„Bayern hängt fast vollständig am russischen Erdgas“: Sollte Katar aushelfen? Experte ist skeptisch

Mehr als die Hälfte des deutschen Erdgas kommt aus Russland. Wegen dem Ukraine-Krieg soll diese Abhängigkeit beendet werden. Wer liefert dann? Katar?
Doha/München - Der eskalierte Ukraine-Konflikt hat massive Auswirkungen auf die weltweite Energieversorgung. Die EU überlegt, sich von russischem Gas zu lösen, aber auch Russland droht, den Gashahn zuzudrehen. Deutschland wiederum hat das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 gestoppt. Die Gaspipeline sollte russisches Erdgas über die Ostsee nach Deutschland bringen. Nun ist Russland der größte Lieferer von Erdgas in Deutschland, daher bleibt die Frage: Wie können Versorgungsengpässe vermieden werden? Helfen könnte womöglich WM-Gastgeber Katar. Ein Allheilsbringer ist der Wüstenstaat allerdings nicht.
Ukraine-Krieg: Kann Katar Russland als Erdgaslieferer ablösen?
Katar ist eines der reichsten Länder der Welt. Das liegt an den Vorräten an Erdöl und vor allem Erdgas. Der Golfstaat ist aufgrund seiner Bodenschätze ein gefragter Handelspartner, gehört zu den weltgrößten Produzenten und Exporteuren von Erdgas. Nur der Iran und Russland besitzen mehr Erdgasreserven. Beim Flüssiggas (LNG) ist Katar sogar weltmarktführend.
Katar exportiert sein Gas vor allem in die arabische Welt und nach Asien, versucht mittlerweile aber stetig, auch auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen. Schon jetzt gibt es Flüssiggas-Verträge mit den Niederlanden, Italien oder Polen. Insgesamt liefert Katar aber nur rund fünf Prozent der europäischen Gasimporte, erklärt Andreas Löschel, Inhaber des Lehrstuhls für Umwelt- und Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Uni Bochum. „Allerdings stieg in den letzten Monaten das Volumen der Flüssiggaslieferungen um mehr als 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.“ Kann der Wüstenstaat dem Rohstoffgiganten Russland Konkurrenz machen?
Flüssigerdgas
Flüssigerdgas (LNG) wird eingesetzt, wenn es keine Pipelineverbindung zwischen Hersteller und Abnehmer gibt. Erdgas wird flüssig, wenn es auf -162 Grad Celsius abgekühlt wird. Es ist für gewöhnlich teurer als Pipelinegas.
Katar-Gas nach Deutschland? „Sie rechnen mit Lieferungen nach Europa“
Bislang kommt kein Tropfen katarisches Öl in Deutschland an. Denn: „Deutschland selbst kann kein Flüssiggas importieren“, wie die Professorin Anke Weidlich vom Institut für Nachhaltige Technische Systeme an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg unserer Redaktion erklärt. „Dafür werden Regasifizierungsterminals benötigt, also Anlagen, in denen das flüssige Gas wieder in den gasförmigen Zustand zurück verwandelt wird.“ Solche Terminals gibt es hierzulande noch nicht. Sie waren viele Jahre politisch und wirtschaftlich umstritten, benötigen Zeit für die Planung, Genehmigung und den Bau - und sind teuer. „Es ist unter normalen Umständen günstiger, russisches Pipeline-Gas zu importieren als teureres LNG-Gas“, sagt Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft im Gespräch mit Merkur.de.
Ukraine-Krieg: Katar findet es „fast unmöglich“ die Russland beim Erdgas zu ersetzen
Katarisches Erdgas könnte theoretisch vermehrt nach Europa gebracht werden, doch bis es dazu kommt, müsste die gesamte Infrastruktur umgestellt werden. „Kurzfristig kann das Land seine Erdgasproduktion natürlich nicht beliebig steigern“, sagt Weidlich. Ökonom Löschel meint: „Das Problem ist auch, dass in Katar überwiegend langfristige Lieferverträge mit Lieferländern, vor allem in Asien bestehen, insbesondere nach China, Indien, Südkorea und Pakistan.“
Katar scheint aber dennoch daran interessiert, mit der Bundesrepublik zusammenzuarbeiten. „Katar rechnet bei seiner massiven Ausweitung der LNG-Kapazitäten durchaus mit Lieferungen nach Europa“, sagt Löschel. „Durch die Lage ist das möglich.“ Nach eigenen Angaben kann Katar aber nur zehn bis 15 Prozent seiner bestehenden Lieferverträge auf andere Ziele umleiten. Der katarische Energieminister Saad al-Kaabi sagte, es sei „fast unmöglich“, die russischen Erdgas-Lieferungen nach Europa zu ersetzen. Auf mehrfache Anfrage von Merkur.de wollten sich Katars staatliches Erdgas-Unternehmen Qatar Energy sowie die katarische Regierung nicht zu einer möglichen Zusammenarbeit mit Deutschland äußern.

Video: LNG-Terminals sollen Deutschland unabhängiger von Russland machen
Erdgas in Deutschland: „Wir sind so gut wie komplett abhängig“
Deutschland ist enorm auf Erdgaslieferungen aus anderen Ländern angewiesen. „Nur rund fünf Prozent des in Deutschland genutzten Erdgas kommt aus eigener Gewinnung. Das heißt, wir sind so gut wie komplett abhängig von Importen“, sagt Energieexperte Fischer.
Deutschland bezieht mehr als die Hälfte seines Erdgas aus Russland, knapp ein Drittel kommt aus Norwegen und ein kleiner Teil aus den Niederlanden. Russland ist also klar der größte Player bei der Gasversorgung. Das spürt man besonders in Bayern, wie Fischer erklärt. „Das norwegische Gas wird rein physikalisch in Norddeutschland verbraucht. Das niederländische kann aufgrund seiner Eigenschaften (sog. L-Gas) in unseren Geräten (sog. H-Gas) gar nicht eingesetzt werden. Wir in Bayern hängen derzeit damit fast vollständig am russischen Erdgas. Das ist die bittere Wahrheit.“
Ist die Gesellschaft bereit, sich von einem Kriegsverbrecher mit Energie beliefern zu lassen?
Wie man mit dieser Abhängigkeit künftig umgeht, müsse vor allem die Gesellschaft beantworten, sagt Fischer und fragt mit Blick auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin: „Ist die Gesellschaft bereit, sich von einem Kriegsverbrecher mit Energie beliefern zu lassen? Ist sie das nicht, kommt die nächste Frage: Welche Konsequenzen ist sie bereit, dafür zu tragen.“ Ohne Einschnitte wie noch höheren Energiepreisen und massiven Einsparungen sei eine Komplett-Abkehr von Russland auf Sicht laut Fischer nicht möglich. „Es geht ja nicht nur um Erdgas, sondern auch um Kohle und Erdöl aus Russland. Natürlich können wir ohne russische Energielieferungen leben. Das Leben schaut aber dann für viele im nächsten Winter ganz anders aus.“
Energieversorgung in Deutschland: Perspektive Grüner Wasserstoff - aus Katar?
Damit Bayerns Energieversorgung gesichert ist, braucht es laut Fischer für eine Übergangszeit einen „breiten Mix von Gasbezugsquellen“. Heißt: Nicht mehr nur auf Russland fokussieren. Ein Prozess, der mehrere Jahre dauern werde - und an dem auch Katar beteiligt sein wird? Der bayerische Energieexperte ist skeptisch. „Wollen wir wirklich auf Dauer weiter machen so wie bisher? Wollen wir wirklich LNG-Gas aus einem Land beziehen, das im Verdacht steht, damit den internationalen Terrorismus zu finanzieren?“ Fischer plädiert für einen generellen Paradigmenwandel hin zu erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind und Wasserkraft, aus denen dann Grüner Wasserstoff hergestellt wird. „Diese Perspektive ist viel interessanter und lässt einen ruhiger schlafen. Auf geht‘s!“
Bei Grünem Wasserstoff könnte wiederum Katar ins Spiel kommen, sagt die Freiburger Professorin Weidlich. „Katar ist ein sehr sonnenreicher Staat und könnte in Zukunft grünen Wasserstoff produzieren, der Europa helfen kann, CO2-neutral zu werden.“ Das absolute Potential dafür sei zwar überschaubar, „aber durch die bestehende Infrastruktur könnte das Land recht zügig in diesen Markt einsteigen“. Grüner Wasserstoff spielt in den Klimaplänen der Bundesregierung eine entscheidende Rolle, zumal das Wirtschafts- und Klimaministerium nun von den Grünen besetzt ist. Weidlich meint: „Es ist derzeit noch offen, welche Länder hier zuerst voranschreiten werden. Katar wäre in einer guten Position dazu.“
Energie aus Katar: EU in Gesprächen, Emir bei Joe Biden
Die EU-Länder positionierten sich zuletzt zur schrittweisen Unabhängigkeit der EU von Russland bei der Energieversorgung. Man will auch mit anderen Ländern sprechen, etwa Ägypten und Katar. Staaten, die bisher wegen Menschenrechtsverstößen im Visier der EU waren.
Besonders die USA scheinen derzeit darum bemüht, Katar noch stärker in die Gasversorgung zu integrieren. Ende Januar war Katars Emir Tamim bin Hamad al-Thani auf offiziellem Staatsbesuch im Weißen Haus.

Ukraine-Krieg: Russland-Invasion sorgt für Energiepreisexplosion
Klar ist: Der Ukraine-Krieg hat die Nachfrage nach Gas und die Preise in die Höhe getrieben. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) betonte daher die Bedeutung, die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Deutschland müsse sich unabhängig machen von der „Preis- und Kriegstreiberei“ anderer Länder.
Kurzfristig will die Bundesregierung diese Abhängigkeit durch die Freigabe der nationalen Erdölreserven mildern. Durch diese soll aber in erster Linie eine Preisstabilisierung erreicht werden, daneben sollen unvorhergesehene Ausfälle in den Erdöl und -gaslieferungen abgedeckt werden. Langfristig braucht es ernstzunehmende Alternativen zu Russland. Ob Katar als solche infrage kommen wird? (as)
Inside Katar
Dieser Text ist Teil der Reihe „Inside Katar“. Bis zur Fußball-WM im Winter wollen wir Ihnen regelmäßig Hintergrundberichte über die (sport)politische Lage in Katar geben - und dabei unterschiedliche Themenfelder betrachten. Zuletzt haben wir etwa über die Investitionen der Golfstaaten in den Sport berichtet.
Falls Sie Anregungen, Themenvorschläge oder Kritik haben, melden Sie sich gerne unter andreas.schmid@zentralredaktion.news.