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Ukraine-Krieg: Scholz reist endlich nach Kiew – die Symbolik könnte kaum stärker sein

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Von: Georg Anastasiadis

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Montage für Münchner-Merkur-Kommentar: links Olaf Scholz, rechts Georg Anastasiadis
Kanzler Scholz‘ Kiew-Reise ist überfällig, kommentiert Georg Anastasiadis. © Kay Nietfeld/dpa/Klaus Haag

Jetzt also doch: Kanzler Olaf Scholz reist in die Ukraine. Es ist höchste Zeit. Ein Kommentar von Georg Anastasiadis.

München - Ja: Die jetzt avisierte Reise von Kanzler Olaf Scholz nach Kiew ist, bald vier Monate nach Kriegsbeginn, längst überfällig. Man kann aber auch sagen: Nie war sie vor wertvoll wie heute, da die ukrainischen Verteidiger im Donbass mit dem Rücken zur Wand stehen und im ganzen Land wachsende Verzweiflung an die Stelle der Hoffnung auf ein schnelles Kriegsende tritt.

Gemeinsam wollen der Deutsche Scholz, der Franzose Macron und der Italiener Draghi der Ukraine vor dem G7-Gipfel im bayerischen Elmau eine Perspektive für den EU-Beitritt aufzeigen. Das ist die richtige Antwort auf die Vernichtungsfantasien, die Kremlherrscher Putin im Osten des von ihm überfallenen Nachbarlandes immer hemmungsloser auslebt.

Die Symbolik des Besuchs könnte stärker kaum sein: Es sind die Erben der Gründungsväter des modernen, friedlich vereinten Europas, die sich in der Ukraine dem selbst ernannten Wiedergänger von Zar Peter dem Großen entgegenstellen, 300 Jahre nach dem Tod des Eroberers. Es ist ein Kampf der Werte des 21. Jahrhunderts gegen die Kanonenpolitik des 18. Jahrhunderts, und nach Putins neuerlicher Geschichtslektion und der Berufung auf Zar Peter müssen wir mehr denn je fürchten, dass der Einfall in die Ukraine für den Landräuber im Kreml erst der Anfang war bei der „Zurückholung“ einstmals russischer Gebiete.

Ukraine-Krieg: Zweifel in Europa an Scholz, Macron und Draghi

Doch führen die drei Regierungschefs diesen Kampf auch mit der nötigen Entschlossenheit? Die Zweifel daran sind, besonders im neuen, östlichen Europa, gewachsen: Das deutsche Zögern bei der Lieferung von Waffen, verbunden mit Macrons Warnung vor einer „Demütigung“ Putins – gerade so, als sorge sich Westeuropa mehr um das Wohl des Täters als des Opfers – haben Risse im Verteidigungsbündnis offen gelegt, die gefährlicher sind als die Extratouren der üblichen Verdächtigen Türkei und Ungarn. Ohne die USA hätte das zerstrittene und wehrlose Europa längst die Waffen strecken müssen vor Moskaus Expansionsdrang.

Ein gutes Signal wäre es deshalb gewesen, wenn auch Polens Regierungschef von dem in der EU tonangebenden Trio zur Mitreise eingeladen worden wäre. Das hätte vielleicht alte Wunden heilen lassen, die durch die ungeschickte ukrainische Ausladung von Bundespräsident Steinmeier entstanden sind.

Immerhin: Der innen- und außenpolitisch unter Handlungsdruck geratene Kanzler scheint sich dazu entschieden zu haben, einige Zweifel auszuräumen. Wenn er im Juni nach Kiew fährt, hat er wohl neben dem EU-Ticket auch die Ausfuhrgenehmigung für deutsche Marder-Panzer aus Rheinmetall-Beständen im Gepäck, die bald die ukrainische Kampfkraft in der Hölle des Donbass verstärken sollen. Dort, wo die Ideen und Waffen des modernen Europas auf den neu-zaristischen Eroberungswillen Putins treffen, regiert weder das 21. noch das 18. Jahrhundert, sondern das dunkle 20. Jahrhundert mit seinen fürchterlichen Abnutzungsschlachten wie im Ersten Weltkrieg.

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