Putin verheizte „Kaliningrad-Armee“ in Charkiw – Hälfte der 12.000 Soldaten wohl gefallen

Die Niederlage der „Kaliningrad-Armee“ im Ukraine-Krieg war ein Schlag für Russland. Die Truppe wieder aufzubauen, dauert offenbar „mehrere Jahre“.
Charkiw - Eigentlich war es ihre Aufgabe, die russische Exklave Kaliningrad zu verteidigen. Das 11. Armeekorps der russischen Marine hatte Wladimir Putin genau zu diesem Zweck erst vor sechs Jahren formiert. Doch dann griff Russland am 24. Februar die Ukraine an und die rund 12.000 Soldaten der Kaliningrad-Armee zogen in den Ukraine-Krieg – viele starben.
An der Ostflanke der Nato: Diese Bedeutung hat die „Kaliningrad-Armee“
Kaliningrad gilt als strategisch wichtig – für Russland, aber auch für den Westen. Die sogenannte Suwalki-Lücke nahe Kaliningrad ist die Achillesferse der Nato. An der rund 100 Kilometer langen Grenze zwischen den Nato-Staaten Litauen und Polen verläuft auch kritische Infrastruktur wie eine Gaspipeline, Stromtrassen und Straßen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine beschloss die Nato, ihre Ostflanke zu stärken. Deutschland soll dabei eine Kampftruppen-Brigade mit 3000 bis 5000 Soldaten für Litauen führen.
Doch auch Putin hat seine Exklave im Blick. Nicht zuletzt, weil er die Nato-Osterweiterung als Bedrohung empfindet. Wegen der Bedeutung und exponierten Lage von Kaliningrad formierte die russische Marine bereits vor sechs Jahren die „Kaliningrad-Armee“. Es handelt sich dabei laut einem Forbes-Bericht vom Donnerstag um eine Umgruppierung bereits bestehender Formationen der baltischen Flotte der russischen Marine. Zu Beginn des Krieges bestanden die Truppen in Kaliningrad demnach aus 12.000 Soldaten, etwa 100 T-72-Panzern, BTR-Kampffahrzeugen, Msta-S-Haubitzen sowie den Mehrfachraketenwerfersystemen BM-27- und BM-30. Die Führung der meisten dieser Streitkräfte hatte das 11. Armeekorps inne.
Kaliningrad-Armee im Ukraine-Krieg: Bataillone teils mit nur noch einem Fünftel ihrer Stärke
Auf dem Papier war die ukrainische Armee am Beginn des Kriegs der russischen unterlegen. Doch am Beispiel des 11. russischen Armeekorps wird deutlich, wie schnell sich das Blatt wendete. Denn in Putins Armee mangelt es zahlreichen Berichten zufolge an Truppenmoral, Führung und Waffen. Die Ukraine erhielt indes nach und nach immer mehr Waffen aus dem Westen und griff vermehrt Versorgungslinien der russischen Armee an, was die Truppen Putins weiter schwächte.
Der russische Präsident sah sich gezwungen, Verstärkung zu holen und schickte infolgedessen im Mai auch das 11. Armeekorps von Kaliningrad aus in den Krieg – in der Nähe von Charkiw. Was genau mit diesen Einheiten passierte, ist auch deshalb so gut nachvollziehbar, da russische Truppen nach ihrem Abzug aus Balaklija in der Oblast Charkiw Dokumente hinterließen. Die Nachrichtenagentur Reuters analysierte diese Aufzeichnungen genau und identifizierte mehrere Probleme der russischen Truppen.
Nach drei Monaten schwerer Kämpfe war das 11. Armeekorps den zurückgelassenen Dokumenten zufolge deutlich geschwächt. Insgesamt hatte es nach Informationen vom 30. August noch eine Stärke von 71 Prozent – und damit ein Viertel seiner Stärke verloren. Ein Kampfbataillon war sogar nur noch zu 19,6 Prozent und eine Reserveeinheit nur zu 23 Prozent einsatzbereit, hieß es in einem Bericht der US-Kriegsexperten des Institute for the Study of War, der sich ebenfalls auf den Reuters-Bericht bezieht.
Kaliningrad-Armee im Ukraine-Krieg: Rund die Hälfte der Truppe stirbt offenbar bei Gegenoffensive

Ende August und Anfang September begann die ukrainische Gegenoffensive im Osten Charkiws und im Norden von Cherson. Tausende Russen flohen, ergaben sich oder starben. Aus den Reuters vorliegenden Personallisten geht hervor, dass Wehrpflichtige aus der russisch kontrollierten Region Luhansk in Charkiw an der Seite der Männer des 11. russischen Armeekorps kämpften. Oberst Iwan Popow, der selbst dem 11. Armeekorps angehört, war den Unterlagen zufolge als Befehlshaber der von Balaklija aus operierenden russischen Streitkräfte gelistet.
Der ukrainische Generalstab berichtete laut Forbes, dass rund die Hälfte der Soldaten des 11. Armeekorps bei der Gegenoffensive starben und 200 Fahrzeuge verloren gingen. Die genauen Zahlen lassen sich nicht unabhängig verifizieren. Allerdings teilte auch das renommierte Center for Strategic and International Studies (CSIS) mit, dass das 11. Armeekorps schwer getroffen worden sei. Der Aufbau werde „wahrscheinlich mehrere Jahre dauern“, so die CSIS-Experten. Die Niederlage kostete nicht nur viele Menschenleben. Auch militärisch trifft sie Russland hart. Denn die Aufgabe, die Exklave Kaliningrad zu verteidigen, kann die „Kaliningrad-Armee“ damit nicht mehr erfüllen.