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„Cherson wäre Schritt zum Sieg“: Ex-US-General Hodges fordert sogar Plan für Fall „Zusammenbruch Russlands“

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Von: Klaus Rimpel

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Ben Hodges
Ex-US-General Ben Hodges spricht über die aktuelle Situation im Ukraine-Krieg. © picture alliance / Ingo Wagner/dpa

Russland erwartet einen Großangriff der Ukraine auf Cherson. Was ein solcher Erfolg für den Krieg bedeuten würde, analysiert Ex-US-General Ben Hodges im Interview.

München – Während Wladimir Putin das Kriegsrecht in den annektierten Gebieten verhängt hat, steht die Ukraine im Südosten des Landes vor ihrem bisher größten Erfolg. Angesichts des erwarteten Großangriffs auf Cherson ist die prorussische Verwaltung aus der Großstadt geflohen. Ex-US-General Ben Hodges ordnet im Gespräch mit dem Münchner Merkur ein, was eine Rückeroberung Chersons für den Kriegsverlauf bedeutet und auf welche Taktik Russland setzt. Hodges war von 2014 bis 2017 Oberbefehlshaber der US-Army in Europa.

Münchner Merkur: Herr Hodges, was würde ein ukrainischer Sieg in Cherson bedeuten?

Ben Hodges: Er würde die Ukraine dem Sieg einen großen Schritt näher bringen. Cherson war die einzige Großstadt, die Russland erobern konnte. Mit der Rückeroberung hätte Kiew die Kontrolle über die Wasserwege zum Dnjepr und zum Schwarzen Meer. Dazu kommt, dass die Ukraine die Brücken für den Rückzug zerstört hat und die Russen wichtige Ausrüstung zurücklassen müssen – die jetzt in die Hände der Ukrainer fällt.

Gibt es eine neue Strategie der Russen, seit General Sergej Surowikin den Oberbefehl hat?

Das russische Militär verliert derzeit in jeder Kategorie: Die Bodentruppen müssen sich zurückziehen, die Ausrüstung geht aus, die Teil-Mobilisierung entpuppte sich als Desaster. Die einzige Hoffnung, die dem Kreml bleibt, ist, den Krieg so lange wie möglich hinzuziehen – in der Hoffnung, dass der Westen angesichts der hohen Energiepreise müde wird und die Unterstützung der Ukraine beendet. Putin beobachtet da den Ausgang der US-Wahlen im November sehr genau, aber auch alles, was deutsche Politiker und Medien sagen.

Dreht sich die Stimmung in den USA gegen die Unterstützung der Ukraine?

Ich denke, dass noch immer gut zwei Drittel der US-Amerikaner die Unterstützung für richtig halten. Aber es gibt Politiker bei den Republikanern, die Kreml-Argumente übernehmen – bitter für die Partei Ronald Reagans. Aber ich bin überzeugt, dass der Westen weiter zusammenhält. Auch die US-Republikaner wissen, dass der Wohlstand in den USA von Stabilität und Sicherheit in Europa abhängt. Und es geht hier auch um China. Peking beobachtet in Bezug auf Taiwan sehr genau, ob der Westen zusammensteht.

Surowikin ist als „General Armageddon“ berüchtigt. Wird der Krieg jetzt noch brutaler?

Es ist eine neue Macht-Clique rund um Putin entstanden. Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Gerassimow sind völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldner-Gruppe Wagner, Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow und Surowikin sind die drei Figuren, die jetzt das militärische Vorgehen bestimmen. Sie setzen voll auf Raketen und Drohnen gegen Zivilisten, um den Willen der Ukrainer zu brechen.

„Das ukrainische Militär beeindruckt mich“

Mit Erfolg?

Nein. Diese Strategie hat schon im Zweiten Weltkrieg nicht zum Erfolg geführt. Ich glaube, es gibt kein widerstandsfähigeres Volk als die Ukrainer. Es wird sicher ein schwieriger Winter für die Menschen dort, aber all das wird ihren Widerstandswillen nur noch weiter stärken. Indem Städte unbewohnbar gemacht und Zivilisten getötet werden, gewinnt man keinen Krieg. Surowikin schickt massenhaft untrainierte russische Reservisten in den Tod. Diese vielen Toten nimmt er allein dafür in Kauf, Zeit zu gewinnen. Zudem setzt Surowikin auf die Taktik, die schon Stalin benutzte: Er will die Ukraine entvölkern. Die Evakuierung von Zivilisten aus Cherson ist nichts anderes als Kidnapping tausender ukrainischer Kinder und Erwachsener! Mehr als eine Million Ukrainer wurden bereits nach Russland deportiert.

Was bedeutet dieses brutale Macht-Trio für die Gefahr, dass Russland Atomwaffen einsetzt?

Ich glaube, dass es Kräfte im russischen Militär gibt, die verhindern werden, dass Putin taktische Nuklearwaffen einsetzt. Es würde keinen Vorteil auf dem Schlachtfeld bringen. Und Moskau weiß, dass die USA hart antworten würden – und das ist das letzte, was die Russen wollen.

Was kann die Ukraine gegen die Drohnen tun?

Das ukrainische Militär beeindruckt mich. Es gelingt ihm, jede zweite Rakete und jede zweite Drohne abzuschießen. Die Ukraine muss aber auch die Abschuss-Stellungen angreifen – und die liegen in Russland und Belarus. Auch der Rest der Welt hat hier Verantwortung: Wir müssen an die Quelle im Iran gehen. Zu befürchten ist, dass Teheran als Gegenleistung Unterstützung beim Atomwaffen-Programm bekommt. Die US-Regierung muss auf Israel einwirken, der Ukraine mit israelischen Drohnen-Abwehrtechniken zu helfen. Zudem müssen wir an den Sanktionen festhalten, denn die führen dazu, dass Russland die Raketen ausgehen.

Wie lange wird dieser Krieg noch dauern?

Ich bin überzeugt, dass die russischen Truppen noch vor Jahresende auf die Linie zurückgedrängt werden, an der sie vor dem Angriff am 24. Februar standen. Und noch vor dem nächsten Sommer wird wahrscheinlich auch die Krim befreit werden. Putin weiß, dass es der letzte Winter ist, in dem er Europa mit Gas erpressen kann.

Was würde eine Niederlage für Russland bedeuten?

In der Ukraine zu verlieren, ist für Putin schlimm – aber die Macht in Russland zu verlieren, ist schlimmer. Schon jetzt ist im Kreml ein großer Machtkampf im Gange. Putin wird alles daransetzen, an der Macht zu bleiben. Wenn es dafür notwendig ist, sich aus der Ukraine zurückzuziehen, wird er das tun. Aber die westlichen Regierungen sollten schon jetzt Strategien entwickeln, was ein möglicher Zusammenbruch Russlands – der nicht wünschenswert ist – in Bezug auf die Atomwaffen oder neuen Flüchtlingsbewegungen bedeuten würde.

Interview: Klaus Rimpel

Im Ukraine-Krieg will Russland die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete offenbar notfalls mit Atomwaffen verteidigen. Am Mittwoch verhängte Putin das Kriegsrecht. News-Ticker.

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