Ukrainischer Generalkonsul zum Unabhängigkeitstag: „Ich bin sicher, dass wir diesen Krieg gewinnen“
Eigentlich ist Generalkonsul Yarmilko kein Politiker. Das Interview wird dennoch schnell politisch. Ein Gespräch über Unabhängigkeit, mögliche Verhandlungen und ein Ende des Krieges.
München – Im Büro von Yuriy Yarmilko dreht sich vieles um Fußball. Neben zwei Wimpeln von Schachtar Donezk und Lieblingsklub Dynamo Kiew, den beiden erfolgreichsten ukrainischen Teams, findet sich ein Ball mit Unterschriften der Profis von Eintracht Frankfurt. „Ich könnte stundenlang über Fußball sprechen“, sagt Yarmilko. Doch dafür ist im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA keine Zeit. Yarmilko ist Generalkonsul der Ukraine in München. In dieser Funktion unterstützt er Ukrainerinnen und Ukrainer in Bayern und Baden-Württemberg.
Seit dem Ukraine-Krieg hat sich die tägliche Arbeit für Yarmilko und seine zehn Mitarbeiter verändert. „Wir betreuten vor dem Krieg 30.000 ukrainische Staatsangehörige. Jetzt sind 300.000 dazugekommen.“ In den meisten Fällen geht es um das Ausstellen notwendiger Papiere. „Viele sind ohne Pass nach Deutschland gekommen“, sagt der 63-jährige Diplomat, der im Gespräch die Solidarität der lokalen Bevölkerung und die Unterstützung der bayerischen Landesregierung betont.

In München eröffnete 1918 das erste Generalkonsulat der ukrainischen Volksrepublik, die einige Jahre später in die Sowjetunion eingegliedert wurde. 1991, mit dem Zerfall der UdSSR, wurde die Ukraine unabhängig. Am Nationalfeiertag, dem 24. August, feiert das vom Krieg gezeichnete Land seine Unabhängigkeit. 2022 ist es also ein Feiertag unter besonderen Umständen.
Ukraine-Generalkonsul Yarmilko: „Putin will unsere Unabhängigkeit nicht anerkennen“
Herr Yarmilko, am 24. August ist ukrainischer Nationalfeiertag. Welche Bedeutung hat dieses Datum für die ukrainische Bevölkerung?
Eine sehr große. Ich erinnere mich noch gut an den 24. August 1991. Ich war damals mit meiner Frau in Kiew neben dem Parlament zusammen mit tausenden anderen Menschen. Als die Unabhängigkeit ausgerufen wurde, waren die Leute sehr euphorisch. Die Ukrainer strebten nach Unabhängigkeit. Wir haben sie aber nicht bekommen, sondern erobert. Putin und Russland wollen nicht anerkennen, dass wir überhaupt das Recht auf Unabhängigkeit haben. Deshalb müssen wir aktuell mit Waffen in den Händen für unsere Unabhängigkeit kämpfen.
Wolodymyr Selenskyj hat vor großflächigen russischen Angriffen am Nationalfeiertag gewarnt, Charkiw wegen der Sorge vor russischen Bomben eine Ausgangssperre verhängt. Befürchten Sie Ähnliches?
Wir wissen es natürlich nicht, aber können russische Provokationen nicht ausschließen. Wir begehen den Unabhängigkeitstag mit Stolz, sind aber auch bereit für russische Angriffe, zum Beispiel in Charkiw, wo es seit Kriegsbeginn nur fünf Tage gab, an denen keine Bomben oder Raketen geflogen sind.
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Ukraine-Invasion Russlands: „Wir müssen diesen schrecklichen Krieg gewinnen, wir haben keine Alternative“
Wie blickt die ukrainische Bevölkerung auf diesen Krieg?
Das ist sehr leicht zu beantworten. Alle sind gegen den Krieg. Sie verstehen nicht, warum er überhaupt entfesselt wurde und wollen, dass er so schnell wie möglich endet. Aber nicht durch Verlust des Territoriums. Wir müssen diesen schrecklichen Krieg gewinnen, wir haben keine Alternative. Denn sonst verlieren wir unsere Unabhängigkeit und somit die Freiheit, unsere Zukunft selbst zu gestalten. Deshalb kämpfen wir weiter. Ich bin sicher, dass wir gewinnen.
Was stimmt Sie da so zuversichtlich?
Ein Fehler Russlands war es zu glauben, dass russischsprachige Ukrainer die Okkupationsarmee mit Blumensträußen begrüßen. Die ganze Welt sieht, dass Städte wie Mariupol, Charkiw, Mykolajiw, Dnipro oder Saporischschja gegen die Russen kämpfen. Das sind alles Städte, in denen die meisten Menschen Russisch sprechen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie Russland unterstützen. Sie sind Patrioten der Ukraine.
Demonstration am Karlsplatz in München
Am 24. August findet in der Münchner Innenstadt eine Demonstration gegen den Ukraine-Krieg statt. Gleichzeitig soll der Unabhängigkeitstag der Ukraine gefeiert werden. Mit dabei sind unter anderem die Münchner Bundestagsabgeordneten Stephan Pilsinger (CSU) und Jamila Schäfer (Grüne). Beginn ist um 18 Uhr.
Verhandlungen zum Ukraine-Krieg: „Russlands Position können wir überhaupt nicht akzeptieren“
Sie sagen, ein ukrainischer Sieg ist alternativlos. Was bedeutet das für mögliche Verhandlungen?
Präsident Selenskyj hat gesagt, Verhandlungen sind nur nach Erfüllen der Bedingungen der Ukraine möglich. Das heißt: Verhandlungen kann es nur geben, wenn die Russen ihre Truppen aus den besetzten Gebieten abziehen. Russland versteht das anders und will den Status Quo jetzt feststellen und 20 Prozent der Ukraine für sich behalten. Das können wir überhaupt nicht akzeptieren. Und selbst wenn wir jetzt einen Waffenstillstand abstimmen, muss sich die Frage gestellt werden: Was ist ein Wort von Wladimir Putin wert? Jeder Krieg endet mit Friedensverhandlungen und Diplomatie, aber dazu braucht es bestimmte Voraussetzungen. Das ist aktuell der Abzug russischer Truppen.
Das heißt, ein Ende des Krieges ist nur mit Verhandlungen möglich?
Im Endeffekt ja, aber zurzeit geht mit Verhandlungen gar nichts. In der aktuellen Situation gibt es nur militärische Lösungen.
Wie können gemeinsame Gespräche erreicht werden? Braucht es einen Verhandlungsvermittler?
Warum nicht? Die Ukraine hat gute Erfahrungen mit den Verhandlungsvermittlern: neulich haben Erdogan und Guterres erfolgreich geholfen, den Weizendeal auszuhandeln, vor einigen Jahren wurden unter Mediation Deutschlands neue Gastransitverträge abgeschlossen.
Also könnte diese Rolle auch die deutsche Politik einnehmen?
Theoretisch schon, aber bis jetzt habe ich nicht gehört, dass jemand aus Deutschland bereit wäre, diese Rolle ernsthaft zu übernehmen.
Sind Sie enttäuscht von der westlichen Politik?
Wäre die Reaktion des Westens stärker und eindeutiger schon vor acht Jahren bei der Krim-Annexion und dem Donbass-Krieg oder vor 14 Jahren beim Georgienkrieg und der Frage der NATO-Osterweiterung, dann könnte die Situation heute ganz anders sein. Wir kämpfen jetzt nicht nur für uns, sondern schützen den ganzen Westen. Wir sind eine Grenze zwischen der westlichen Demokratie und Mittelalter und Barbarei. Deshalb brauchen wir auch weitere Waffenlieferungen – ohne die ist es derzeit nicht möglich, diesen Krieg zu gewinnen.