„Zwei Monate Dunkelheit“: Erschütternde Berichte aus Mariupol-Stahlwerk

Mariupol ist eine Symbolstadt im Ukraine-Krieg. Das Stahlwerk ist die letzte Festung des ukrainischen Widerstands in der Stadt. Nun gibt es erste Evakuierungen.
Mariupol - Es ist die letzte Bastion in einer von Russland eingekesselten, quasi eroberten Hafenstadt: das Stahlwerk in Mariupol. Hier bereiten sich ukrainische Soldaten auf die schon mehrfach zitierte „letzte Schlacht“ im Ukraine-Krieg vor, auch solche des ultranationalistischen Asow-Regiments. Hier finden aber nach wie vor auch Zivilisten Schutz, die nach und nach aus Mariupol evakuiert werden.
Am Wochenende konnten erstmals mehrere dutzend Menschen das riesige Industriegelände verlassen. Für Montag (2. Mai) sind weitere Evakuierungen geplant. Es gilt eine Waffenruhe in der südukrainischen Hafenstadt. Die Menschen, die es aus Mariupol heraus geschafft haben, stehen vor den Trümmern ihrer Heimat.
Ukraine-News: „Zwei Monate Dunkelheit“ – Zivil-Berichte aus Mariupol
Die Menschen wurden am Montag in der 220 Kilometer entfernten Stadt Saporischschja erwartet. Zuvor ging es für sie offenbar nach Bezimenne. Einem Ort in der Region Donezk in der Nähe von Mariupol, der von Russland kontrolliert wird. Das berichtet der US-Sender CNN, der offenbar auch mit einigen Geflüchteten sprechen konnte.
Eine Angestellte des Stahlwerks erzählt dem Sender, dass sie sich wochenlang im Labyrinth der Bunker aus der Sowjetzeit unter dem Werk versteckt habe. Eine Flucht über die Evakuierungskorridore sei nicht möglich gewesen. Zu stark der russische Beschuss, der laut ukrainischen Angaben auch während der ausgehandelten Waffenruhen erfolgte.
„Der Beschuss war so stark, dass er immer wieder in unserer Nähe einschlug“, zitiert CNN die Frau. „Am Ausgang des Luftschutzbunkers konnte man nur auf den obersten Stufen atmen, da es nicht genug Sauerstoff gab. Ich hatte sogar Angst, hinauszugehen und frische Luft zu atmen.“ In den verwinkelten Tiefen des Stahlwerks habe es kein Sonnenlicht gegeben. „Zwei Monate Dunkelheit. Wir hatten Angst.“

Ukraine-News: 126 Menschen aus Mariupol evakuiert
Die Zahlen zu den Geretteten sind sowohl auf ukrainischer als auch russischer Seite ähnlich. Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach am Wochenende von rund 100 Geretteten. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, dass am Samstag 46 und am Sonntag 80 Personen das Stahlwerk verlassen hätten.
Auch am Montag sollten weitere Menschen aus der Industriezone herausgebracht werden. Die ukrainische Nationalgarde sprach davon, dass noch 200 Zivilisten in dem Stahlwerk seien, darunter 20 Kinder. Zudem hielten sich dort noch rund 500 verletzte ukrainische Verteidiger des zerstörten Mariupol auf, die dringend medizinische Hilfe bräuchten. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte ihnen eine Behandlung zugesichert, sollten sie die Waffen niederlegen und sich ergeben.
Ukraine-News: Berichte über „illegales Verschleppen“ durch Russland
Das Militär garantiere die Sicherheit des humanitären Korridors, hieß es weiter. Die Menschen seien „gerettet“ worden und würden nun in die selbsternannte Volksrepublik Donezk gebracht. Einige hätten sich „freiwillig entschieden“ in dem Gebiet zu bleiben, das seit Beginn des Ukraine-Konflikts 2014 von von Russland unterstützten Separatisten kontrolliert wird.
Es gibt Hinweise, wonach es in Bezimenne ein russisches Auffanglager für ukrainische Geflüchtete gibt. Die Menschen würden registriert und anschließend nach Russland zwangsverteilt werden. Russland dementiert die Umsiedlung von Kriegsflüchtlingen. Schon Ende März hieß es von der Stadtverwaltung Mariupol: „In der vergangenen Woche wurden mehrere tausend Einwohner von Mariupol auf russisches Territorium gebracht. Die Besatzer haben illegal Menschen verschleppt.“ (as mit Material der dpa)