten. „Wir müssen jetzt alles aufbieten, was wir haben“, sagt Stefan Meister. Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem Swift, Stärkung der Ukraine als Staat. Das geht nur zusammen mit den USA. Die neue Geschlossenheit des Westens muss sich jetzt beweisen. Alle News zum Ukraine-Konflikt in unserem Live-Ticker. (mmä) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA