Putins Armee marschiert im Ukraine-Krieg Schritt für Schritt in die Niederlage
Russische Truppen marschieren seit Monaten auf die Stadt Bachmut. Doch im gesamten Kriegsverlauf geraten die Kreml-Truppen zunehmend in Probleme.
Moskau – Jewgeni Prigoschin, der Chef der russischen Privatarmee „Gruppe Wagner“, verkündete am Mittwochmorgen die lang ersehnte Nachricht: „Alles, was östlich des Flusses Bachmutka liegt, befindet sich unter völliger Kontrolle der privaten Sicherheitsfirma Wagner.“ Der östliche Teil der Stadt Bachmut soll nun also doch unter russischer Kontrolle stehen. Um diese Nachricht verkünden zu können, hatten die russischen Truppen und Wagner-Söldner über Monate hinweg unerbittlich um die Stadt gekämpft.
Ukraine-Krieg: Russische Truppen erreichen völlig zerstörtes Bachmut
Knapp 70.000 Menschen lebten vor dem Krieg in der Stadt in der Region Donezk. Bachmut war weitestgehend unbedeutend, bekannt vor allem für die nahegelegenen Salzminen. Im Ukraine-Krieg wurde die Stadt nun zum Schauplatz der brutalsten Gefechte seit der russischen Invasion. Bachmut hat sich verändert. Der überwiegende Großteil der Einwohner hat die Stadt verlassen, nachdem sie von der russischen Armee ins Visier genommen wurde. Nur noch knapp 4.000 Zivilisten sollen aktuell in der Stadt ausharren. Die Evakuierung gestaltet sich seit Wochen als schwierig. Russland kontrolliert fast alle Zugangsstraßen.

Schon länger vermuten westliche Beobachter, dass die ukrainischen Verteidiger in Kürze den endgültigen Rücktritt aus der dem Erdboden gleich gemachten Stadt antreten werden. Westlich von Bachmut wäre die Stadt Tschassiw Jar die nächste ukrainische Verteidigungslinie in günstigem Gelände. Auf diese Position könnten die Soldaten sich bald zurückziehen. Die Ausläufer von Bachmut und Tschassiw Jahr trennen gerade einmal fünf Kilometer Luftlinie. Fünf Kilometer, die die russische Armee nach monatelangen Gefechten vorrücken könnte.
Russlands Offensive in der Ukraine stagniert – 70 Kilometer Luftlinie in sieben Monaten
Der geringe Gebietsgewinn ist symptomatisch für das Vorrücken der russischen Armee in der Ostukraine. Der Aufwand und die Verluste sind hoch – die Erfolge jedoch gering. Im Januar gelang es den Wagner-Söldner, die Kleinstadt Soledar nordöstlich von Bachmut einzunehmen. Der letzte nennenswerte Erfolg – die Eroberung der Stadt Lyssytschansk – lag da bereits über ein halbes Jahr zurück. Die Städte Lyssytschansk und Bachmut trennen weniger als 70 Kilometer Luftlinie. Das entspricht in etwa der Entfernung zwischen München und Ingolstadt. In sieben Monaten konnte die russische Armee in der Ostukraine also kaum Gebietsgewinne erzielen. In den Region Cherson und Charkiw ließ Putins Armee sich sogar zurückdrängen.
Die geringen Fortschritte waren nur unter extrem hohen Verlusten auf Seiten der russischen Armee zu bewerkstelligen. Das lässt Schlüsse auf den weiteren Kriegsverlauf in der Ukraine zu. „Russland ist nicht am Gewinnen, und die Risse in seinen Fundamenten werden größer“, sagte ein Mitarbeiter des militärischen Nachrichtendienstes Defense Intelliegence Agency (DIA) gegenüber dem US-Portal Newsweek. Als Gründe für die Einschätzung nannte der Mitarbeiter unter anderem die schreckliche Moral der Soldaten, die schlechte Abstimmung zwischen der russischen Armee und den Wagner-Söldnern und ein Mangel an Ausrüstung und Munition.
Ukraine-Krieg: Schlechte Moral und taktische Fehler – kaum russische Fortschritte
Die schlechte Moral offenbarte sich erst in den vergangenen Tagen in einer Reihe von Videos, die auf Telegram veröffentlicht wurden. Dort beklagten sich russische Rekruten, dass sie ohne ausreichendes Training an den Frontlinien in Donezk Dörfer stürmen müssten. Doch auch in der Vergangenheit wurde das Thema Moral von verschiedenen Experten immer wieder hervorgehoben. Während den ukrainischen Soldaten die ultimative Notwendigkeit ihres Einsatzes klar ist, versucht der Kreml gar nicht erst, den russischen Soldaten die Gründe für den Krieg darzulegen. Der Kreml-Kritiker und ehemalige Separatistenführer Igor Girkin beklagte im Januar, dass der Kreml die russischen Kriegs-Ziele weder offiziell definiert noch kommuniziert hätte. Bis heute weigert sich Wladimir Putin ohnehin, den Krieg gegen die Ukraine, als solchen zu benennen.
Die schwache Moral auf dem Schlachtfeld paart sich mit taktischen Fehlern der Kommandeure. „Russland ist langsam vorangekommen, aber es war nicht in der Lage, seine Taktik zu ändern oder aus seiner zahlenmäßigen Überlegenheit Kapital zu schlagen“, erklärte ein Ex-US-Leutnant gegenüber Newsweek. Die Militär-Experten vom US-Thinktank „Institute for the Study of War“ bescheinigten der russischen Militärführung zuletzt ebenfalls die Unfähigkeit, aus vergangenen Fehlern zu lernen.
Russland erleidet schwere Verluste – Panzerfriedhof bei Wuhledar
Das zeigte sich zuletzt bei den Kämpfen um die Stadt Wuhledar. Dort war es den ukrainischen Truppen wiederholt gelungen, russische Panzerverbände in Hinterhalte zu locken und auszuschalten. Die russischen Verluste waren verheerend. Innerhalb von wenigen Wochen soll Russland über 130 Panzer verloren haben.
Die hohen Verluste in Kombination mit den durch die westlichen Sanktionen geschwächten Lieferketten sorgen weiter dafür, dass Russland auf dem Schlachtfeld zunehmen erfinderisch werden muss. Zuletzt machten Berichte die Runde, dass die russische Armee alte Schiffsgeschütze auf gepanzerte Fahrzeuge installieren würde. Rekruten aus der Region Donezk berichteten, dass sie mit Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg ausgestattet worden waren.
Russlands Soldaten im Konkurrenzkampf mit Wagner-Sölndern
Hinzu kommt der Faktor Wagner. Die Söldner-Armee kämpft zwar auf der Seite Russlands, jedoch auch offen gegen den Kreml. Söldner-Chef Prigoschin kritisierte in den vergangenen Monaten immer wieder offen die russische Militärführung und beklagte sich über mangelnde Munitionslieferungen an seine Truppen. „Putins Koch“ und Verteidigungsminister Schoigu beanspruchten bei einem öffentlichen Streit im Januar beide die Einnahme Soledars für sich.
Die Koordination zwischen der Wagner-Gruppe und dem russischen Militär auf dem Schlachtfeld ist nicht existent, was die Verluste auf beiden Seiten zusätzlich erhöht. Wiederholt soll es bei den Kämpfen in der Ukraine deshalb immer wieder zu „Friendly Fire“ - dem Beschuss durch Verbündete – kommen. Die Privatarmee soll bei den Kämpfen um Bachmut über 30.000 Söldner – die meisten davon aus dem Gefängnis rekrutierte Sträflinge – verloren haben. Auch bei der russischen Armee sollen die Verluste an der Front bis zu 70 Prozent betragen.
Ukraine-Krieg: US-Außenminister sicher – Bachmut hat nur „symbolischen Wert“
Diese Probleme bleiben auch dann bestehen, wenn Russland die Kontrolle über Bachmut in den kommenden Tagen erlangen sollte. „Ich denke, es (die Eroberung von Bachmut, Anm. d. Red.) hat eher einen symbolischen als einen strategischen und operativen Wert“, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bei einer Pressekonferenz am Montag. Die Einnahme der Stadt wäre nach Einschätzung des US-Militärs keine „Wende im Kriegsverlauf“.
Zwar erleide das ukrainische Militär ebenfalls erhebliche Verluste an den Frontlinien, setze damit jedoch auch ein deutliches Zeichen: Der Kreml muss sich jeden Meter ukrainisches Land durch das Leben unzähliger russischer Soldaten erkämpfen. Die ukrainischen Streitkräfte werden dabei auch durch westliche Militärhilfen und Waffenlieferungen unterstützt. So dürften in den kommenden Wochen vermehrt westliche Kampfpanzer in der Ostukraine eintreffen. Waffensysteme, die das russische Vorrücken weiter verlangsamen dürften.
Russlands Niederlage in der Ukraine „nur eine Frage der Zeit“
Die „militärische Spezialoperation“, die russische Truppen innerhalb weniger Tage in die ukrainische Hauptstadt bringen sollte, dauert bereits über ein Jahr an. Mit überschaubaren Erfolgen und katastrophalen Verlusten. „Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Russland verliert, nicht wann es gewinnt. Bachmut ist wichtig, weil sowohl ein russischer Sieg als auch ein ukrainisches Durchhalten dazu führen wird, dass Kiew seine Bestrebungen verdoppeln wird“, zieht der DIA-Mitarbeiter gegenüber Newsweek sein Fazit. (fd)