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„Kriegseintritt“? Polen will jetzt doch Deutschlands Patriot-Raketen – was hinter dem Hick-Hack steckt

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Von: Florian Naumann, Stephanie Munk

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Ja, nein - doch, oh! So ließe sich Polens ambivalente Reaktion auf das Angebot deutscher Patriot-Raketen zusammenfassen. Dahinter stecken wohl die Innenpolitik und deutsche Ängste.

Warschau/Berlin - Polen will nun doch deutsche Patriot-Luftabwehrraketen auf eigenem Staatsgebiet stationieren – das gab der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak am Dienstag (6. Dezember) auf Twitter bekannt. Allerdings nicht ohne einen Seitenhieb: Man tue dies „mit Enttäuschung“, denn die Luftabwehr wäre in der Ukraine besser aufgehoben gewesen, schrieb er.

Am Mittwoch (7. Dezember) kam dann der nächste Vorwurf: Der polnische Vize-Außenminister Marcin Przydacz attestierte der Scholz-Regierung in der Sache einen Vertrauensbruch: „Der grundlegende Fehler der deutschen Seite bestand darin, dass sie mit dem Angebot der Patriot-Systeme an die Medien gegangen ist, bevor die Verhandlungen beendet waren“, sagte er dem Sender TVP. Tatsächlich hatte die zuletzt heftig kritisierte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) das Angebot, Polen die Patriots zum Schutz seines Luftraums anzubieten, in einem Interview mit der Rheinischen Post und dem General-Anzeiger öffentlich gemacht.

Das deutsche Luftabwehrsystem Patriot, aufgenommen in der Ausbildungsstellung des Flugabwehrraketengeschwaders in Mecklenburg-Vorpommern.
Das deutsche Luftabwehrsystem Patriot, aufgenommen in der Ausbildungsstellung des Flugabwehrraketengeschwaders in Mecklenburg-Vorpommern. © imago stock&people

Deutschland will Polen Patriots liefern - Dem Angebot folgte ein langes Hickhack

Das Hin und Her um die Stationierung deutschen Patriots in Polen scheint damit vorerst beendet. Ausgelöst worden war die Diskussion Mitte November durch ein Ereignis, das die Welt kurzzeitig in Schrecken versetzte: In einem polnischen Dorf nahe der ukrainischen Grenze explodierte eine Rakete, zwei Menschen starben. Noch immer ist nicht ganz geklärt, was genau passiert ist. Doch war es wahrscheinlich eine ukrainische Flugabwehrrakete, die zur Verteidigung gegen russischen Angriffe eingesetzt worden war und möglicherweise ihr Ziel verfehlt hatte.

Eine Ausweitung des Konflikts - wie zunächst befürchtet - war nicht Folge des Vorfalls in Polen. Deutschland reagierte trotzdem überraschend schnell: Christine Lambrecht bot der polnischen Regierung sogleich Unterstützung bei der Luftabwehr an, durch Stationierung von deutschen Patriot-Systemen nahe der ukrainischen Grenze. „Polen ist unser Freund, Verbündeter und als Nachbar der Ukraine besonders exponiert“, begründete sie die Entscheidung.

Raketeneinschlag in Polen: Deutschland sagte schnell Unterstützung zu

Polen reagierte von Anfang an ambivalent auf dieses deutsche Angebot. Zwar begrüßte Blaszczak zunächst die Ankündigung von Lambrecht, wenige Tage später sprach er sich dann aber genauso wie Regierungschef Mateusz Morawiecki dafür aus, die deutschen Patriot-Systeme doch lieber in der Westukraine zu stationieren. So werde zugleich „das westliche ukrainisch-polnische Grenzgebiet und das östliche polnisch-ukrainische Grenzgebiet“ geschützt, sagte Morawiecki.

Patriot-Flugabwehrsysteme

„Patriot“ ist eigentlich ein Akronym – es steht für „Phased Array Tracking Radar To Intercept On Target“. Nach Angaben der Bundeswehr dient das System zur Bekämpfung von Flugzeugen, taktischen ballistischen Raketen und Marschflugkörpern; es funktioniert mit Computerunterstützung. Die Reichweite beträgt demnach bis zu 68 Kilometer, bis zu fünf Ziele können gleichzeitig „bekämpft“ werden.

Mit diesem Vorstoß überrumpelte Polen wiederum die Bundesregierung. Lambrecht forderte eine Diskussion auf Nato-Ebene. Denn die deutschen Patriot-Systeme seien Bestandteil der Nato-Luftverteidigung und für das Nato-Gebiet vorgesehen, sagte sie. Ein Einsatz außerhalb müsse mit den Alliierten besprochen werden.

Patriot-Systeme für Polen: Was hinter Deutschlands Nein zur Lieferung an die Ukraine steckt

Dahinter könnte die Sorge stecken, Russland zu sehr auf die Füße zu treten. So stellte es der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, laut einem Bericht des Portals euractiv.com in einem Radiointerview dar. Die Lage lässt sich aber auch noch etwas differenzierter betrachten. Kremlchef Wladimir Putin hätte die Stationierung in der Ukraine als direktes Eingreifen Deutschlands beziehungsweise der Nato in den Ukraine-Krieg deuten können, lautet eine weitere These.

Deutschland hätte die Patriot-Systeme gar nicht in die Ukraine liefern können, weil sie von deutschen Soldaten bedient werden müssten, sagte etwa der Politikwissenschaftler Marcin Zaborowski vom Thinktank GLOBSEC der Webseite Wirtualna Polska. Das sei aus dem deutschen Angebot von Anfang an ersichtlich gewesen. In Zusammenhang mit einer Forderung der Ukraine nach Patriot-Lieferungen hieß es Ende November, die Ausbildung an den Systemen könne sechs Monate dauern.

In der Ukraine wäre die Kopplung an die Bundeswehr zum Problem geworden, meinte Zaborowski: „Das bloße Erscheinen deutscher Kräfte zur Wartung der Patriot-Einheiten würde bedeuten, dass der Westen in den Krieg eintritt“, betonte er. Deutschland habe sich mit dem Angebot als „starker Verbündeter“ Polens gezeigt, sagte der Experte zugleich. Außenministerin Annalena Baerbock hatte im November auch gewarnt, die Nato müsse sicherstellen, dass sie „in ihrem eigenen Bündnisgebiet“ ausreichend Material habe.

So oder so: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprang Olaf Scholz‘ Verteidigungsministerin nicht zur Seite. Er erklärte, es sei die „nationale Entscheidung“ Deutschlands, das System an die Ukraine zu liefern oder nicht. Lambrechts Argumentation, es gebe mögliche Vorbehalte der Nato, war damit zunichte.

Polen reagierte ablehnend auf deutsches Angebot: Innenpolitisches Kalkül?

Doch warum die harsche Reaktion Polens? Es könnte innenpolitisches Kalkül dahinter stecke, analysierte die Tageszeitung taz: Antideutsche Ressentiments zu schüren sei von jeher ein Erfolgsrezept der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, von daher sei die Reaktion auf das Patriot-Angebot auch mit Blick auf die nahenden Parlamentswahlen 2023 zu deuten.

Auch die Deutsche Welle berichtet, dass Deutschland seit dem Ukraine-Krieg in Polen besonders in der Kritik stehe. Die Vorwürfe würden lauten: Berlin habe Putins Aggression durch seine jahrzehntelange Russland-Politik erst ermöglicht und sei außerdem zu zögerlich hinsichtlich ukrainischer Forderungen nach schweren Waffen.

Das deutsche Angebot zur Unterstützung der Luftabwehr wollte Polen dann aber letztlich wohl doch nicht so einfach ausschlagen - wohl auch, weil es diese durchaus nötig haben könnte: Dem Bericht der Deutschen Welle zufolge besitzt Polen derzeit nur zwei eigene Patriot-Systeme, die aber erst im kommenden Sommer einsatzbereit seien. Deshalb hatte es auch in Polen Kritik am zwischenzeitlichen Nein gegeben. Laut tagesschau.de zeigte eine Meinungsumfrage zuletzt eine deutliche Unterstützung für die Stationierung. (smu/fn mit Material von dpa)

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