Entführter ukrainischer Bürgermeister: „Wenn Russland den Krieg gewinnt, sind Polen und die EU dran“
Der Bürgermeister der ukrainischen Stadt Melitopol wurde im Ukraine-Krieg von russischen Besatzern entführt und kam wieder frei. In einem Interview sprach er über seine Gefangenschaft.
Saporischschja - Der zwischenzeitlich entführte Bürgermeister der ukrainischen Stadt Melitopol, Iwan Fedorow, ist Angaben aus Kiew zufolge im Rahmen eines Gefangenenaustausches freigekommen. „Dafür erhielt Russland neun seiner gefangenen Soldaten der Jahrgänge 2002-2003“, sagte die Sprecherin des Leiters des Präsidentenbüros, Darja Sariwna, örtlichen Medien zufolge in der Nacht zum Donnerstag. Es habe sich dabei um Wehrdienstleistende gehandelt. Der Bürgermeister hat mit dem Spiegel über seine Entführung gesprochen.
Ukraine-Krieg: Bürgermeister von Melitopol wurde mit Plastiktüte über Kopf verschleppt
Fedorow war am 11. März aus einem Krisenzentrum in der zwischen Mariupol und Cherson gelegenen südukrainischen Großstadt Melitopol verschleppt worden, über seinem Kopf eine Plastiktüte gestülpt, wie ein Video von CNN zeigte. Nach Angaben des ukrainischen Parlaments hatte der 33-Jährige sich geweigert, „mit dem Feind zu kooperieren“. Die Stadt mit knapp 150.000 Einwohnern wurde bereits kurz nach Beginn des Ukraine-Konflikts vor mehr als drei Wochen von russischen Truppen besetzt. In seine Stadt konnte Fedorow jedoch nicht zurückkehren. Nach seiner Freilassung reiste er erst zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Kiew und anschließend nach Saporischschja.
Im Interview mit dem Spiegel sprach der Bürgermeister Melitopols unter anderem über die aktuelle Lage in seiner Stadt. Es sei sehr gefährlich. Melitopol stehe kurz vor der humanitären Katastrophe. Es fehle an Medikamenten, Essen und Bargeld. Zudem trauten sich die Bewohner kaum mehr vor die Tür. Viele hätten Angst vor einer Entführung, wie sie dem Bürgermeister widerfahren ist. Die Besetzer verhalten sich laut Fedorow „wie Banditen.“

Ukraine-Krieg: Entführter Bürgermeister berichtet von Schreien im Nebenraum
Fedorow berichtet, er habe während seiner Entführung keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt und habe auch nicht mit seiner Familie sprechen dürfen. Die russischen Soldaten hätten wenig mit ihm gesprochen. Dennoch sei meistens mindestens einer bei ihm gewesen. Bei seinem Verhör seien ihm bis zu sechs russische Soldaten gegenüber gestanden. Nachts sei er vom russischen Geheimdienst stundenlang befragt worden, erzählte der Bürgermeister von Melitopol dem Spiegel.
Er sei zur politischen Situation in seiner Stadt, zu wichtigen Personen in seiner Stadtverwaltung und über Journalisten in Melitopol ausgefragt worden. Federow hätte einige Antworten gegeben, habe jedoch auf viele Fragen nichts erwidern können. Er persönlich sei nicht geschlagen worden. „Aber aus dem Raum nebenan hörte ich Schreie.“ In dem Raum hätten sich Menschen befunden, die die russischen Besatzer auf der Straße aufgegriffen hätten. „Sie warfen ihnen vor, ,Agenten der Ukraine‘ zu sein“, so Federow zum Spiegel. „Sie folterten und schlugen sie. Das war sehr furchterregend.“
Ukraine-Krieg: Entführter Bürgermeister - „Wenn Russland diesen Krieg gewinnt, sind Polen und die EU dran.“
Federow warnte davor, den Krieg in der Ukraine lediglich als Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu betrachten. Sollte die EU und „internationale Gemeinschaft“ dies tun, werde es einen langen Krieg in der Ukraine geben. Der Bürgermeister Melitopols rief dazu auf, den Krieg als Krieg zwischen Russland und dem Rest der Welt zu verstehen: „Wenn Russland diesen Krieg gewinnt, sind Polen und die EU dran.“ (dpa/afp/lp)